Rund ein Jahr vor der US-Präsidentenwahl am 6. November 2012 gleicht der Wahlkampf der Republikaner eher einer Farce denn seriösem Drama. Akteure treten auf, verharren kurz im Rampenlicht und treten wieder ab, mal aus eigenem Antrieb, mal von der Bühne gebuht. Donald Trump hatte so seinen Auftritt, Sarah Palin, obwohl nicht Teil des Ensembles, hatte ihren, Michele Bachmann tänzelte kurz über die Bretter, Rick Perry trat auf, mit viel Vorschusslorbeeren bedacht, auch Herman Cain, als Unterhalter ein Naturtalent. Doch das amerikanische Publikum ermüdete meist rasch, der Pannen und Patzer überdrüssig, und rief nach neuen Akteuren. Auftritt, vom rechten Bühnenrand, Newt Gingrich, der frühere Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses. Jüngsten Umfragen zufolge ist der 68-Jährige an die Spitze des Kandidatenfelds gerückt, knapp vor Mitt Romney.
Zwar hatte der Abgeordnete aus Georgia 1998, nach der schmählichen Niederlage bei den Zwischenwahlen, der Politik den Rücken gekehrt und erst mal, wie es amerikanische Politiker nach ihrem Rücktritt gerne tun, tüchtig Kasse gemacht. Nebenbei hat der promovierte Historiker, teils mit Co-Autoren, seit seiner Dissertation über „Belgische Bildungspolitik im Kongo: 1945-1960“ nicht weniger als 23 Bücher geschrieben: politische Sachbücher und historische Romane, über die amerikanische Revolution, den Bürgerkrieg und den 2. Weltkrieg.
"Die USA sind aussergewöhnlich, einzigartig und unnachahmlich"
Doch jetzt will es Newt Gingrich noch einmal wissen, nein, nicht etwa seiner selbst, sondern der Nation willen, die es zu retten gilt. Nicht zufällig heisst eines seiner Bücher „To Save America“ oder sein jüngstes Werk „A Nation Like No Other“. Die USA, so der Autor, seien aussergewöhnlich, einzigartig und unnachahmlich – aber in Gefahr, von innen wie von aussen. „Amerika ist die dynamischste, reichste und innovativste Nation in der Geschichte der Menschheit“, schreibt Gingrich: „Aber wir stehen an einem Scheideweg.“
Zwei Beweggründe sind es, die Gingrich laut eigenem Bekunden dazu veranlasst haben, in die Politik zurückzukehren und sich um den Einzug ins Weisse Haus zu bewerben. Der erste Grund war 2002 das Urteil eines Bundesberufungsgerichtes, das verfügte, das Wort „Gott“ aus dem Loyalitätseid („Pledge of Allegiance“) zu streichen. Zweites Motiv war 2004 George W. Bushs Taktik, gegen den Demokraten John F. Kerry einen „Persönlichkeits-bezogenen Wahlkampf“ zu führen. „Ich merkte, dass sich die Republikanische Partei von grossen Ideen, umfassenden Lösungen und positiven Kontrasten in einer Art und Weise verabschiedet hatte, die das Regieren unmöglich machte“, zitiert die „Washington Post“ den Politiker. 2008, so Gingrich, sei er noch nicht angetreten, um nicht den Eindruck zu erwecken, er wolle mit seinen kühnen Plänen den abtretenden Präsidenten kritisieren.
Newt Gingrich behauptet von sich, kein normaler Politiker zu sein. Im Verlaufe seiner öffentlichen Tätigkeit, sagt der Un-Politiker, sei er als „ein Mann von Ideen“ bekannt geworden. Es ist eine Einschätzung, die der „New York Times“ zufolge einflussreiche Leute in Washington DC ungefragt teilen: „Gingrichs Status als Intellektueller gilt als Glaubenssatz – eine Annahme, von der jedermann überzeugt ist, dass sie stimmt, wie zum Beispiel die Annahme, wonach es einen Klimawandel von Menschenhand gibt oder Barack Obama ausserirdisch intelligent ist.“ Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten ist Gingrich in den bisherigen Fernsehdebatten seinem Ruf als Denker weitgehend gerecht geworden, während sich Bachmann, Cain & Perry eher als Demagogen diskreditierten.
