Präsident Morsi hat die ägyptische Regierung umgebildet und die Unterhändler des IMF empfangen. Drei der neuen Minister sind Mitglieder der Bruderschaft. Die IMF Verhandlungen wurden wieder aufgenommen, nachdem sie im November wegen allzu grosser politischer Turbulenz vertagt worden waren.
Weiche oder harte Landung des sinkenden Pfunds?
Neue Minister waren darum unumgänglich, weil mehrere der bisherigen der Regierungslinie widersprechende Aussagen machten und auch eine eigene Politik zu führen schienen, die jener des Präsidenten ziemlich direkt widersprach, und weil andere zurückgetreten waren. Die bisherige Regierung war das Ergebnis von Kompromissen zwischen dem Präsidenten und den damals mitregierenden Militärs gewesen.
Die neuen Verhandlungen mit dem Währungsfonds sind unvermeidlich, weil das ägyptische Pfund rasch an Wert verliert, und eine grosse Finanzspritze notwendig ist, wenn eine chaotische Abwertung vermieden werden soll. Diese droht zustande zu kommen, wenn die wohlhabenderen Ägypter, wie gegenwärtig bereits spürbar, fortfahren, ihre ägyptischen Pfunde in Dollars oder in Euros zu verwandeln.
Die heikle Frage der Subventionen
Die Verhandlungen mit dem IMF drehen sich um eine Anleihe von 4,8 Milliarden Dollars. Der Währungsfond mahnt, Ägypten müsse sein Haus in Ordnung bringen, indem es die staatlichen Subventionen für Benzin und Butangas sowie für Weizen abbaut. Diese Subventionen machen einen beträchtlichen Teil - beinahe ein Drittel - des ägyptischen Budgets aus.
Das Militärbudget ist dabei ausgeschlossen. Es wird weiterhin geheimgehalten. Das Defizit des Staatsbudgets ist seit der Machtübernahme Mursis um 37 Prozent gewachsen, und es steht nun bei 80,7 Mia ägyptischer Pfund (ca. 13 Mia Dollar).
Ein Schlag für die Armen
Doch der Abbau der Subventionen würde die Grundlebenskosten erhöhen, was bedeuten würde, dass viele Millionen von Armen, die heute gerade noch leben können, hungern müssten. Zur Diskussion steht daher die Möglichkeit, diese Subventionen bei den Wohlhabenden aufzuheben oder zu reduzieren, sie aber für die Armen zu belassen, also zwei Preise einzuführen für Brot, für Benzin und für Butangas. Das Gas wird allgemein zum Kochen verwendet, und es gibt kaum einen Ersatz dafür.
Subventionen für die Bedürftigen?
Zweierlei Preise jedoch würden wahrscheinlich vielen Missbräuchen Tür und Tor öffnen. Die Bürokratie müsste kontrollieren, wer wirklich arm sei und daher die billigen Preise zahle und wer nicht. Sie müsste dann weiter dafür sorgen, dass die verbilligten Güter wirklich den Bedürftigen zukämen. Keine leichte Aufgabe in Ägypten und eine, die Korruption fördern kann. Rasch würde wohl ein Schwarzmarkt entstehen, auf dem die subventionierten Güter gegen Aufpreis an jene Verbraucher verkauft würden, die keine subventionierten Güter erhalten.
Furcht vor Hungerrevolten
Doch die Subventionen ganz aufzuheben oder sie für alle Verbraucher zu reduzieren, droht die politischen Spannungen gefährlich zu erhöhen. 1977 hatte Sadat versucht, die Brotsubventionen zu streichen. Dies hatte zu der grössten Unruhewelle in Ägypten geführt, die es seit dem Schwarzen Samstag vom 26. Januar 1952 gegeben hatte, jener Unruhewelle, die Nassers Machtergreifung vorausgegangen war. Sadat hatte drei Monate später die Brotpreise wieder senken lassen.
Präsident Mursi hatte Anfang Dezember Steuererhöhungen angeordnet, doch diesen Beschluss sofort wieder suspendiert; er soll erst künftig in Kraft treten, weil er im damaligen Moment ohnehin bestehender grosser Spannungen als allzu riskant eingeschätzt worden war.
Beide Episoden zeigen, wie gefährlich es ist, die Frage der Subventionen anzupacken. Diese bestehen und wuchsen kontinuierlich seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, und die gesamte ägyptische Wirtschaft, insbesondere die Überlebensbedingungen der riesigen Unterschichten, beruht auf ihnen. Wenn sie zu rücksichtslos beschnitten werden, könnten daraus Hungerrevolten resultieren.
