Wir erinnern uns noch an die Pressesprecher von Saddam Hussein oder Muammar Gaddafi. Während im Hintergrund ihrer letzten Auftritte bereits feindliche Truppen in die Hauptstädte einmarschierten, verkündeten sie tapfer den bevorstehenden Endsieg ihrer Herrscher. Kopfschütteln in Europa, tiefschürfende Analysen der blumigen arabischen Mentalität, wo wohl auch die Märchen aus 1001-Nacht für bare Münze genommen werden.
Nun, selbst Cervantes wären Lügengeschichten, wie sie die spanische Regierung aktuell auftischt, nicht im Traum eingefallen. Es ist allerdings keine Erfindung von Cervantes, dass für mehr als 1,1 Milliarden Euro der völlig überflüssige Flughafen Don Quijote in Kastilien gebaut wurde. Unter anderem.
Lüge eins
Die aktuelle spanische Regierung unter dem Konservativen Mariano Rajoy trat mit dem Versprechen an, dass keine Bank mit Staatshilfen rechnen könne. Trotz einer Immobilienblase, die sich in Form von faulen Hypothekarkrediten auf ein Volumen von potenziell rund 300 Milliarden Euro summiert. Versprochen, gewählt, vergessen. Seit die bereits vor zwei Jahren teilverstaatlichte Bank Bankia ein sich stündlich vergrösserndes Loch in ihrer Bilanz entdeckte, werden Zusagen gemacht.
Zunächst schlappe 6 Milliarden, ein paar Tage später reden wir schon von 19 Milliarden Euro. Dabei wird es natürlich nicht bleiben. Gerade verkündete Bankias Mutterhaus, BFA, eine kleine «Neubewertung» des Unternehmensergebnisses für 2011. Statt eines Gewinns von dürftigen 41 Millionen steht neu ein Verlust von 3,3 Milliarden in den Büchern der erst 2011 gegründeten Bank. Früher hätte man da von Bilanzbetrug gesprochen. Heute zuckt man mit den Schultern. Und freut sich, dass es wenigstens auf einem Gebiet Wachstum in Europa gibt.
Lüge zwei
Im Kampf gegen die Windmühlen der Immobilienkrise kündigt die Regierung Rajoy nun an, dass sie zwar unter Brechen aller Versprechen Bankia (und natürlich weiteren Banken) unter die Arme greifen werde. Aber aus der eigenen Tasche, niemals werde dafür ein Rettungsschirm oder andere Hilfe der Eurozone in Anspruch genommen. Doch was macht man, wenn die eigene Tasche leer ist? Man benützt einen billigen Taschenspielertrick.
Der spanische Staat drückt Bankia ein paar Staatspapiere in die Hand und übernimmt als «Gegenwert» dafür weitere Aktien der Pleitebank. Und diese Staatspapiere ohne Wert gibt Bankia der Europäischen Zentralbank EZB als Sicherheit für neue Darlehen. Wenn Pleitier Meier mit einem von Pleitier Müller ausgestellten Schuldschein zu einer Bank gehen würde, um auf diese Sicherheit ein Darlehen zu beziehen, würde er aus der Schalterhalle gelacht. Und freundlich, aber bestimmt darauf aufmerksam gemacht, dass das zwar ein netter Versuch sei, aber strafrechtliche Konsequenzen haben könnte. Doch Regierende und Verantwortliche der EZB sind bekanntlich haftungsfrei und vor juristischen Folgen ihres Tuns geschützt.
Prinzip Hoffnung
Hinter diesem völlig verantwortungslosen Regierungshandeln stehen nur zwei Gedanken. Zunächst das Prinzip Hoffnung. Wenn ich nicht schon heute Bankrott erklären muss, kann ja noch ein Wunder geschehen, das die Pleite morgen verhindert. Es müsste zwar schon so in der Liga der Erfindung eines Perpetuum mobile, der Landung von Aliens, die freundlich Wohlstand und Zukunftstechnologien mit uns teilen, oder der Entdeckung, dass Spanien eigentlich auf einem Meer von Erdöl schwimmt, liegen.
Aber es ist doch besser, auf ein Wunder zu hoffen, als der bitteren Realität ins hässliche Antlitz zu schauen. Dabei wäre Spanien dazu prädestiniert, als erster Staat aus der Fehlgeburt Euro auszusteigen. Noch hat die iberische Halbinsel relativ überschaubare Staatsschulden. Noch. Aber das wird sich in den nächsten Monaten rasant ändern.
Prinzip mañana
Es ist eine perverse Tatsache, dass ein selbst kurz vor der Explosion stehender Dampfkessel stabil und gewohnt normal aussieht. Allen, die vor dem grossen Knall warnen, kann man überlegen entgegenhalten, dass das Teil offenkundig noch steht, dampft und funktioniert. Ausserdem sei man doch gerade dabei, am Ventil zu schrauben und etwas Dampf abzulassen, und diese verantwortungsvolle Tätigkeit solle man doch gefälligst nicht mit Schwarzseherei und unqualifizierten Unkenrufen stören. Manaña, morgen, sehe das schon viel besser aus.
Allerdings: Die gleichen Politiker, Eurokraten und Finanzkoryphäen, die das nicht müde werden zu wiederholen, haben alleine in den letzten zwei Jahren eine Fehleinschätzung auf die vorangehende gestapelt, ein Versprechen nach dem anderen gebrochen, eine Lüge durch die nächste ersetzt. Es braucht keine hellseherischen Fähigkeiten, um die Fortsetzung der modernen europäischen Geschichte zu prognostizieren. Das tat Leonard Cohen schon vor Jahren in seltener poetischer Weitsicht: «I’ve seen the future, brother: it is murder. Things are going to slide ...»