Die Stadt Washington DC, Sitz des Weissen Hauses, hat am 8. November zu 90 Prozent Hillary Clinton gewählt. Landesweit hat die Demokratin fast 2,9 Millionen Stimmen mehr gewonnen als ihr republikanischer Opponent. Hätten sich in den drei Wechselstaaten Wisconsin, Michigan und Pennsylvania lediglich einige Zehntausend Wählerinnen und Wähler anders entschieden, Clinton wäre heute die erste Präsidentin der USA.
Dass sie es nicht ist, hat sie sich weitgehend selbst zuzuschreiben. Nicht den Umfrage-Ergebnissen, die allenfalls einen Teil ihrer Anhängerschaft in falscher Sicherheit wiegten und zur Stimmabstinenz bewegten. Nicht den Medien, die Donald Trump und dessen Eskapaden Gratispublizität in nie zuvor gekanntem Umfang bescherten. Und nicht FBI-Direktor James Comey, dessen widersprüchliche, Clintons Mailserver betreffende Episteln im Wahlkampf unnötig für Unruhe sorgten.
Ferner auch nicht der Institution des Electoral College, dessen Existenzberechtigung zwar fragwürdig ist, dessen wenig repräsentative Mechanismen aber alle Beteiligten kannten. Und nicht mutmasslich vom Kreml inspirierten Hackerangriffen, die unter anderem offen legten, wie Clinton-hörig die demokratische Parteiführung im Wahlkampf war.
Kein Gehör für Dissidenten
Inzwischen ist bekannt, dass demokratische Aktivisten in den drei Staaten, deren Stimmen am Ende die Wahl entschieden haben, aufgrund ihrer Erfahrung vergeblich versuchten, Hillary Clinton zu warnen, dass es für sie schwierig werden könnte, jene Leute an der Parteibasis zu erreichen, die zwar Bernie Sanders liebten, die frühere First Lady aber nicht mochten. Sie hätten, sagen die Aktivisten, dem Clinton-Lager rechtzeitig ihre Unterstützung angeboten, seien aber zurückgewiesen worden.
„Sie haben uns in diesen drei Staaten schlicht ignoriert, während wir während Monaten die Alarmglocken läuten liessen“, berichtet Nomiki Konst, eine progressive Aktivisten und Sanders-Anhängerin: „Wir haben zueinander gesagt, ‚Wieso, verdammt nochmal, lassen sie uns ins Leere laufen? Sie brauchen diese Stimmen (der weissen Arbeiterschaft) dringender als alle anderen‘.“
Denn sie, die Aktivisten, seien aufgrund von Meinungsumfragen zum Schluss gekommen, Hillary Clinton würde verlieren, falls sie nicht jene bodenständigen Themen anspreche, die Bernie Sanders aufs Tapet brachte: „Wir haben nur helfen wollen – denn niemand wollte einen Präsidenten Donald Trump.“ Sie hätten ein düsteres Bild gezeichnet, aber Clintons Mitarbeiter hätten agiert, als wüssten sie nicht, was vorging: „Es war, als hätten sie alle Erkenntnisse, was Wahlkampf betrifft.“
Fehleinschätzung mit Folgen
„Ein Schinkensandwich könnte Donald Trump schlagen“, hatte eine Sanders-Anhängerin aus Michigan prophetisch auf ihr Transparent gemalt, als sie im Juli vor dem Wells Fargo Center in Philadelphia protestierte, wo die Demokraten ihren Parteikongress abhielten und erstmals in der Geschichte der USA eine Frau zur Präsidentschaftskandidatin kürten: „Und Hillary Clinton kann Donald Trump nicht schlagen.“ Bei einer Diskussionsveranstaltung an der Harvard University nach dem Urnengang sollte Robby Mook, Clintons Wahlkampfmanager, später einräumen: „Wir haben die weissen Wählerstimmen nicht richtig eingeschätzt.“
Derweil ist trotz anderslautender Gerüchte wenig wahrscheinlich, dass Hillary Clinton nächstes Jahr als Bürgermeisterin New Yorks kandidieren wird – in einer Stadt, deren Bewohner am 8. November 2016 zu 79 Prozent für sie gestimmt haben. Zwar zweifeln nur wenige, dass sie in der parteiinternen Vorwahl Amtsinhaber Bill de Blasio deutlich schlagen würde, gegen den wegen angeblichen Spendenmissbrauchs ermittelt wird. Doch für jemanden mit ihren politischen Ambitionen wäre es ein Abstieg, wie angesehen das New Yorker Bürgermeisteramt sein mag und was für Möglichkeiten es ihr auch immer einräumen würde, Donald Trump auf allerlei Art zu ärgern. „Sie ist eine Kreatur der Strasse, der Hosenanzüge und der Politik. Sollte sie diese drei Dinge nicht wiederkriegen?“, fragt denn ironisch ein Kolumnist der „New York Times“.
