Am vergangenen Donnerstagabend spät hat der irakische Finanzminister Rafi' al-Issawi eine Pressekonferenz einberufen, die dazu diente, Ministerpräsident Maleki bitter anzuklagen. Der Finanzminister ist ein Sunnite und einer der wenigen sunnitischen Minister, der einem wichtigen Ministerium vorsteht. Issawi erklärte "eine Miliz" habe sein Ministerium überfallen und durchsucht. Sie habe 150 seiner Angestellten und Wächter festgenommen.
Schwere Vorwürfe gegen den Regierungschef
Er, der Finanzminister, könne dem Ministerpräsidenten nicht glauben, wenn dieser ihm weis machen wolle, es habe sich um eine reguläre Polizeiaktion gehandelt, die von den richterlichen Behörden ausgelöst worden sei und unter ihrer Aufsicht stehe. Der "Überfall" sei durch eine "Miliz" Malekis durchgeführt worden. Der Finanzminister erklärte auch, der Ministerpräsident sei nicht fähig, mit anderen Personen zusammenzuarbeiten, er respektiere die Institutitonen und die Legalität nicht.
Empörung unter den Sunniten
Der Finanzminister hat im Palast Zuflucht gesucht, den sein Parteigenosse, der Stellvertretende Ministerpräsident Osama an-Nujaifi, bewohnt. Dieser ist auch ein sunnitischer Politiker, und beide gehören zur "Iraqiya" Partei, das heisst der Parteiformation, in deren Rängen jene Sunniten des Iraqs sich befinden, die bereit sind mit dem Regime zusammenarbeiten.
Die Politiker von "al-Iraqiya" drohten, sie könnten das Parlament boykottieren, und der Finanzminister forderte sie auf, die Vertrauensfrage in der Regierung zu stellen. In den Wahlen von März 2010 hatte "al-Iraqiya" zwei Abgeordnete mehr erhalten als die Partei Malekis. Doch sie hatte keine Koalitionspartner gefunden und hatte daher nach einem mehr als einjährigen Ringen die Regierungsbildung al-Maleki überlassen müssen. Einige ihrer Politiker waren schliesslich zusammen mit Exponenten der Kurden in die Maleki Regierung eingetreten.
Ein angebliches Terrorgeständnis
Am Freitag rief sodann der Sprecher des Obersten Gerichtshofs eine Pressekonferenz ein und erklärte dort, die Leibwächter des Finanzministers seien durch Aussagen anderer Verdächtiger belastet worden und der Chef der Leibgarde, der verhaftet worden sei, habe gestanden, an Terroranschlägen beteiligt gewesen zu sein. Neun weitere Leibwächter seien verhaftet worden. Weitere Angaben wollte der Sprecher nicht machen.
Der Präzedenzfall al-Haschemi
Die Affäre gleicht stark den Ereignissen vom Dezember des vergangenen Jahres. Damals waren die Leibwächter des irakischen Vizepräsidenten Tareq al-Haschemi gefangen genommen worden. Haschemi gehörte auch zur überwiegend sunnitischen "Iraqiaya" Partei. Sie sollen nach den Gerichtsbehörden gestanden haben, an Terroranschlägen beteiligt gewesen zu sein.
Al-Haschemi selbst rette sich zuerst nach Kurdistan, dann in die Türkei. Er ist im vergangenen Septemeber und ein zweites mal im November von einem Gericht zu mehreren Todesstrafen "in absentia" verurteilt worden. Haschemi hat mehrmals öffentlich seine Überzeugung geäussert, seine Leibwächter seien durch Folterungen zu ihren Geständnissen gezwungen worden. Einer von ihnen starb im Gefängnis.
Haschemi ist der Ansicht, sein Prozess sei eine politische Intrigue, dazu bestimmt, Maleki die Alleinherrschaft über den Irak zu verschaffen. Im Frühling 2013 stehen Lokalwahlen im Irak bevor, und Maleki ist im Begriff eine weite gemeinsame Front aller Schiiten zu schmieden, um diese Lokalwahlen zu dominieren.
