Man sieht es ihm nicht an, dass er Stunden, Tage und Nächte an der neuen Orgel der Zürcher Tonhalle verbracht hat. Das spricht wahrscheinlich für die Orgel …, aber auch für das Durchhaltevermögen von Christian Schmitt und seine Liebe zum Instrument. Frisch sieht er aus, voller Energie und Freude.
Christian Schmitt ist international einer der besten und gefragtesten Organisten und die neue Orgel ist ein bisschen auch sein Kind. Vier Jahre lang hat er das Werden der Orgel begleitet – und jetzt darf Christian Schmitt das Kind an drei Konzerten aus der Taufe heben. Wobei das «Kind» eine mächtig grosse Orgel ist und das Prunkstück im neu-renovierten Tonhalle-Saal.
Orgel-Experte für die Tonhalle
Begonnen hat die Liaison für Christian Schmitt mit einem Anruf von Hans Syz von der Baugarten-Stiftung in Zürich. Sie ist Spenderin und Auftraggeberin der Orgel. «Herr Syz fragte mich, ob ich als Orgel-Experte zur Verfügung stehen würde, weil der bisherige Organist Peter Solomon gern noch jemanden dabeihätte, der Konzert-Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Orchestern hat. Ich spiele seit zehn Jahren bei den Berliner Philharmonikern die Orgel und auch bei den Bamberger Symphonikern. Eine Orgel im Orchester zu spielen ist etwas ganz anderes als Orgel allein. Viele Konzertsaal-Orgeln sind von hochrangigen Experten disponiert worden, die aber nicht im Orchester spielen. Es sind oft Hochschulprofessoren, die das Feld des Begleitens, des Zusammenspielens und Verschmelzens weniger gut kennen als jemand wie Peter Solomon, der das seit 20, 30 Jahren macht und die Bedürfnisse von Dirigenten kennt. Bei der Probe heute gab es ein sehr gutes Einverständnis mit Paavo Järvi, bei dem ich erahne, was er haben möchte. Dafür braucht man halt 15, 20 Jahre Erfahrung und diese Erfahrung von Peter Salomon und mir ist in diese Orgel geflossen.»
Mit elf Jahren an der Kirchenorgel
Obwohl Christian Schmitt noch so jugendlich wirkt, bringt er tatsächlich schon viel Erfahrung mit. «Ich habe mit sieben Jahren angefangen, elektronische Orgel zu spielen», erzählt er. «Das war ein Instrument der 80er-Jahre, das in vielen deutschen Wohnzimmern gestanden hat. Mein Vater ist Hobbymusiker und spielte Posaune. Da habe ich mit acht Jahren zusätzlich Trompete gelernt. Als ich elf Jahre alt war, hat meine Cousine geheiratet und ich habe im Gottesdienst die Orgel gespielt. Ein paar Lieder konnte ich schon, also ‘Lobet den Herrn’ und solche Sachen … Da sagte der Organist zu mir, wunderbar, da kannst du mich auch mal vertreten. Dafür gab es zehn Mark und das spornte einen Elfjährigen natürlich an. Mit 13 hatte ich dann schon meine erste Stelle als Kirchenmusiker mit wöchentlichen Diensten und mit 15 habe ich bis zu acht Messen pro Woche gespielt.»
Nach dem Abitur gab es erst mal eine Zwangspause. Mit dem Orgel-Üben hatte er es etwas übertrieben und eine Sehnenscheidenentzündung in beiden Armen legte ihn lahm. Jura studieren, das wäre vielleicht auch noch etwas, dachte er damals, ist dann aber doch bei der Musik geblieben. «Mit 28 bin ich freiberuflicher Musiker geworden und dachte, es wäre doch schön, die ‘Konzertreife Orgel’ auch zu leben. Und nach 15 Jahren kann ich sagen, ich würde es wieder so machen.»