Nachdem der Kongress in Washington DC vergangene Woche die Stimmen der Elektoren nachgezählt hat (304 Voten für Trump, 227 für Clinton, bei erforderlichen 270 Stimmen), steht einer Amtseinsetzung des New Yorker Milliardärs am 20. Januar nun nichts mehr im Wege. Lediglich zwei „treulose“ republikanische Elektoren stimmten aus Protest nicht für Donald Trump, während fünf Demokraten Hillary Clinton ihre Stimme verweigerten, vier unter ihnen aus Washington State, die jetzt mit 1000 Dollar pro Kopf gebüsst werden.
Absenz der Prominenz
Wie fast alles, was Donald Trump betrifft, ist auch dessen Amtseinsetzung ein Thema, das polarisiert. Das zeigt sich unter anderem darin, dass es seinem Team nicht gelingen will, hochkarätige Künstler zu gewinnen, die willens sind, anlässlich der Feier in der amerikanischen Hauptstadt aufzutreten – ein Umstand, der den designierten Präsidenten mächtig ärgern soll. Die einen Prominenten wie Beyoncé oder Bruce Springsteen, als Clinton-Sympathisanten bekannt, wurden gar nicht erst angefragt, andere wie Elton John, Tenor Andrea Bocelli oder Country-Sänger Garth Brooks lehnten dankend ab.
Kaum eingeladen werden dürfte Hollywood-Star Alec Baldwin, der Donald Trump in der populären Satiresendung „Saturday Night Life“ auf dem Fernsehsender NBC zu persiflieren pflegt. Der Schauspieler hatte verlauten lassen, er sei bereit, am 20. Januar aufzutreten, falls er den Song „Highway to Hell“ der Band AC/DC singen dürfe. PR-Mann Howard Bragman zufolge ist ein Auftritt für Trump ein politisches Statement und beinhaltet für Künstler, die auftreten, das Risiko, ihre Fans zu verärgern.
Dagegen kritisieren konservative Kommentatoren die Absenz von Hollywood-Prominenz als Akt der Intoleranz. Viele Amerikaner hätten noch immer nicht begriffen, dass Donald Trump ihr 45. Präsident werde, und hätten das auch noch nicht akzeptiert. Kein Wunder, würden sie auch keine Unterhalter akzeptieren, die bei der Amtseinsetzung auftreten. Dagegen sollte der 20. Januar doch „ein aufregender Moment für Amerika“ sein.
Zurückhaltend wie Amerikas Entertainer reagieren punkto Amtseinsetzung auch Washington DCs Haus- und Wohnungsbesitzer, die ihre Immobilien in Erwartung eines Sieges von Hillary Clinton auf der Internet-Plattform Airbnb angeboten hatten. Inzwischen aber ist die Mehrheit früherer Reservationen rückgängig gemacht worden, teils happigen Kündigungsgebühren zum Trotz. Jetzt aber sind viele Vermieter in DC nicht mehr bereit, Trump-Anhängern ihre Tür zu öffnen, und haben ihre Offerten zurückgezogen. „Kein Geld dieser Erde könnte mich veranlassen, meine Meinung zu ändern“, zitiert der konservative Blog „hotair.com“ eine einheimische Wohnungsbesitzerin: „Moralische Grundsätze sind mir wichtiger.“
Berechtigte Zweifel
Professionelle oder persönliche Empfindlichkeiten, die Donald Trump betreffen, sind das eine, Bedenken, die seine Eignung für das Präsidentenamt angehen, das andere. Um solche Zweifel zu zerstreuen, hat der designierte Präsident in jüngster Zeit nur wenig getan – mit Ausnahme einer Äusserung, in der er die Opportunität anzweifelte, die Kompetenzen eines unabhängigen Amtes in Washington DC zu beschneiden, das ethische Verfehlungen von Parlamentariern untersucht.