"Ich bin weniger arrogant als früher"
Gingrichs politisches Programm ist eine Neuauflage seines „Contract With America“, jener Grundsatzerklärung, dank der es den Republikanern 1994 unter Präsident Bill Clinton gelang, zum ersten Mal seit 40 Jahren in beiden Kammern des Kongresses die Mehrheit zu gewinnen. Der „Vertrag mit Amerika“, der einen geschrumpften Staat, niederere Steuern und grössere öffentliche Mitsprache forderte, liest sich heute wie die Plattform der konservativen Tea Party. 1995 wurde der College-Professor, der mit Mutter und Stiefvater auf US-Armeebasen in Frankreich, Deutschland, Kansas und Georgia aufgewachsen war, Vorsitzender („Speaker“) des US-Abgeordnetenhauses. Als solcher lieferte er Bill Clinton einen epischen Kampf um die Verabschiedung des Budgets, ein Streit, der in der Folge zum Stillstand der Landesregierung führte. Doch dem Präsidenten gelang es, Gingrich als unverantwortlichen Verursacher des „shutdown“ darzustellen, was ihm 1996 die Wiederwahl erleichtern und seinem Rivalen den Kopf kosten sollte.
Heute sagt Newt Gingrich von sich, er habe aus seinen Fehlern gelernt und sei weniger arrogant oder aufbrausend als früher: „Zweifellos habe ich, teils getrieben von meinen leidenschaftlichen Gefühlen für dieses Land, viel zu hat gearbeitet und dabei Dinge in meinem Leben geschehen lassen, die unangebracht waren.“ Die Medien hat er wissen lassen, es wäre „beinah unpatriotisch“, sich angesichts dreier potenzieller Katastrophen nicht um die Präsidentschaft zu bewerben. Die Gefahren ortet Gingrich erstens im wirtschaftlichen Niedergang der USA, der zur Dominanz Chinas führe, zweitens in den Bemühungen von Schulen und Gerichten, Amerikas einzigartigen Charakter zu sabotieren und schliesslich in einem „Strategiedefizit“, was den Nahen Osten, d.h. die Unterstützung Israels betrifft.
Nach wie vor aber brandet dem weisshaarigen Kandidaten Skepsis vom christlichen Flügel seiner Partei entgegen. Die Skepsis betrifft vor allem Newt Gingrichs Charakter als jener eines Politikers, der Wasser predigt, selbst aber Wein trinkt. So griff er seinerzeit Bill Clinton wegen dessen Affäre mit Monica Lewinsky heftig an, hatte aber gleichzeitig selbst ein Techtelmechtel mit einer Mitarbeiterin im Kongress, die heute seine dritte Frau ist. Indes hatte er mit seiner zweiten Frau eine Affäre begonnen, als seine erste Gattin noch mit Krebs im Spital lag (sie überlebte). An Zuspruch dürfte es dem Kandidaten, der seiner Frau Callista Bisek zuliebe zum Katholizismus konvertiert ist, vor allem seitens religiös konservativer Kreise mangeln. Trotzdem, frotzelt der frühere Clinton-Berater Paul Begala: „Newt Gingrich hat Frauen und Religionen gewechselt und die Parteibasis zieht in noch immer (dem Mormomen) Romney vor.“
Berater von "Freddie
Seine Popularität unter unverbesserlichen Konservativen dürften auch Aussagen nicht steigern, die Newt Gingrich diese Woche in einer CNN-Fernsehdebatte gemacht hat. Zwar befürwortet auch er, illegale Immigranten, die neu ins Land kommen, zu deportieren. Er plädiert aber dafür, jenen „Illegalen“, die bereits seit Jahren oder Jahrzehnten in den USA leben, nicht die Staatsbürgerschaft, aber zumindest die Niederlassungsbewilligung zu offerieren. „Falls Sie erst kürzlich hierher gekommen sind, haben Sie keine Wurzeln in diesem Land. Sie sollten wieder nach Hause gehen, Amen!