Sowohl Kroatien wie die EU kämpfen mit weitaus mehr Problemen, als man zur Zeit des Beitrittsbeschlusses gedacht hatte. Beobachter vor Ort berichten von der schlechten Verfassung der Wirtschaft und der staatlichen Institutionen in Kroatien. Zudem fehlt in Kroatien die Bereitschaft, sich endlich mit der eigenen dunklen Vergangenheit auseinanderzusetzen.
Die vielen Probleme der EU
Erschwerend kommt hinzu, dass der Beitritt Kroatiens in die Zeit der grössten Krise der Europäischen Union fällt. Der Euro steht in Frage Zwischen Geber- und Schuldnerländern haben sich gefährliche Ressentiments gebildet. Wichtige Voraussetzungen für eine politisch und wirtschaftlich gesunde EU sind nicht mehr selbstverständlich: Nicht nur wie, sondern auch ob die kriselnden Mittelmeerländer wieder zu wettbewerbsfähigen Teilnehmern im Binnenmarkt werden können, ist eine offene Frage. Wird die EU die sichtbar gewordenen Unterschiede zwischen den Mentalitäten des Südens und des Nordens überwinden können? Kann die EU das Vertrauen ihrer Völker zurückgewinnen? Reicht ihre Kraft zur Bewältigung aller dieser Aufgaben aus?
Man erlaube dem Europagläubigen, der ich immer noch bin, neben die Kriesensymptome auch ein paar positive Elemente zu stellen. Erst zusammen geben sie das Bild vom Gesamtzustand der EU heute, der ein neues Gleichgewicht sucht..Ohne Gewähr, es zu finden.
Krise ist nicht Untergang
Aber „Krise“ ist nicht „Untergang“. Krise ist Krise. Eine Krise kann zum Untergang führen muss aber nicht. Denn aus einer Krise kann, wenn sich die Politiker zu mutigen Visionen und Taten überwinden, ein neuer Aufschwung entstehen. Im Augenblick erwecken die Politiker nicht diesen Eindruck, aber ausgeschlossen ist es nicht.
Sie haben mehr Zeit als man denkt: Die EU wird nicht von einem Tag auf den anderen implodieren. Ihre Krise hat einen chronischen Aspekt, nicht einen abrupten. Sie wird noch Jahre dauern, und so lange können sich die Politiker auch zusammenraufen. In ihren bisherigen sechzig Jahren haben bisher alle Krisen in der früher EG genannten EU, fast ein Dutzend, neue Lebensgeister geweckt, meistens nach enervierend vielen Jahren, und sie dann entgegen aller Erwartung auf höhere Ebenen geführt, zu mehr Einigung und stärkerer Zusammenarbeit. Garantiert war das nie und ist es auch heute nicht. Heute sieht es noch grauer aus als früher, die Verlegenheiten scheinen grösser, die Auswege erst in den Anfängen, die Lösungen erst auf Probe ohne Gewähr des Gelingens, die Politiker uneinig und unentschlossen.
Ein Traum von Generationen
In allen Krisen gibt es aber neben den akuten Symptomen auch die Einbettung in grössere und längerfristige Zusammenhänge. Die Zeitgenossen, vor allem die aktualitätsverwöhnten von heute, beachten sie nicht, aber sie sind ebenso wirkungsmächtig. Kroatiens Staatspräsident Ivo Josipovic hat dazu in seiner Festrede einen denkwürdigen Satz gesprochen: „Nicht nur der Traum der heutigen Generation Kroatiens geht in Erfüllung, sondern auch jener vieler vorangegangener Generationen:“
Josipovic weitet mit diesem Satz den beschränkten Blick in eine Vergangenheit aus, die vom heutigen Europa brutal absticht. Der heutige Zustand Europas ist ein auf dem ganzen Kontinent herrschender Frieden. Ohne die seit Jahrhunderten wiederkehrenden Schlachtfelder mit Hunderttausenden Toten und elend daliegenden Verwundeten, auf dem Balkan genau so grausam wie im übrigen Europa. Ohne die Armeen und Söldnerscharen, welche Europas Landschaften, Dörfer und Städte mit Hass, Grausamkeiten und Brutalitäten übersäten. Und kein realistischer Beobachter wird das leugnen: Diesen unwahrscheinlich gewaltlosen Zustand Europas verdanken wir der EU-Konstruktion. Sie hat mit ihren Institutionen und Wirtschaftsharmonisierungen die Länder Europas von West bis Ost zu friedlicher Zusammenarbeit in dauernden Institutionen zusammengebracht.
Die erstaunliche Wandlung des Balkans
Eine einzige europäische Region fehlt noch. Der Balkan. 1991 bis 1999, bis vor 14 Jahren, haben sich die Länder des Balkans, des auseinanderfallenden Jugoslawiens, besinnungslos nationalistischem Hass hingegeben und abgeschlachtet. 1999 wurden diese Kriege unter Führung der Amerikaner für immer gestoppt. Und seitdem wollen alle diese Länder EU-Mitglied werden. Absolute Bedingung der EU ist aber, dass sie auf Gewalt verzichten. Seit 1999 hat kein balkanischer Staat mehr einen anderen militärisch angefallen. Mit viel Zögern und nach manchen Rückschlägen haben sie miteinander diplomatisch und politisch korrekte Beziehungen geknüpft, zögernd aber kontinuierlich.
Für eine Aufnahme in die EU ist Gewaltlosigkeit natürlich nicht ausreichend, es muss auch die Integration in die Institutionen und den Binnenmarkt ausgehandelt werden. Nach Slowenien ist Kroatien das zweite balkanische Land, welches diese Bedingungen erfüllt und EU-Mitglied wird.
Alle Länder Europas... ausser einem
Aber alle anderen Balkanländer: Serbien, Bosnien, Mazedonien, Montenegro, Kosovo und Albanien wollen auch EU-Mitglied werden und hüten sich, ihre jahrhundertealten Hass- und Kriegs-Phantasmen wiederaufleben zu lassen. Allen hat die EU Beitrittsverhandlungen zugesagt, die zweifellos, wenn auch erst nach Jahren, zu ihrem Eintritt in die EU führen werden. Dann wird die EU sämtliche Länder Europas ausser der Schweiz umfassen.
Kroatien und Serbien haben 1991-95 noch einen grausamen Krieg gegeneinander geführt. Grosse Teile der serbischen Bevölkerung neigen immer noch zu nationalistischen Gefühlen gegen die Kosovaren und Kroaten. Zur Beitrittsfeier Kroatiens kam auch der Präsident Serbiens. Todfeinde von Jahrhunderten wohnen gemeinsam einer europäischen Feierstunde bei.