Am 28. April 2017 hielt Donald Trump in Atlanta die Hauptrede vor Amerikas mächtiger Waffenlobby, der versammelten National Rifle Association (NRA): „Nur ein Kandidat hat im Wahlkampf zu euch gesprochen und dieser Kandidat ist heute Präsident der Vereinigten Staaten“, sagte Trump: „Ihr habt mich unterstützt, jetzt werde ich euch zur Seite stehen.“ Die NRA hatte seinen Wahlkampf mit mindestens 30 Mio. Dollar finanzieren helfen.
Der Commander-in-Chief gab im Georgia World Congress Center, mehrmals unterbrochen von Applaus, an alle „freiheitsliebenden Amerikaner“ ein schlichtes Versprechen ab: „ Als euer Präsident werde ich nie und nimmer das Recht der Leute beschneiden, Waffen zu erwerben und zu tragen. Nie und nimmer. Freiheit ist kein Geschenk der Regierung. Freiheit ist ein Geschenk Gottes.“
Die Tat eines Geisteskranken?
Zwar ist Donald Trump nach dem Massaker an der Marjory Stoneman Douglas High School nach Florida geflogen, um in einem Spital in Pompano Beach überlebenden Opfern der Schiesserei sein Beileid auszusprechen: „Es ist sehr traurig, dass so etwa hat passieren können.“ Mit keinem Wort aber tönte der Präsident an, dass sich solche Tragödien mit einer Verschärfung der amerikanischen Waffengesetze unter Umständen verhindern liessen.
Auch ging Trump im Spital nicht auf diesbezügliche Fragen von Journalisten ein. Später, als er im Büro des Sheriffs von Broward County den Polizisten traf, der den flüchtigen Schützen verhaftet hatte, mochte er bereits wieder scherzen: „Sie sollten nicht so bescheiden sein.“
Dafür versprach Donald Trump in seiner zögerlichen Reaktion auf das Massaker, er werde „das schwierige Problem der geistigen Gesundheit“ angehen. Zuvor hatte der Präsident getwittert, es gebe Anzeichen dafür, dass der 19-jährige Täter geisteskrank sein könnte. Unerwähnt liess er den Umstand, dass er selbst die Aufhebung einer Vorschrift aus der Zeit Barack Obamas befürwortet hatte, die es Geisteskranken erschweren sollte, Schusswaffen zu kaufen.
Die NRA sponsert Schiesskurse
Kein Wort Trumps auch darüber, dass Nikolas Cruz in Florida einen Schiesskurs für Luftgewehrschützen besucht hatte, den die NRA als Teil eines landesweiten Millionenprojekts sponserte. Ein Kollege aus dem Kurs erinnert sich, dass der Täter „ein ausgezeichneter Schütze“ war. An der High School in Parkland allerdings schoss Cruz nicht mit einer Air Gun, sondern mit einer halbautomatischen AR-15, der „zivilen Version“ des Sturmgewehrs der US-Army, um sich.
Seit Dezember 2012, als in der Sandy Hook Primary School in Newton Sandy (Connecticut) der 20-jährige Adam Lanza 20 Kinder und sechs Erwachsene erschoss, sind in den USA bei über 200 Schiessereien an Schulen mindestens 400 Menschen ums Leben gekommen. 2017 allein starben 590 Menschen bei 346 Massenschiessereien im Lande. Doch geschehen ist nichts. Statistiken zufolge gibt es in Amerika an die 265 Millionen Schusswaffen.
Waffenkäufe pflegen in Amerika nach Massakern sogar in die Höhe zu schnellen – aus Furcht, Waffenbesitz könnte erschwert werden. Nach dem Massaker in Las Vegas, wo Stephen Paddock am 1. Oktober 2017 aus einem Zimmerfenster des Hotels Mandalay Bay 58 Menschen tötete und 851 Personen verletze, legten die Aktien von Schusswaffenherstellern zu.
Bevölkerung für schärfere Gesetze
Weder das Weisse Haus unter Donald Trump noch der republikanische beherrschte Kongress haben sich bisher dazu durchringen können, eine Verschärfung der Schusswaffengesetze auch nur zu erwägen. Zu gross ist der Einfluss der 1871 gegründeten und in Fairfax (Virginia) domizilierten NRA auf Exekutive und Legislative. Schätzungen zufolge gibt die US-Waffenlobby mit ihren fünf Millionen Mitgliedern jedes Jahr rund 250 Mio. Dollar aus, um sich die Politik gefügig zu machen.