“, sagte Newt Gingrich auf dem Podium in Washington DC: „Wenn Sie aber seit 25 Jahren hier sind, drei Kinder und zwei Enkel haben, wenn Sie Steuern bezahlt haben, nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind und einer lokalen Kirche angehören, dann sollten wir Sie meines Erachtens nicht von ihrer Familie trennen, mit Gewalt entwurzeln und ausschaffen.“ Er sei, sagte der Kandidat, auch bereit, für seinen humanen Standpunkt Kritik einzustecken. Die kam prompt, von seiner Mitbewerberin Michele Bachmann: „Ich glaube, der Herr Vorsitzende befürwortet, dass der Status von 11 Millionen Leuten, die illegal hier sind, legalisiert wird.“
Indes hat Newt Gingrich lauthals Politiker kritisiert, die mit dem von der Regierung beaufsichtigten Immobiliengiganten Freddie Mac liiert waren, einem Unternehmen, dem viele Republikaner heute die Schuld an der amerikanischen Finanzkrise in die Schuhe schieben. Bloomberg News hat jedoch enthüllt, der Politiker habe von „Freddie“ zwischen 1,6 und 1,8 Millionen Dollar an Honoraren bezogen, um das Unternehmen „als Historiker“ zu beraten. Er habe, behauptet der Kandidat, Freddie Mac davor gewarnt, sie würden in unverantwortlicher Weise Hypotheken vergeben. Nur kann sich keiner der dort Zuständigen an die Ratschläge des Professors erinnern. Sie hätten, so berichten sie, Newt Gingrich als Lobbyisten angeheuert, der ihnen helfen sollte, andere Konservative von ihrem, wie sich später herausstellte, desaströsen Geschäftsmodell zu überzeugen.
Saftige Beraterhonorar kassiert
Gleichzeitig präsentiert sich Newt Gingrich (wie es amerikanische Präsidentschaftskandidaten gerne tun) als Aussenseiter, der den Saustall in Washington DC endlich ausmisten und die Macht des Establishments unterlaufen will. Viel mehr als eine Pose in das nicht. „Der Mann, der regelmässig gegen ‚die Washingtoner Beraterkultur“ poltert, ist eines ihrer bestbezahlten Mitglieder“, weiss die „Washington Post“. Einer seiner Think Tanks allein habe in den vergangenen acht Jahren von Krankenkassen und Versicherern 37 Millionen Dollar an Beraterhonoraren kassiert. Illegal ist das nicht, aber locker darüber hinwegzusehen, erfordert einiges an Unverschämtheit. „Wenn Gingrich nach 33 Jahren in Washington nur noch ein wenig stärker im Establishment eingebettet wäre, würden Tauben auf seinen Schultern landen und jene Art von Erleichterung suchen, die normalerweise Statuen trifft“, mokiert sich ein Blogger der „New York Times“.
Falls er gewählt werde, sagt Newt Gingrich, würde er bereits am ersten Tag im neuen Amt bis zu 200 präsidiale Anordnungen zu unterschreiben beginnen, um zum Beispiel die Position der „Zaren“ (Sonderbeauftragten) im Weissen Haus abzuschaffen oder die Hilfe für Abtreibungskliniken im Ausland zu stoppen. Auch würde er die Kapitalgewinn- und die Erbschaftssteuer streichen, Firmensteuern senken und Unternehmen im Falle von Investitionen Steuererleichterungen gewähren. Und falls er nicht Amerikas 45. Präsident wird? „Ich werde weiterhin Bürger bleiben“, hat Gingrich der „Washington Post“ verraten: „Ich doziere gerne. Ich entwickle gerne Lösungen…Ich versuche, meinem Land zu dienen, und das kann ich derzeit am besten tun, indem ich kandidiere.“