So. Jetzt steht es. Jetzt ist es funktionstüchtig, jetzt schillert es in der Sonne oder in den Lichtern der Nacht, jetzt gehen die Leute ein und aus, jetzt ist es wirklich da: das LAC in Lugano. Vom 12. bis 27. September wurde zwei Wochen lang die Eröffnung gefeiert. Am dritten Wochenende dann noch der letzte Höhepunkt: die Einweihung des grossen Konzertsaals mit Beethoven Neunter Sinfonie und der Ode an die Freude. Wie ein Phönix aus der Asche des ehemaligen Nobelhotels Palace ist das LAC damit an diesem Ort in prächtiger Form wieder auferstanden.LAC, das heisst „Lugano Arte e Cultura“, und es trifft sich gut, dass der See auch gleich vor der Haustür des Kunst- und Kulturzentrums liegt. Das Wortspiel lac und LAC passt.
„Das Bild werde ich nie vergessen, es ist einfach phantastisch“. Das sagt Michel Gagnon, der Leiter des LAC und er meint damit den 12. September. „Wir hatten den roten Teppich ausgerollt und dann das Band durchschnitten, und die Leute gingen auf das LAC zu, über die Treppen in die Halle weiter und weiter… ich dachte immer: wo gehen die alle hin, es müssen rund 20‘000 Menschen gewesen sein …!“ Irgendwie haben sie alle einen Weg und einen Platz gefunden und haben „ihr“ LAC eingenommen. Michel Gagnon strahlt über das ganze Gesicht, wenn er sich das Bild wieder in Erinnerung ruft. „Das hat höchstens eine Minute gedauert, alle wollten hinein und alle waren drin…! Es war ein wunderbares Gefühl für mein Team und für mich.“ Jetzt sitzt er in seinem eher spartanischen Büro und muss dafür sorgen, dass der Luxusdampfer, auf dessen Kommandobrücke er das Sagen hat, nach den Einweihungsfeierlichkeiten auch alltagstauglich wird und bleibt.
Ein grosses Projet für ein grosses Publikum
Seit 16 Monaten ist Michel Gagnon inzwischen in Lugano. Er ist Kanadier und war zuletzt in Montreal für das Kulturzentrum „Place des Arts“ zuständig. Dort ist alles viel grösser, die Stadt und die Kulturinstitution. Warum hat er sich da für das kleine Lugano entschieden? „Weil es ein neues Projekt ist“, sagt Gagnon. „Ein neues Projekt, in einer kleinen Stadt, aber mitten in Europa! In fünfzig Minuten ist man in Mailand, Como ist nah, Zürich und Luzern sind nicht weit weg… ich habe das LAC nie als ‚Projekt in einer kleinen Stadt‘ angesehen, für mich war es immer ein grosses Projekt. Mit diesem grossen Projekt möchten wir jetzt auch ein grosses Publikum ansprechen. Und Lugano ist eine schöne Stadt mit Lebensqualität. Von zuhause brauche ich mit dem Velo nur fünf Minuten, um hierher zu kommen. Ich koche gern und kaufe auf dem Markt in Como ein, man kann hier sehr gut leben.“
Eine wichtige Erfahrung aus Montreal hat er nun auch nach Lugano mitgebracht. „Ein Kulturzentrum wie das LAC muss Kunst auf internationalem Niveau präsentieren. Es braucht aber auch ‚öffentlichen Raum‘. Es muss für alle zugänglich sein. Ohne diese beiden Elemente funktioniert das nicht. Das gilt nicht nur für Lugano sondern für alle Kulturzentren.“
In diesem Sinne ist das LAC sehr einladend. Die verschiedenen Gebäude sind durch Innenhöfe und ehemalige Kreuzgänge mit der wunderschönen Kirche Santa Maria degli Angioli verbunden. Die Eingangshalle des LAC ist lichtdurchflutet und gibt den Blick frei auf die Piazza, das wiederhergestellte Nobelgebäude zur Linken und den Museums-Neubau zur Rechten. Die grünen Marmorwände korrespondieren mit dem dunklen Grün der Berge rings um Lugano und die Form des Gebäudes erinnert an ein Schiff, das Kurs auf den Luganersee nimmt. Atemberaubend dann der Blick auf Stadt, See und Berge von der ersten und zweiten Etage der Halle und auch vom Museumssaal aus. Dort, an allerbester Position, steht Alberto Giacomettis „L’homme qui marche“ so, als gehöre er nun definitiv hierhin. Er ist aber nur ausgelehnt und wird nach dem Ende der Ausstellung wieder nach Paris zurückkehren. Schade. Aber nur schon, um ihn vorübergehend hier zu sehen, lohnt sich der Ausflug nach Lugano.
