Der gemeinsame Weg, einer Seilschaft gleich, führt vom Ausbruch aus dem Stadtleben über Zweifel, Aufstieg, Idylle, Engpass, allenfalls Katastrophe auf den Gipfel und über den Abstieg zurück zur Heimkehr. Ein Wechselbad der Gefühle, das uns erleben lässt, dass wir uns bis zum Endpunkt des Parcours wahrscheinlich verändert haben. Der freudige Empfang bei der Rückkehr ins Tal ist auch musikalisch pompös. Alle erwarten die Helden mit Spannung und Applaus. Die Leute strömen zusammen, es wird umarmt, Kirchenglocken läuten – eine Bergtour kann aber auch Verletzung oder Tod bedeuten. Vieles kann uns verändern, innerlich und äusserlich, einiges ist gewonnen, aber vielleicht auch verloren.
Collage aus 108 Filmen
Die spektakuläre Präsentation im Alpinen Museum ist gleichzeitig eine Reise durch rund hundert Jahre Bergfilme: Rund 240 Werke – das älteste von 1917 (Stummfilm „Der Bergführer“), das neuste 2014 („Schweizer Helden“) – wurden visioniert und Ausschnitte aus rund hundert Filmen verwendet. So gibt es ein Wiedersehen mit bekannten, aber auch weniger bekannten Streifen wie beispielsweise „Füsilier Wipf“, „Farinet“, „Schellen-Ursli“, „Les petites fuges“, „Die weisse Majestät“, „An heiligen Wassern“, „Höhenfeuer“, „Der Berg“, „Pestalozzis Berg“, „Sennetuntschi“, „Mein Name ist Eugen“, „Si le soleil ne revenait pas“, „Der grüne Heinrich“, „Brandnacht“, „Seilbahn“ oder „Die schwarzen Brüder“, um nur einige zu nennen. Je nach Generation führt das zu überraschenden oder vertrauten Begegnungen.
Da die Begehungen immer in geschlossenen Gruppen stattfinden, ist die erste Station ein Warteraum, wo sich die „Wanderer“ besammeln. Zur Überbrückung bis zur nächsten Begehung kann es kürzere Wartezeiten bis maximal zwanzig Minuten geben, in denen Werbespots aus früheren Zeiten rund um die Bergsteigerei ablaufen, durchmischt mit der einführenden Präsentation durch den mehrsprachigen Komiker Vicent Kucholl aus der Westschweiz.
„Ich habe über hundert Stunden lang Filme angeschaut, obwohl wir uns die Aufgaben unter zwölf Personen aufgeteilt haben,“ erzählt Antoine Jaccoud, Drehbuchautor und Konzeptionist der Ausstellung gegenüber Journal 21. An diesen Vorarbeiten war unter anderen auch die Zürcher Hochschule der Künste beteiligt. „Aufwändig war bei der Realisierung vor allem der ständige Kontakt mit den Cuttern einerseits und Ausstellungsmachern andererseits, weil es diese Form bisher ja nicht gegeben hat und wir vieles erst zusammen entwickeln mussten.“
Nach wie vor Museum und nicht Kino
Museumsdirektor Beat Hächler unterstreicht diesen Punkt: Im Kino entwickelt der Film die Dramaturgie und die Spannung für die Zuschauer, hier im Museum sind es die Besucherinnen und Besucher, die sich in den zehn Räumen immer weiter fortbewegen, die Dramaturgie weiter treiben. Doch bei all dem bleibt der Berg der Hauptdarsteller. Die Bergtour ist Metapher für Aufstieg und Fall, für Leben und Tod, Sinnsuche und Veränderung, Schicksal und Grenzsituation schlechthin. Ein grosses Verdienst an der gelungenen Collage, die ohne Worte nur mit Musik und Geräuschen auskommt, hat besonders Marcel Derek Ramsay, ein erfahrener Cutter, der zahlreiche Filme, vor allem für TV-Trailer und Kinowerbung, montiert hat.
Und welches Verhältnis hat Antoine Jaccoud, der Umsetzer dieses weltweit einzigartigen Konzepts, zu den Bergen? War er jemals Extremkletterer? „Keineswegs“, kommt es fast im entschuldigenden Ton daher. „Ich habe zwar vor Jahren einmal die ‚Haute Route’ gemacht und ich liebe die Berge – aber als erfahrenen Alpinisten würde ich mich nicht bezeichnen. Als Drehbuchautor habe ich hingegen sehr viele neue Entdeckungen über das Schweizer Filmschaffen gemacht, das viel reicher ist, als ich vermutet habe. Ich habe erst richtig gespürt, welche grosse Bedeutung die Berge in der Filmkultur unseres Landes haben – sehr oft auch in Filmen, wo man es vom Titel her gar nicht vermutet. Beeindruckend: Das Schweizer Filmschaffen hat viel öfter als man meint, Berge als Darsteller oder als Background.“
Alpines Museum der Schweiz in Bern: “Die Erweiterung der Pupillen beim Eintritt ins Hochgebirge“ – eine Filmcollage, 3. Oktober 2015 bis 7. August 2016.
Interessierte finden weitere Informationen zur Geschichte der Bergfilme in einer Sonderausgabe der Zeitschrift „Film Bulletin“, die – wie auch zahlreiche DVDs der erwähnten Filme – im Museumsshop bezogen werden kann.