Man kann die Kommandozentrale schon von ganz unten in Tbilissi sehen, von der Stadtautobahn aus, die dem Kura-Fluss entlangführt – einen teils weiss schimmernden, teils mit Glasfronten ausgestatteten Gebäudekomplex hoch oben auf dem Schlossberg.
Es ist die Residenz von Bidsina Iwanischwili, seines Zeichens Milliardär und aufgrund von Reichtum und politischem Geschick Drahtzieher der Partei «Georgischer Traum». Glaubt man der georgischen Wahlkommission, hat der «Georgische Traum» eben die Wahlen gegen eine Opposition von fünf anderen Parteien gewonnen. Die allerdings weigern sich, das Resultat anzuerkennen. Täten sie es, müssten sie ihren eigenen Traum, der das Land in die Europäische Union und die Nato hätte führen sollen, begraben.
Denn Iwanischwili verfolgt einen Schmusekurs gegenüber Russland und einen verbalen Konfrontationskurs zu westlichen Werten. Die Europäische Union, der Westen insgesamt mische sich auf unerträgliche Weise in die inneren Angelegenheiten Georgiens ein, sagt er jetzt oder lässt er durch Exponenten der Partei «Georgischer Traum» verbreiten.
Gleichschaltung mit Putin?
Die Speerspitze von all dem erkennt er in Nicht-Regierungsorganisationen, die sich um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kümmern und die für ihre Arbeit Gelder aus dem Westen erhalten. Iwanischwili liess durch den «Georgischen Traum» ein Gesetz durch das Parlament peitschen, das die NGOs zur Registrierung zwang und sie (parallel zu einem praktisch gleich lautenden Gesetz in Russland) als vom Ausland abhängige Institution ausweisen sollte. In der Öffentlichkeit löste das Gesetz breiten, aber letzten Endes wirkungslosen Protest aus. Der Vorwurf an den «Georgischen Traum» und damit an Iwanischwili: Gleichschaltung mit Putins Russland.
Iwanischwili ist normalerweise öffentlichkeitsscheu – dennoch weiss die Öffentlichkeit recht viel über ihn. Sein Vermögen machte er mit Computer-Geschäften in Russland, in den 90er Jahren, als Boris Jelzin Präsident war und wirtschaftliches Chaos herrschte. Als er in seine georgische Heimat zurückkam, profilierte er sich als Philantrop. Er machte die Bewohner des Dorfs, in dem er geboren wurde, reich, spendete allen Soldaten der georgischen Armee Stiefel und sorgte dafür, dass Polizisten einen fairen Lohn erhielten – damit sie ihre Taschen nicht mehr beim unkontrollierten Einkassieren von Verkehrsbussen füllen mussten. Er befreundete sich mit Micheil Saakaschwili, der als Premierminister das Land umkrempeln und konsequent nach Westen führen wollte.
Einige Jahre lang ging das gut – Georgien schien auf der Direttissima in eine Demokratie nach US-amerikanischem Muster zu sein (Präsident George W. Bush reiste mehrmals nach Tbilissi und bezeichnete Saakaschwili als Vorbild für die ganze Welt), Iwanischwili schwamm im Hintergrund mit auf der West-Welle.
Saakaschwili liess sich in die Falle locken
Doch dann kam das für Georgien schicksalsschwangere Jahr 2008. Russland, jetzt unter der Fuchtel von Wladimir Putin, stichelte gegen Saakaschwili und heizte ethnische Spannungen an in zwei zum georgischen Staatsgebiet gehörenden Regionen, Abchasien und Südossetien. Er zog Truppen in russischen Regionen nördlich von Südossetien (3885 km2 gross) zusammen und drohte mit einem Einmarsch. Saakaschwili liess sich in die Falle locken – wohl in der Annahme, dass ihm die amerikanischen «Freunde» zu Hilfe kommen würden, und liess die Südosseten-Kleinstadt Zchinwali bombardieren. Mit dem Ziel, das nach Sezession drängende Gebiet zurückzuholen. Die Russen aber packten die Gelegenheit beim Schopf, fuhren mit Panzern in Südossetien ein und eroberten vorübergehend auch gleich noch einige weitere Gebiete in Georgien. Nach fünf Tagen zogen sie sich zurück, Südossetien aber blieb und bleibt bis heute unter der Kontrolle Russlands.
Iwanischwili schob Saakaschwili die Schuld für den Ausbruch des Konflikts zu – Saakaschwili dankte ab, verliess das Land zuerst mit Ziel USA, dann wurde er in der Ukraine Gouverneur der Region Odessa, und als er danach nach Georgien zurückkehrte, wurde er verhaftet. Jetzt schmachtet er schon seit drei Jahren in einem georgischen Gefängnis, während Iwanischwili aus dem Hintergrund die Fäden des Landes zieht.
Ende des Westkurses?
Bis zum 24. Februar 2022, dem Tag des russischen Grossangriffs auf die Ukraine, schien Iwanischwili seinen «Georgischen Traum» noch auf Westkurs zu trimmen (Aufnahme in die EU als Nahziel, in die Nato als Fernziel), dann bekam er es offenkundig mit der Angst zu tun: EU und noch mehr Nato, das scheinen ja Reizwörter für Wladimir Putin, also könnte Georgien möglicherweise das Schicksal der Ukraine drohen? Der «Georgische Traum» vermied es je länger desto konsequenter, von einer West-Orientierung des Landes zu sprechen. Die Opposition unterstellt der Partei jedenfalls, sie wolle Georgien dem russischen Modell angleichen – entweder, weil Iwanischwili ein geheimer Sympathisant und Kollaborateur Putins sei, oder aus Angst.
Der «Georgische Traum» argumentiert anders – wahrscheinlich würde auch der Drahtzieher der Partei, der Milliardär Iwanischwili, sich so rechtfertigen: Russland ist, nach der Türkei, der zweitwichtigste Handelspartner Georgiens (das bilaterale Handelsvolumen sei seit Februar 2022 um rund 50 Prozent gestiegen, auf jährlich rund 2,5 Milliarden Dollar). Wichtig für Georgien sei ausserdem der Transitverkehr (von Armenien nach Russland) – kurz, Georgien müsse sich einfach im Klaren sein über den Zusammenhang zwischen der geografischen Lage, der Wirtschaft und der Politik.
Dass Georgien auch in Zukunft noch auf Westkurs bleibt, ist nach der Wahl vom Samstag unwahrscheinlich. Die Opposition mag das Resultat des Urnengangs bezweifeln, mag den «Georgische Traum» als Albtraum für das Land bezeichnen und grosse Demonstrationen organisieren, aber Bedsina Iwanischwili wird die Geschicke Georgiens aus seinem Designer-Palast hoch über Tbilissi in eigener Machtvollkommenheit weiter bestimmen.