Die meisten der Protestierenden sind jung, aber es gibt auch einige ältere und sogar elegant angezogene Menschen in der Menge. Sie ziehen zum Zürcher Polizeigebäude um die Freilassung der über 60 inhaftierten Klimaaktivisten zu fordern, die am Tag vorher mit grossem Polizeiaufgebot festgenommen wurden, weil sie die Eingänge der Grossbanken UBS und CS blockierten.
Als aber einige anfangen, Sprüche gegen die Polizei zu schreien, entbrennt kurz eine Diskussion, welche Texte ok sind. Denn nicht alle Teilnehmenden sind gegen einen geordneten Rechtsstaat und eine aktive Polizei. In Bezug auf eine Sache herrscht aber Einigkeit: Die Klimaschützer 48 Stunden im Gefängnis festzuhalten, ist nicht ok.
Diskussionen um die Wege zum Ziel
Auch in den offiziellen und sozialen Medien geht es hoch her. Ist diese Eskalation, diese Art von Protesten in der Schweiz gerechtfertigt – oder schadet sie der Klimabewegung vielleicht sogar? Ebenso wird innerhalb der Klimabewegung heftig diskutiert. Der Klimawandel ist zwar im Mainstream angekommen und mittlerweile als Tatsache akzeptiert. An Grossdemonstrationen protestieren Jung und Alt, Konservativ und Alternativ friedlich nebeneinander für eine klimafreundliche Zukunft.
Viele Klimaschützer finden, dass ein friedlicher Protest mit Blockaden und zivilem Ungehorsam, wie die oben genannte Aktion der Organisation Collective Climate Justice grundsätzlich möglich und sicher kein Verbrechen ist, für das man eingesperrt werden sollte. Andere sind zwar für Klimaschutz, wollen aber keine Aktionen, die gegen geltendes Recht verstossen. Sie argumentieren, dass die Klimastreiks mit ihren friedlichen und bunten Umzügen schon sehr viel in Bewegung gebracht und die Politiklandschaft bereits verändert haben. Sie haben Bedenken, dass Proteste mit Polizeieinsatz die Bewegung eher spalten.
Umstrittene Massnahmen
Aber auch die erforderlichen Massnahmen für eine klimafreundliche Zukunft sorgen innerhalb der Bewegung für Kontroversen. Grosse Teile der Jugend, Alternative und viele Umweltorganisationen drängen auf schnelle Taten, zum Beispiel Reduktion des Autoverkehrs, strikte Gesetze zum Klimaschutz und klare Ausstiegspfade für Ölheizungen, aber auch Begrenzung des Wachstums und neue Wirtschaftssysteme. Das widerstrebt vielen gemässigten Umweltbewussten, die sich einen so schnellen Wandel nicht vorstellen können und teilweise eher auf technologische Lösungen setzen. Sie möchten die Klimaziele erreichen, ohne die geltende Ordnung in Gefahr zu bringen.
Mit Ihren Forderungen nach schnellem Handeln stehen die Aktivisten nicht allein da. Sie entsprechen damit den Erkenntnissen der Wissenschaft, die katastrophale Ausmasse der Klimakatastrophe vorhersagt. Denn es ist Fakt: Um unser Klima mit hoher Wahrscheinlichkeit zu stabilisieren, muss der CO2-Absenkpfad sehr schnell beschritten werden. Das zeigen die sich beschleunigenden Schmelzprozesse in der Arktis und Antarktis. Schon die aktuellen 400 ppm sind zu viel. Bekannte Wissenschaftler, wie zum Beispiel James Hansen, warnen deshalb schon seit Jahren, dass Werte über 350 ppm gefährlich sind, da sie weit über den rund 270 ppm liegen, die uns in den letzten 100’000 Jahren ein stabiles Klima beschert haben.
Grossbanken verursachen Grossverhaftung – Warum?