Sparzwang
Doch andererseits muss der Staat sparen. Die ägyptische Zentralbank hat in den letzten zwei Jahren der politischen Turbulenzen drei Viertel ihrer Reserven ausgegeben, um das Pfund zu stützen und die Defizite des Staatshaushaltes zu finanzieren. Diese Reserven sind nun auf 15 Milliarden Dollar gefallen, ein Betrag, der als unabkömmlich gilt, um das Pfund aufrecht zu halten und die absolut notwendigen Importe zu finanzieren.
Das Pfund hat in den zwei Jahren der Revolution fast 10 Prozent seines Wertes gegenüber dem Dollar verloren, fast die Hälfte davon in den letzten Wochen. Anleihen aus Qatar und von Seiten der Afrikanischen Entwicklungsbank hatten zuvor über Engpässe hinweggeholfen. Es gibt bereits Vorschriften, welche die Ausfuhr und Einfuhr von über 10 000 Dollars verbieten, und die Zentralbank ist kürzlich dazu übergegangen, den Banken Dollars auf Grund von Versteigerungen von 75 Millionen Dollar pro Tag anzubieten.
IMF-Verhandlungen und Parlamentswahlen
All dies macht deutlich, dass das Nilland dringend der zur Verhandlung stehenden IMF Anleihe bedarf. Der Währungsfond seinerseits sucht im Prinzip seine Hilfe davon abhängig zu machen, dass der mit ihm verhandelnde Staat sein Budget so weit in Ordnung bringt, dass dieser die gewährte Anleihe schlussendlich zurückzahlen kann.
In Ägypten sollen innerhalb der nächsten zwei Monate Parlamentswahlen stattfinden, deren Ausgang weitgehend bestimmen wird, wie sich das neue Regime im Lande weiter entwickelt. Für den Währungsfond könnte dies ein Grund sein, mit den Verhandlungen zuzuwarten oder sie hinauszuziehen, bis die Wahlentscheidung gefallen sein wird.
Gespaltene Front der säkularen Parteien
Ägypten ist heute derart gespalten, dass keineswegs klar ist, ob die gegenwärtige knappe Mehrheit der pro-islamischen Gruppierungen nach den Wahlen weiter den Ton angeben wird oder ihre unversöhnlichen Gegner der tief gespaltenen säkularen Front. 15 ihrer Parteien haben sich zu einer Nationalen Rettungsfront zusammengeschlossen, die gegen Mursi und die Islamisten gerichtet ist. Doch ihre Parteien sind sich nur einig darüber, was sie nicht wollen, nämlich keine Regierung der Islamisten. Ein eigenes Programm für die Zukunft besitzen sie nicht, und die Frage bleibt offen, ob sie sich auf gemeinsame Kandidaten für die bevorstehenden Parlamentswahlen werden einigen können.
Politische Rücksichten
Die Unterhändler des Währungsfonds müssen sich fragen: wieweit kann und wird ein kommendes Regime, falls es von den Gegnern des heutigen gebildet werden sollte, für die Versprechen und Verpflichtungen des gegenwärtigen einstehen? Andrerseits können die Unterhändler des Währungsfonds auch die politischen Interessen nicht übersehen, die von den wichtigsten Geldgeberstaaten des Fonds, in erster Linie der USA, vertreten werden.
Es ist anzunehmen, dass Washington einen wirtschaftlichen und sozialen Kollaps in Ägypten vermeiden möchte. Er würde entscheidend zu weiteren Zusammenbrüchen in der ganzen Nahostregion beitragen. Sogar Israel, ein Land, dem die besondere Fürsorge der USA gilt, und möglicherweise Saudi Arabien, die Erdölmacht par excellence, wären auf mittlere Frist möglicherweise betroffen. Aus derartigen Rücksichten dürfte dem Währungsfond nahe gelegt werden, Ägypten wenn irgend möglich aus der Patsche zu helfen.
Die Bruderschaft in der Wagenburg
Die Bruderschaft vertritt offensichtlich die Ansicht, es gehe mit den bevorstehenden Wahlen weiterhin um ihr politisches Überleben. Man kann vermuten, dass viele ihrer höchst umstrittenen und oft mit gutem Grund kritisierten Entscheide in den letzten zwei Jahren aus einer Sicht der eigenen Gefährdung heraus getroffen wurden.