Die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus hatte als eine ihrer ersten Amtshandlungen für ein solches Vorgehen gestimmt, machte den Plan aber rückgängig, nachdem Donald Trump die Initiative in zwei Tweets unter dem Hashtag „den Sumpf trockenlegen“ kritisiert hatte: „Konzentriert euch lieber auf die Steuerreform, die Gesundheitsversorgung und so viele andere Dinge, die viel wichtiger sind.“ Trumps Tweets waren nicht weniger als 21 Millionen Mal geteilt worden, was viele Wählerinnen und Wähler dazu veranlasste, ihre Abgeordneten mit empörten Anrufen einzudecken.
Nicht immer aber liegt „the Ernest Hemingway of Twitter“, wie laut Trump die Leute ihn nennen, mit seinen Botschaften richtig. Am 3. Januar zum Beispiel warf der künftige Präsident General Motors in einem Tweet vor, ein bestimmtes Modell der Marke Chevrolet in Mexiko herzustellen und steuerfrei in die Vereinigten Staaten zu importieren: „Produziert in den USA oder zahlt viel Einfuhrzoll!“ Das Unternehmen, dessen Aktienkurs in der Folge um 0,07 Prozent fiel, sah sich zu einem Dementi gezwungen und teilte mit, dass sämtliche Limousinen des entsprechenden Modells in Lordstown (Ohio) produziert würden und lediglich eine begrenze Anzahl Cabriolets in Mexiko hergestellt werde, die jedoch für den Weltmarkt bestimmt seien.
Trumps Twitter-Waffe
Corey Lewandoski, Trumps früherer Wahlkampfmanager, nennt Twitter eine „äusserst mächtige Waffe“ in den Händen des designierten Präsidenten: „Donald Trumps Twitter-Konto ist die einflussreichste Kanzel, die es je gegeben hat. Mit 140 Zeichen kann er die Geschäftspolitik eines grossen Unternehmens in eine andere Richtung lenken, kann er Weltführer direkt erreichen und Regierungsämter wissen lassen, dass die Dinge nicht mehr wie gewohnt laufen.“ Doch nicht alle Adressaten von Trump-Tweets teilen diese Einschätzung. Chinas Staatsmedien zum Beispiel haben unlängst verlauten lassen, Donald Trumps „Aussenpolitik via Twitter“ gleiche einem „Kinderspiel“.
Längst nicht ausgeräumt sind neben Zweifeln an der Eignung für das Amt auch Donald Trumps Entscheide, was die Zusammensetzung seines Kabinetts betrifft. Dessen Mitglieder sind fast ohne Ausnahme reich, weiss und männlich – eingesetzt „nicht um zu regieren, sondern um zu zerstören“, wie eine Kolumnistin der „New York Times“ schrieb. Noch muss der Senat wichtige Posteninhaber bestätigen und kann der eine oder andere Nominierte wie der designierte Aussenminister und frühere Exxon-Chef Rex Tillerson oder der vorgesehene Justizminister und Senator Jeff Sessions in Schwierigkeiten geraten.
Der Unsicherheitsberater
Nicht bestätigt werden aber muss der Sicherheitsberater im Weissen Haus, ein Amt von kaum zu unterschätzender Wichtigkeit angesichts des Umstands, dass Donald Trump über keine aussenpolitische oder diplomatische Erfahrung verfügt. Mit Michael T. Flynn aber hat dieser einen früheren Drei-Sterne-General nominiert, dessen öffentlich geäusserte Ansichten zwischen kurios und abstrus schwanken und der fest an Verschwörungstheorien glaubt.
So ist der 58-Jährige überzeugt, Islamisten seien en masse über die mexikanische Grenze in die USA eingedrungen. Er glaubt auch, Demokraten hätten in gewissen Landstrichen Floridas das Gesetz der Scharia eingeführt. Ferner hat er einen Tweet geteilt, wonach Hillary Clinton möglicherweise in einen Kinderhändlerring involviert war.
Solche Ansichten nannten seine Untergebenen beim Geheimdienst der US-Armee „Flynn-Fakten“, was für sie das Gegenteil von Wahrheit bedeutete. Der „New York Times“ zufolge hat Michael Flynn seine Mitarbeiter in einer Sitzung einst wissen lassen, er habe immer recht. Gnade Gott, einer wie er berate Donald Trump in einer Krisensituation.