Spannende Klangkombinationen
Für viele ist die Orgel vor allem ein frommes Kircheninstrument. «Sie muss nicht, sollte aber auch fromm sein», sagt Schmitt, «Es gibt viele Konzertstücke, wo die Orgel effektvoll eingesetzt wird. Brahms hat zum Beispiel eine Fassung seines Requiems geschrieben mit obligater Orgel. Das ist dann schon sehr mystisch mit den Streichern am Anfang oder wenn die grosse Fuge ‘Tod, wo ist dein Sieg’ zu Ende geht und die Orgel zusammen mit dem Orchester triumphal einsetzt. Aber natürlich gibt es auch moderne Orgel-Literatur mit ganz besonderen Klangfarben und obertonreichen Mixturen. Klangkombinationen, die sehr spannend sind, gerade in der Orgelnacht am Samstag, mit Musikern des Orchesters, solo, mit Schlagzeug oder auch Orgel&Klavier zusammen.» In den Orgel-Einweihungskonzerten gibt es auch die Uraufführung eines Werkes des Lausanners Richard Dubugnon und die berühmte Orgelsinfonie von Camille Saint-Saëns.
Das prächtige Instrument ist ein Werk des Männedorfer Orgelbauers Kuhn. «Die Orgel ist Weltklasse», betont Christian Schmitt, der den Orgelbau vier Jahre begleitet hat. «Das war auch ein Findungsprozess, es gibt so viele spannende Details, Diskussionen mit dem Orgelbauer, wie sieht der Spieltisch aus, wie gross wird das Instrument, welche Farbgebung … man ist ein kleiner Architekt der Orgel.»
Christian Schmitt strahlt übers ganze Gesicht. Bei so einem Orgelbau mitgewirkt zu haben … «das ist ganz wunderbar!» … fällt er mir gleich ins Wort. «Es war eine Superzusammenarbeit, wir verstehen uns sehr gut und wissen, was es braucht, damit die Orgel festlich, rund und krönend klingt und nicht plärrt. Es muss ein Hochgenuss bleiben, wenn das volle Orchester mitspielt und die Leute im Publikum dürfen nicht sagen: oh, jetzt tun mir die Ohren weh …»
Eine Orgel und viele Möglichkeiten
Organist ist doch eigentlich ein wunderbarer Beruf, denn man kann mit kleinem Gepäck reisen. Die Orgel ist schon da. «Aber jede Orgel ist anders», wirft Schmitt ein. «Das ist wie bei einem Sternekoch, der in eine fremde Küche kommt. Er muss sich erst mit den Geräten und Zutaten sehr gut vertraut machen.» Christian Schmitt hat mittlerweile viele verschiedene Orgeln gespielt. Bei einigen kommt er sofort ins Schwärmen. «Es gibt ja viel Orgel-Literatur aus der französischen Romantik und ich habe etliche Aufnahmen an der historischen Cavaillé-Coll-Orgel gemacht. Oder auch die Silbermann-Orgel in Freiberg in Sachsen. Auch die KKL-Orgel ist wunderbar.»
Die neue Zürcher Orgel hat nun aber ganz andere Möglichkeiten zu bieten – neben dem perfekten Klang. «Sie ist für das gesamte Repertoire geeignet. Bach, vor-barocke oder romantische Musik, das geht alles extrem gut, und auch an die Moderne hat man gedacht. Nach dem neuesten Stand der Technik kann man auch Loops machen und für die Musik des 21. Jahrhunderts Instrumente wie Synthesizer anschliessen. Man kann auch spielen und sofort aufnehmen, da die Orgel einen Computer besitzt. Eine tolle Hilfe.»
Da haben sich zwei gefunden, die zusammengehören, denkt man, wenn man Christian Schmitt über die neue Tonhalle-Orgel schwärmen hört. «Ja genau!», bestätigt er. «Es ist halt ein spannendes Instrument, weil es so viel Klänge und so viele Möglichkeiten bietet. Und dies alles hier in der prächtigen Tonhalle, wo das Publikum einen auch sieht, dazu die wunderbare Akustik und so ein tolles Orchester.» Und schon geht die Probe weiter …
Orgeleinweihung
23./24. September Orgel- und Orchesterkonzert
25. September «Nacht der Orgel» 17.00–00.15 Uhr
Tonhalle Zürich