Auch benotet die NRA Politiker in Washington D.C. danach, wie empfänglich sie für die Anliegen der Vereinigung sind. Die führenden Republikaner im Kongress, Mitch McConnell im Senat und Paul Ryan im Repräsentantenhaus, haben mit „A+“ beide Bestnoten erhalten. Justizminister Jeff Sessions erhielt, als er noch Senator aus Alabama war, ein „A“. Dagegen bestrafte die Waffenlobby Chuck Schumer, den führende Demokraten im Senat, mit einem „F“.
Die amerikanische Bevölkerung befürwortet griffigere Waffengesetze. Laut einer Umfrage der Quinnipiac University in Hamden (Connecticut) vom letzten November sind 94 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner der Überzeugung, dass der Leumund eines Käufers überprüft werden soll. 79 Prozent der Befragten glauben, dass bei Waffenkäufen eine bestimmte Wartedauer obligatorisch sein müsste. Ferner befürworten 64 Prozent ein Verbot von Sturmgewehren sowie von Magazinen mit mehr als zehn Patronen. 63 Prozent schliesslich meinen, eine Verschärfung der Schusswaffengesetze sei ohne eine Verletzung der US-Verfassung möglich.
Millionen für Politiker
So wie Donald Trump, der den Familien der Opfer des Massakers in Parkland persönlich „Gebete und Beileid“ offerierte, haben sich diese Woche auch etliche Republikaner im Kongress dazu bemüssigt gefühlt, den Angehörigen in Parkland zu kondolieren. Das veranlasste indes Bess Kalb, eine Mitarbeiterin der nächtlichen Talk Show „Jimmy Kimmel Live!“ auf dem Sender ABC dazu, zu checken, wieviel Geld die Betreffenden von der NRA bisher erhalten haben. Das Ergebnis enthüllt das Ausmass der Heuchelei, mit dem republikanische Politiker auf tragische Ereignisse zu reagieren pflegen.
Senator Marco Rubio (Florida) zum Beispiel twitterte: „Heute ist jener schreckliche Tag, von dem du betest, dass er nie kommen möge.“ Bisher hat die NRA die politische Karriere Rubios mit 3,033 Mio. Dollar unterstützt. Senator Cory Gardner (Colorado) schrieb: „Ich fühle mit gebrochenem Herzen für die Studenten … in dieser schrecklichen Tragödie.“ Gardner hat die Schusswaffenlobby bis dato 3,879 Mio. Dollar gespendet.
Senator Rob Portman (Ohio) bedauerte die „herzzerreissenden Nachrichten“ aus Florida: „Jane und ich senden unsere Gebete.“ Bis anhin hat Portman von der NRA 3,062 Mio. Dollar an Wahlspenden entgegennehmen können. Auch einzelne demokratische Politiker im Kongress erhalten von der Waffenlobby Geld, wenn auch längst nicht im selben Ausmass wie ihre republikanischen Kollegen.
Wahltag ist Zahltag
Trotzdem schreibt die „New York Times“ in einem Leitartikel, dass die NRA zu schlagen sei: „Der Würgegriff der Schusswaffenlobby auf unsere Volksvertreter braucht aber nicht anzudauern, wenn die Kandidaten sich gegen die Lobby stemmen und die Wähler verlangen, dass Politiker sich für jene Veränderungen einsetzen, die eine Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung will.“
Die Zwischenwahlen vom kommenden Herbst, so die „Times“, seien für Amerika eine Chance, diese Botschaft auszusenden: „Die Kandidaten müssen merken, dass die Eindämmung der Schusswaffengewalt ein Gewinn bringendes moralisches Thema ist.“ An den Wählerinnen und Wählern, die glaubten, die NRA an der Urne besiegen zu können, läge es nun, in aggressiv grosser Zahl stimmen zu gehen: „Bis dann allerdings wird das Blutvergiessen andauern.“
Quellen: AP, „The New York Times“; „The Washington Post“; „The Independent”