Das Wetter könnte an diesem Tag nicht schöner sein: Sonne, ein paar weisse Wolken am Himmel, ein sanfter Wind, kaum Wellengang. Susanne Schmidt seufzt: «Ach, das ist genau das Wetter, das wir während des ganzen Sommers brauchen könnten.» Das sagen sicher viele Leute am Bodensee, aber Susanne Schmidt hat einen ganz triftigen Grund: die Bregenzer Festspiele. Und die Hauptattraktion ist natürlich die Seebühne, die ihren ganzen Zauber an einem lauen Sommerabend ohne Regen und ohne dunkle Wolken entfaltet.
Susanne Schmidt ist Operndirektorin bei den Bregenzer Festspielen, das heisst, sie ist zuständig für fast alles um die Opernaufführungen herum. Und im Laufe der Zeit ist sie auch Wetterspezialistin geworden und spricht wie ein Berufsmeteorologe: «Trockene Fallwinde kommen direkt vom Pfänder zu uns herunter und gehen den Sängern ebenso direkt in den Mund. Da hat sich auch schon mal ein Sänger völlig heiser gesungen. Feuchte Luft ist fürs Singen besser. Aber das kann hier am See auch sehr schnell wechseln.»
Köln, New York, Venedig, Bregenz …
Susanne Schmidt wirkt gut verankert und ist – um es mal salopp auszudrücken – mit allen Wassern gewaschen. Sie kennt sich aus mit klassischer Musik, hat früher Jahre in der Platten-Branche verbracht, kommt aus Köln, hat aber auch in New York, London, und Venedig gearbeitet, dort sogar im berühmten «Teatro Fenice» und ist nun seit zwölf Jahren in Bregenz. Wasser gab es an all’ ihren Stationen, jetzt hat sie aber auch ganz direkt damit zu tun. Kein Wunder also, dass sie eine Wunsch-Oper für die Seebühne hätte: «‚Lucrezia Borgia‘ von Donizetti! Die Geschichte spielt in Venedig, wäre also am Wasser ideal und es gibt schöne, eingängige Musik.» Aber irgendwie hat man sich in der Festspielleitung (noch?) nicht recht dazu durchringen können. Denn um die Seebühne mit ihren 7000 Plätzen zu bespielen, müssen ganz bestimmte Bedingungen erfüllt werden. «Das Wichtigste ist, die richtige Oper für draussen zu finden. Sie muss einen hohen Bekanntheitsgrad haben, damit die Reiseunternehmen nicht abspringen, und sie muss auf rund zwei Stunden Spieldauer kürzbar sein, wenn sie nicht von vornherein schon diese Länge hat. ‚Carmen‘, die jetzt in die zweite Spielzeit geht, liess sich erstaunlich gut kürzen, indem wir die gesprochenen Dialoge auf ein Minimum reduzierten.»
Und auch dafür gibt es natürlich Gründe: Die Vorstellung soll bei Sonnenuntergang beginnen. Dann, beim Eindunkeln, gehen die Scheinwerfer an, eine Pause gibt es nicht und nach etwa zwei Stunden muss das Publikum mit Bussen oder dem ÖV auch wieder zurücktransportiert werden können. Und die Fahrpläne der Bahnen geben da strikte Richtwerte vor. Hinzu kommt der Lärmschutz der Nachbarschaft. Das Richtlinien-Korsett ist also straff geschnürt.
Zauberflöte und Carmen Kopf an Kopf
Bei den absoluten Publikums-Hits in Bregenz gibt es übrigens seit Jahren ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der «Zauberflöte» und «Carmen». Während der nächsten zwei Jahre wird «Rigoletto» gespielt, ein Stück mit vielen Gassenhauern. Anschliessend, also 2020/21, präsentiert Andreas Homoki, der Intendant des Zürcher Opernhauses, mit «Madame Butterfly» seine erste Seebühnen-Inszenierung. Die Produktionen auf der Seebühne werden immer im Zweijahres-Rhythmus gespielt. Dieses Jahr gibt es die derzeit aktuelle «Carmen» also zum zweiten Mal. Und kaum hatte der Vorverkauf begonnen, war praktisch alles ausverkauft. «Carmen» kennt das Publikum, «Carmen» liebt das Publikum. Schwieriger war es, als man vor sechs Jahren «André Chénier» auf der Seebühne programmiert hatte. «Da hat uns der Bus-Tourismus im Stich gelassen», sagt Susanne Schmidt und denkt nur ungern daran zurück. «Das individuelle Publikum ist gekommen, manche sogar zweimal. Aber die Reiseunternehmen haben gesagt, wenn die Leute anrufen und den Titel der Oper nicht kennen, haben wir die anderthalb Minuten nicht, um ihnen zu erklären, dass es um die französische Revolution geht und dass man die Arie auch aus dem Film ‚Philadelphia’ kennt. Da hatten wir Ebbe in der Kasse und seither bin ich ein gebranntes Kind.»