Zwist auch mit den Kurden
Maleki steht auch in einem politischen Kampf mit den irakischen Kurden, obwohl auch sie seiner Koalitionsregierung angehören. Er hat eine Sondertruppe gebildet, die die "Tigris Brigade" genannt wird und als Aufgabe erhielt, die umstrittenen kurdischen Grenzgebiete, die ganz oder teilweise von Kurden bewohnt sind, aber nicht zu den drei kurdischen Provinzen gehören, die offiziell Autonomie erhalten haben, wieder unter die Herrschaft der Zentralregierung zu bringen.
Diese umstrittenen Gebiete sind seit der amerikanischen Intervention von den Peschmerga, der kurdischen Streitmacht, besetzt. Das wichtigste dieser Gebiete ist die Erdölstadt Kirkuk. Eigentlich müsste das irakische Parlament einen Beschluss darüber fassen, ob diese Gebiete zu Kurdistan oder zum Irak der Zentralregierung geschlagen werden. Doch weil ein solcher Beschluss die Koalition zu sprengen drohte, ist er bisher nie getroffen worden.
Präsident Talabani im Krankenhaus in Deutschland
Die "Tigris Brigade" sollte offenbar vollendete Tataschen zu Gunsten von Bagdad schaffen. Doch die Peschmerga traten ihr entgegen. Es kam zu Schusswechseln, dann jedoch zu Versöhnungsbemühungen. Gegenwärtig stehen sich die beiden Streitmächte kampfbereit gegenüber. Doch den Vermittlern ist es gelungen, einen Kriegsausbruch abzuwenden.
Der kurdische Präsident des Iraks, Jalal Talabani, war in diese manchmal hektischen Vermittlungsversuche stark involviert, bis er einen Herzschlag erlitt. Er wurde am Donnerstag nach Berlin transportiert, um in einem deutschen Spital behandelt zu werden. Talabani hat in den letzten Jahren immer wieder eine zentrale Rolle bei den Aussöhnungsversuchen der verschiedenen feindlichen irakischen Interessen und Gemeinschaften gespielt. Sein Ausfallen wird die gegenwärtige Lage weiter belasten.
Platzt die Koalition?
Im Falle des Vizepräsidenten al-Haschemi hat seine Partei, "al-Iraqiya", nun erneut, zum Boykott des Parlamentes und der Koalitionsregierung aufgerufen. Dieser wurde eine Zeit lang befolgt, doch dann kehrten die Minister und später die Parlamentarier der Sunniten Partei auf ihre Sessel zurück. Es war die Rede von einem Misstrauensvotum. Doch dieses kam nicht zustande, weil die Kurden damals nicht bereit waren, mitzuwirken, sondern vielmehr vermittelten. Diesmal könnte die Sache angesichts der neuen Spannungen mit den Kurden möglicherweise anders ausgehen.
Ob Maleki wirklich glaubt, die Politiker der "Iraqiya", zuerst sein eigener Vizepräsident, dann sein Finanzminister, konspirierten mit den sunnitischen Terroristen, ist ungewiss. Beinahe täglich gehen Bomben im Irak hoch und weitaus die meisten sind gegen schiitsche Zivilisten (Pilger in erster Linie) und gegen Rekruten für die Armee und die Polizei gerichtet, die sich zu stellen gewillt sind. Auch bei ihnen dürfte es sich in erster Linie um Schiiten handeln.
Unter dem Druck der Bombenanschläge
Unter diesen Umständen sucht der Ministerpräsident, gleichzeitig Chef der schiitischen "Da'wa" Partei, natürlich höchst intensiv nach den Tätern.Doch dass diese sich ausgerechnet unter den sunnitischen Politikern befinden sollen, die im Gegensatz zu den radikalen Sunniten, bereit sind, mit der Regierung Malekis zusammenzuarbeiten und das politische Spiel mit ihr zu wagen, ist eigentlich unwahrscheinlich.
Deshalb glauben wohl die meisten Sunniten, kooperationswillige und alle Zusammenarbeit ablehnende, daran, dass Maleki versucht, seine potentiellen politischen Rivalen auszuschalten, indem er ihre Leibwächter foltern lässt, bis sie Zusammenarbeit mit den Terroristen gestehen.
Dies mag zutreffen oder nicht; jedenfalls dienen sowohl das Verhalten des Ministerpräsidenten wie auch die Verdächtigungen seiner Mitarbeiter und Konkurrenten dazu, den Graben zwischen Schiiten und Sunniten im Irak immer mehr zu vertiefen.