In der Schweiz fordern zum Beispiel Greenpeace, Extinction Rebellion, Fossil Free und auch Collective Climate Justice, die aus den Climate Games Basel hervorgegangen ist, ein schnelles Vorgehen und setzen dabei auf Druck durch direkte Aktionen. So waren bei der Blockade der UBS und CS auch Aktivisten von Greenpeace, Schüler vom Klimastreik und Personen von anderen Organisationen dabei. In den letzten drei Jahren hat Collective Climate Justice von Basel ausgehend jährlich ein Camp und Aktivitäten organisiert, zum Beispiel im letzten Jahr die Blockade des Schweizer Ölhafens am Rhein. Im Gegensatz zur aktuellen Blockade diese Woche haben die Schweizer Rheinhäfen Verständnis für die Aktion gezeigt und sich mit der Blockade arrangiert. Die ganze Aktion verlief vollkommen friedlich, und es gab trotz einer zweitägigen Blockade keine Festnahmen.
Die Schweizer Grossbanken haben anders agiert, einen massiven Polizeieinsatz eingefordert und die Aktivisten wegen Hausfriedensbruchs und Nötigung verklagt. Der Paradeplatz wurde grossflächig abgesperrt und viele Polizisten waren vor Ort. Man kann sich fragen, ob dieses Grossaufgebot und die Eskalation von Seiten der Banken und der Justiz gerechtfertigt sind und welcher Zweck damit verfolgt wird.
Erleichterung und direkt an die nächste Sitzung
Freudenschreie erklingen und Erleichterung macht sich breit. Die ersten AktivistenInnen verlassen nach rund 48 Stunden das Gefängnis, werden umarmt und bejubelt. Für einige war es die erste Auseinandersetzung mit der Obrigkeit, zum Beispiel für den erst 19 jährigen Roger*, einen angehenden Studenten. Seine Familie hatte am Montagmorgen das letzte Lebenszeichen von ihm erhalten und konnte nur vermuten, dass er unter den Festgenommenen war. Von der Polizei hatten sie keine Auskunft erhalten. Roger erzählt: „Wir wurden unterschiedlich informiert, was unsere Rechte sind. Wir wurden nur am ersten Tag kurz verhört und dann waren wir mehrheitlich in den Zellen ohne Kontakte zur Familie und zu Freunden. Ich habe meine Zelle mit einer Person geteilt und wir haben uns gegenseitig unterstützt und Mut gemacht. Das Schlimmste war es, von der Aussenwelt abgeschieden zu sein, dazu kam die Langeweile. Deshalb war es wertvoll, die Proteste der Kolleginnen vor dem Gefängnis zu hören und zu sehen, das hat uns Kraft gegeben. So sind wir uns nicht so allein vorgekommen.“ Erst am zweiten Tag habe man ihnen auf Anfrage Bücher und etwas zum Schreiben gebracht.
Roger hat sich sehr bewusst für diese Aktion entschieden. Er hat die Befürchtung, dass die normalen Klimastreiks und Demonstrationen schon an Aufmerksamkeit verlieren, und wollte das Augenmerk besonders auf die grossen Klimasünder richten. Diese geniessen im Schweizer Staat weiterhin einen besonderen Schutz und Ansehen. Er sagt dazu: „Durch unsere Bereitschaft, unsere Freiheit vorübergehend zu opfern, hoffen wir mehr zu erreichen als mit herkömmlichen Aktionsformen. Verschiedene Aktionsformen müssen sich aber auch ergänzen. Hauptsache, das Thema bleibt in der Öffentlichkeit und die Menschen werden zum Nachdenken angeregt. Und natürlich auch die MitarbeiterInnen, Aktionäre und KundInnen der Banken oder anderer Firmen.“
Auf die Frage, ob er Angst hat die Bewegung zu spalten, antwortet er: „Ich denke, die unverhältnismässige Reaktion der Polizei hat die Bewegung eher zusammengeschweisst. Wir hoffen, dass mehr Menschen verstehen, dass die Gesetze die Falschen unterstützen und dass sie sich dann fragen, ob wir, die Aktivisten, recht haben. Leider setzen viele Medien in der Berichterstattung die falschen Schwerpunkte. Sie fokussieren zu stark auf die Radikalisierung und weniger auf die Sache, nämlich den katastrophalen Klimawandel. Dieser erfordert eben wirklich eine radikale Umstellung.“