Ein Lieblingsthema für Michel Gagnon ist der Tanz. „Ich habe gehört, dass das Publikum hier eher an klassisches Ballett gewöhnt ist, nach Art der Mailänder Scala. Ich stelle mir aber modernen Tanz vor, und das hat auch mit visuellen Künsten zu tun. Das wird eine echte Herausforderung werden.“ Es sei schwierig, eine Tanzkompagnie nur für einen Abend zu engagieren, sagt Gagnon. Er hofft aber, so weit zu kommen, dass es mit der Zeit genügend Publikum gibt für drei oder sogar vier Vorstellungen. Aber eben… das ist eine Herausforderung.
Konzertsaal mit vielen Möglichkeiten
Herzstück des LAC ist der Konzertsaal. Knapp 1000 Plätze hat er und er ist mit edlem Birnbaumholz verkleidet nd erinnert ein bisschen an den Konzertsaal des KKL. Der Clou: mit diesem Saal hat Lugano bereits jetzt eine „salle modulable“, um die Luzern seit Jahren kämpft. Die ersten fünf Reihen im Zuschauerraum lassen sich versenken, stattdessen entsteht ein Orchestergraben. Und die Holzwände auf der Bühne lassen sich hochziehen, sodass Platz für Kulissen frei wird. Opernaufführungen sind also durchaus möglich hier.
Der erste Dirigent, der seine akustischen Spuren in diesem Saal hinterlassen hat, ist Vladimir Ashkenazy. Zusammen mit dem Orchestra della Svizzera Italiana spielte er zuerst – wie es sich gehört – die Nationalhymne zur Feier des Tages. Dann Ludwig van Beethovens Neunte Sinfonie. Und was bedeutet es für den Maestro, das erste Konzert hier zu geben? „Verantwortung“, sagt er und lächelt. „Aber Beethovens Neunte zu dirigieren, ist immer etwas ganz Besonderes und es ist eine grosse Ehre, dies hier tun zu dürfen.“ Die Garderobe, in der er sich aufs das Konzert vorbereitet, ist überraschend klein und ohne Fenster. Ganz anders als der luftig-lichte Bau sich sonst präsentiert. Und wie beurteilt er als Fachmann den Konzertsaal? „Als ich vor etwa zwei Monaten das allererste Mal hierher kam, sah ich den Saal und er hat mir sehr gefallen. Zur Akustik konnte ich damals noch nichts sagen. Inzwischen weiss ich, dass sie sehr gut ist und auch die Musiker bestätigen, dass sie sich gegenseitig gut hören können.“
Dass das Eröffnungskonzert dann zumindest zu Beginn nicht ganz über jeden musikalischen Zweifel erhaben ist, hat nichts mit dem LAC zu tun. Vielleicht eher mit der Nervosität, die das Orchester angesichts des neuen Luxus-Saales dann doch noch beschlichen hat.
Im Laufe der nächsten zwei Jahre wird Ashkenazy sämtliche Beethoven-Sinfonien hier im LAC aufführen. Ein bisschen ist das auch ein Heimspiel für ihn, denn seit vielen Jahren hat er auch einen Wohnsitz im Malcantone, in der Nähe von Lugano. Das Haus hatte ursprünglich dem legendären Pianisten Arturo Benedetti Michelangeli gehört und war als Refugium für Ashkenazy gedacht, um sich dem Musik-Rummel etwas zu entziehen. Nun hat ihn das LAC mit Kultur, Kunst und Konzertsaal auch im Tessin eingeholt…
Schon Anfang Oktober kommt der nächste Dirigentenstar ins LAC: Valery Gergiev mit seinem Petersburger Mariinskij-Orchester, später András Schiff und Radu Lupu, Bernard Haitink und Charles Dutoit, und so ziehen sich die grossen Namen durch die erste Saison. Musikalischer Leiter des LAC ist Etienne Raymond, der hier seine Erfahrungen und Beziehungen einbringen kann, die er als künstlerischer Betriebsleiter des Zürcher Tonhalle-Orchesters sammeln konnte.
Die Herausforderung kommt erst noch
Der Einstand für alle Beteiligten ist gelungen. Nun braucht es aber auch noch einen langen Atem. Gagnon, der Name ist französisch und wenn man ihn ausspricht, klingt es fast wie „gagnant“, also der „Gewinner“. Ein Omen? „Tja, was soll ich sagen….“, so Gagnon. „Ich weiss nur, dass es eine weit grössere Herausforderung ist, als ich zunächst gedacht habe. Aber ich bin wirklich glücklich, dass das LAC so schön geworden ist und alles so gut geklappt hat. Als ich nämlich hier anfing, habe ich erst realisiert, wie viele politische Querelen dem Bau vorausgegangen sind, wie viel Polemik es gab, wie schmerzhaft und schwierig alles war. Ich hatte keine Ahnung davon und stand da und sagte nur: wow…wo bin ich hier….“
Inzwischen weiss er, wo er ist. Er lernt auch fleissig Italienisch und scheint tatsächlich angekommen zu sein. Bleibt nur zu hoffen, dass Michel Gagnon weiterhin „gagnant“ bleibt und schliesslich als „vincitore“ Gewinner wird. Das LAC selbst ist auf jeden Fall ein Gewinn für Lugano, das damit das grosse Los gezogen hat.