Jedesmal schien alles bedroht, was die Brüder erlangt hatten, als sie mit der Revolution von einer niedergehaltenen politischen Macht zur führenden Mehrheit aufstiegen: zuerst, als die Richter in einem kaum versteckten Zusammenspiel mit den damals herrschenden Militärs das Parlament auflösten. Später erneut, als die Militärs offensichtlich auf die Entmachtung der Bruderschaft ausgingen, indem sie den künftigen Präsidenten ihrer eigenen Macht unterordnen wollten. Dann weiter, als ein Gegenkandidat gegen Morsi, der ex-General Ahmed Shafik, die säkularen und die Kräfte des Alten Regimes hinter sich bündelte und nur ganz knapp die Mehrheit verfehlte, während die Richter mit Auflösung der Verfassungsversammlung drohten, in der die pro-Islam-Strömung eine Mehrheit besass.
Die Brüder in Igelstellung
Jedesmal haben die Brüder auf die vermeintlichen und echten Bedrohungen ihrer neu errungenen Machtposition reagiert, indem sie taten, was sie am besten können: sie haben ihre disziplinierten Anhängermassen geballt zum Einsatz gebracht und ihre politische Doktrin siegreich durchgesetzt. Ohne sich jemals die Frage zu stellen: Errangen sie so einen echten oder einen gefährlichen Pyrrhussieg? Denn von ihrem Gesichtspunkt aus ging es immer ums politische Überleben.
Die jüngste Regierungsumbildung bestätigt die so entstandene Wagenburg-Mentalität des Regimes. Drei der neuen Minister gehören zu den Muslimbrüdern, und sie ersetzen nicht zur Bruderschaft zählende Technokraten. Der neue Finanzminister, al-Morsi al-Said Hegazi, ist ein Professor, der viel über Islamische Finanzlehre gearbeitet hat, aber über keinerlei politische oder administrative Erfahrung verfügt.
Ein Schwergewicht der Bruderschaft ist der neue Minister für Lokale Entwicklung, Muhammed Bischr. Seine Ernennung fand Beachtung, weil im kommenden Jahr Lokalwahlen bevorstehen. Ebenfalls als ein Mann der Bruderschaft gilt der neue Minster für Innenhandel. Sein Ministerium wird wichtig sein, wenn es darum geht, das Subventionswesen umzubauen.
Das Innenminsterium bleibt "autonom"
Auch der Innenminster wurde ersetzt, sein Ministerium galt und gilt weiter als eine Hochburg der inneren Opposition gegen die Regierung der Bruderschaft. Sein Nachfolger wurde kein Muslimbruder, sondern ein Mann der Polizei, General Muhammed Ibrahim, dem bisher die Verwaltung der Gefängnisse unterstanden hatte. Was dahin zu verstehen ist, dass Morsi eine Konfrontation mit dem mächtigen Polizeiministerium für den Augenblick zu vermeiden sucht.
Die umgebildete Regierung erhält keinerlei Politiker von Gewicht, die der säkularen Opposition zugerechnet werden können. Da diese Opposition die Zusammenarbeit mit Mursi verweigert, kann man annehmen, dass er auch kaum in der Lage gewesen wäre, die Mitarbeit von führenden Politikern aus ihren Kreisen zu gewinnen, falls er dies angestrebt hätte.
Die Salafisten werden Verbündete
Doch der tiefe Graben, der weiterhin die ägyptische Gesellschaft und ihre politischen Gruppen durchzieht, bewirkt auch, dass die Salafisten in ihren verschiedenen Gruppierungen als die einzigen Verbündeten der Brüder dastehen. Dies hat Auswirkungen auf deren eigene Positionen: ihr konservativer Flügel wird gestärkt, weil er sich auf die Zusammenarbeit mit diesen Verbündeten abstützen kann, und der progressivere Teil der Bruderschaft, der den Islam mit echter Demokratie zu vereinen sucht, wird geschwächt, weil die anderen demokratischen Parteien die Zusammenarbeit mit den Brüdern ablehnen.
Muhammed al-Shater, der ursprüngliche Kandidat der Bruderschaft für die Präsidentschaft, den Mursi ersetzte, weil al-Shater wegen einer Verurteilung aus der Mubarak Zeit nicht kandidieren durfte, gilt nun als der Verbindungsmann zu den Salafisten, der ihre Zusammenarbeit mit den Brüdern betreut. Manche Beobachter sagen ihm nach, dass er in einem Rivalenverhältnis zu Mursi stehe. Dieser habe zwar sein politisches Gewicht durch sein Präsidentenamt zu steigern vermocht, doch al-Shater gewinne seinerseits Terrain, indem er die politische Zusammenarbeit mit den Salafisten ausbaue.