Übereifer der Justiz
Wichtig findet er auch: „Wir sind eine friedliche Bewegung und geben aufeinander Acht. So wurde nach dem Ultimatum der Polizei im Konsens entschieden zu bleiben, es sind aber auch einige Personen gegangen. Gleichzeitig haben andere Aktive Passanten und Medien mit Flyern und Medienmitteilung informiert, so dass die Gründe für den Protest klar waren, nämlich dass die Geschäfte der Banken den Klimawandel anheizen. Es gibt einen klaren Aktionskodex und alles geht sehr geordnet zu.“
Der Aktivist vermutet, dass der Staat mit der zweitägigen Verhaftung ein klares Statement machen möchte, um weitere Proteste im Keim zu ersticken. Denn alle Modelle und Berechnungen zeigen, dass die Klimaerwärmung schnell voranschreiten wird, mit starken Auswirkungen für Natur und Menschen. Es ist anzunehmen, dass die Protestformen mit dem eskalierendem Klimawandel heftiger werden. So könnte die übertriebene Reaktion der Justiz der Versuch sein, potentielle weitere Aktionen zu verhindern. Denn es gibt viele weitere Klimasünder im Land. In England wurden bereits Strassen und auch Flughäfen blockiert. Das könnten auch in der Schweiz die nächsten Ziele sein, sind doch die Schweizer Weltmeister beim Fliegen und dem Kauf von grossen Autos. Es ist auf jeden Fall lange her, dass ein Umweltprotest in der Schweiz zu so vielen Festnahmen geführt hat. Doch das könnte erst der Anfang sein.
Roger verabschiedet sich nach dem Gespräch und eilt dann gleich in die nächste Sitzung. Die jugendlichen KlimaschützerInnen sind gut organisiert und der regelmässige Protest ist sehr zeitaufwendig und fast anstrengender als eine „normale“ Arbeit. Es ist wirklich beeindruckend, wieviel Zeit und Arbeit die Aktiven in diese Aufgabe stecken, nicht nur für sich selbst, sondern auch für den Rest der Gesellschaft.
Klimaschutz als Chance
Man kann die Aktionen der Klimaschützer auch als Chance sehen. Denn einige Firmen und auch Mitarbeiter wollen gerne etwas ändern und sehen in klimafreundlichen Geschäftsfeldern neue Möglichkeiten. Es fehlt jedoch an Rahmenbedingungen oder der Notwendigkeit zu handeln, weil der Klimawandel noch nicht krass genug ist und Änderungen in der Politik sehr langsam sind. Da können gezielte Aktionen den nötigen Druck erzeugen, um Diskussionen innerhalb des Managements und der Aktionäre anzustossen und mutige Handlungen zu rechtfertigen. Besonders die Finanzindustrie hat mit Divestment einen mächtigen Hebel, der im Ausland bereits eingesetzt wird. In einigen Ländern haben Banken und Versicherungen den Ausstieg aus der Finanzierung von fossilen Brennstoffen angekündigt.
Interessant ist auch, dass die etablierte Politik und Wirtschaft zwar einerseits den Klimawandel und auch die Dringlichkeit anerkennen. So wurde in Zürich und vielen anderen Städten zwar der Notstand ausgerufen, aber andere konkrete Massnahmen sind sehr umstritten. Die Mediensprecherin Frida Kohlmann von Collective Climate Justice bringt es auf den Punkt: „Wie kann es sein, dass Zürich einen Klimanotstand ausgerufen hat und gleichzeitig Menschen, die sich für das Klima einsetzen, unverhältnismässig hart bestraft, während diejenigen, die klimaschädigende Geschäfte machen, ungestraft davonkommen.“
*Name geändert, da wegen des laufenden Verfahrens die Namen noch nicht bekannt gegeben werden sollen.
Weitere Infos:
Medienmitteilung von Collective Climate Justice