An den anderen Spielorten, also im Festspielhaus oder auf der Werkstattbühne, darf man abenteuerlicher spielen, betont Susanne Schmidt. Thematische Verbindungen zwischen den verschiedenen Produktionen sind durchaus erwünscht, aber keine Pflicht. «In diesem Jahr sind es die Frauen», sagt Schmidt «Ob ‚Maria di Buenos Aires‘ oder ‚Carmen‘, es sind Frauen, die mit dem Rücken zur Wand stehen und unterschiedlich reagieren. Oder diese arme ‚Beatrice Cenci‘ und ihre Mutter. Die hatten damals einfach nichts zu vermelden und wenn sie sich gewehrt haben, sind sie fortgeschickt worden. Wenn ich da in den Proben sitze, bin ich froh, dass ich als Frau im 21. Jahrhundert lebe…»
Chancen und Tücken der Seebühne
Neben der Auswahl der Stücke ist natürlich auch die Auswahl der Sängerinnen und Sänger anspruchsvoll. Auf der Seebühne zu singen, ist etwas anderes als auf einer normalen Opernbühne. Bei den Künstlern sind die Engagements sehr beliebt. «Das liegt natürlich auch daran, dass man auf der Seebühne bei Hauptrollen bis zu zehn Vorstellungen bekommt, bei kleineren Rollen sogar bis zu 14 Vorstellungen. Das rentiert sich. Und im ersten Jahr ist man auch medienmässig sehr präsent, das ist für die Sänger als Sprungbrett interessant. Rolando Villazon zum Beispiel hatte hier bei uns sein europäisches Debut als Rodolfo in der ‚Bohème‘». Aber eben: nicht jeder ist geeignet für die Seebühne.
«Sänger und Sängerinnen, die für die Seebühne in Frage kommen, versuche ich vor einem Engagement persönlich zu treffen. Wenn man beispielsweise der ‚Micaela‘ in der ‚Carmen‘ erklärt, dass sie in 20 Metern Höhe steht, sagt ihr das vielleicht nicht viel. Wenn man aber fragt, wart ihr im Schwimmbad schon mal auf dem 10-Meter-Sprungbrett, und das mal zwei, dann bekommt ihr eine Vorstellung. Ihr seid zwar angegurtet, habt aber nichts im Rücken, und die Micaela hat ihre grösste Arie dort oben. Das ist schon ein Wahnsinn … Wir sagen immer, die Sänger dürfen keine Höhenangst haben und keine Angst vor Wasser.» Es gab schon einen Fall, in dem man der Sängerin erst noch eine Schwimmlehrerin zur Seite gestellt hat, bevor sie singen durfte. Obwohl: dass jemand wirklich ins Wasser fällt, passiert äusserst selten. Ein Papageno ist mal im Wasser gelandet und auch ein Darsteller aus dem «Maskenball». Beide waren aber schnell wieder im Trocknen, und zwei Taucher sind sicherheitshalber in jeder Vorstellung dabei. «Einmal hat sich ein Sänger aber auch mit einem Schwan angelegt», erinnert sich Schmidt. «Die Schwäne kommen gern, weil in den Sicherheitsnetzen immer Grünzeug hängen bleibt. Wir sagen den Sängern immer, sie sollen gebührenden Abstand zu den Schwänen wahren.»
Aufführungen bei den Bregenzer Festspielen sind also für Zuschauer und Sänger auf unterschiedliche Weise an Bedingungen geknüpft, die man in einem Opernhaus nicht kennt. Und trotzdem: «Wenn das Orchester sich abends einstimmt, das Licht angeht und wenn die 7000 Zuschauer ganz still werden, dann ist das einfach Magie», sagt Susanne Schmidt und schaut fast etwas verklärt zur Bühne hin. «Die wenigsten sind ja Opern-Spezialisten, und trotzdem können wir sie mit diesem Zauber erreichen und sie merken, dass sie richtig gute Qualität bekommen. Und wenn es ein bisschen regnet, so wenig, dass wir nicht abbrechen müssen, dann werden Sound und Licht in der Feuchtigkeit noch magischer und es gibt unheimlichen Applaus am Schluss!» Susanne Schmidt denkt noch einen Moment nach und sagt dann fast etwas verstohlen: «Aber ich habe mediterrane Nächte am See trotzdem lieber ….»
Bregenzer Festspiele
18. Juli–19. August
«Carmen» auf der Seebühne
«Beatrice Cenci» im Festspielhaus
«Maria de Buenos Aires» Werkstattbühne
www.bregenzerfestspiele.com