Seit der Verhärtung Chinas unter Xi Jinping hat sich die Kluft im Westen verstärkt zwischen China-Kritikern aus politischen und ideologischen Gründen einerseits und «Xi-Verstehern» aus primär wirtschaftlicher Optik andererseits. Nun zeichnet sich eine Trendwende ab, indem auch wichtige Teile der Wirtschaft ein spezifisches China-Risiko erkennen.
Mit einer kürzlichen Resolution kommunistischer Parteigremien zur Weiterführung der alleinigen Ausrichtung auf den «Grossen Führer» Xi Jinping hat China seinen Marsch vorwärts in die maoistische Vergangenheit beschleunigt, hin zu einem autoritären, neu auch in Teilen totalitären Staat.
Politische Risiken
Dies zeigt sich in gedanklicher Gleichschaltung der Han-Chinesischen Mehrheit mittels der Pervertierung des raschen Technologiefortschritts (sogenanntes «social credit system») sowie der Unterdrückung ethnisch und religiösen Minderheiten (Tibeter, Uiguren und anderer muslimischer Minderheiten, Mongolen).
Dazu gehört ebenso zunehmende Aggressivität gegen aussen, mit der bereits erfolgten «Heimholung ins Reich» von Hongkong und expliziten Drohungen gegenüber Taiwan, der militärischen Besetzung des südchinesischen Meeres und offen feindseligem Gebaren gegenüber Staaten und Persönlichkeiten im Ausland, welche an China Kritik äussern. Weiter ist das Land in rascher militärischer Aufrüstung begriffen, um in mittlerer Frist auch hier mit seinem Hauptwidersacher, den USA, gleichziehen zu können.
Entsprechend hat sich der Risikofaktor im Verkehr mit Peking erhöht, zumal in sicherheitspolitischer Hinsicht. Es gilt aber auch in wirtschaftspolitischer Optik, da ein militärischer Konflikt im Grossraum Asien-Pazifik verheerende Folgen für die gesamte Weltwirtschaft hätte.
Détente bei Klimapolitik und bei Nuklearwaffen?
In Washington und Peking wird darauf hingewiesen, dass zwischen den beiden Ländern grosse «Meinungsverschiedenheiten» – Diplo-Speak für tiefgreifende Differenzen – bestünden, aber gleichzeitig in zwei für die gesamte Menschheit zentralen Bereichen Möglichkeiten zur bilateralen Vereinbarung in der bereits als «Kalter Krieg 2.0» etikettierten Auseinandersetzung bestünden. So in der Klimapolitik und in der Beschränkung von nuklearer Bewaffnung.
In diesem zweiten Bereich werden in der Folge des kürzlichen Gipfeltelefons zwischen Xi und Biden tatsächlich erste Gespräche stattfinden. Indes ist dies als Folge zu sehen eines verstärkten Selbstvertrauens auf Seiten Beijings sowie der darauf beruhenden Besorgnis Washingtons.
Wie die Klima-Konferenz in Glasgow gezeigt hat, hat die chinesisch-amerikanische Détente hier eher zu amerikanischem Zurückweichen von ehrgeizigen Zielen geführt. Von Resultaten des chinesischen «Race to Zero Co2» ist noch wenig objektiv Überprüfbares zu sehen. Dies gilt insbesondere für die BRI- (Belt and Road-Initiative, auch neue Seidenstrasse genannt) Projekte im Ausland, wo Peking regelmässig fossile Energiegewinnung vorsieht.
Ideologische Risiken
Bekanntlich verkündet die chinesische Staatspropaganda einen Aufstieg des Ostens, der mit dem Niedergang des Westens einhergehe. Damit besteht ein mit dem historischen Kalten Krieg vergleichbare ideologische Rivalität. Es geht nicht mehr um den Wettbewerb zwischen Kommunismus und Kapitalismus, sondern um die Auseinandersetzung zwischen autoritärem Staats-Kapitalismus und seinem freiheitlichen Gegenstück.
Unter Xi wird dieser Gegensatz, jedenfalls die behauptete Überlegenheit des chinesischen Systems systematisch propagiert und als Doktrin in die Welt hinausgetragen. Alle Teile der chinesischen Diaspora im Ausland, von den Staatsangestellten bis hin zu Studenten, aber auch der chinesischen Angestellten westlicher Firmen werden dem Diktat der KP unterworfen. Die Staatspartei ist inzwischen auch in China ansässigen westlichen Firmen flächendeckend mit Zellen vertreten. Die Frage nach der Loyalität solcher Fahnenträger einer staatlichen Doktrin stellt sich – sie muss von jeder Universität, von jedem Arbeitgeber beantwortet werden.
Anlässlich verschiedener Konferenzen zu China im weiten Sinn frappiert im Moment, wie sich Chinesinnen und Chinesen, ungeachtet von Stellung und Arbeitgeber, uniform überaus positiv zur gegenwärtigen Regierung und deren Politik äussern. Dies gilt zudem oft auch für jene Ausländer, welche familienbedingt auf ein Visum oder anderweitig zwingend auf das Wohlwollen der chinesischen Behörden angewiesen sind. Auf seine durchwegs positive Einschätzung des zukünftigen Potentials von Hongkong im Rahmen eines öffentlichen Auftritts in der Schweiz angesprochen, antwortete mir – nach Beendigung und auf Schweizerdeutsch – ein leitender Chef einer Bank: «Was wollen Sie, ich bin auf mein Visum für China angewiesen.»
Chancen und zunehmende Risiken für die Wirtschaft
Wichtige Teile der internationalen Finanzwirtschaft – ebenso die Luxusgüterindustrie und unter den traditionellen Industriebetrieben die Autoindustrie – sehen China ausschliesslich als grössten Markt der Welt, auf dem sich solide Gewinne erzielen lassen. Das geht soweit, dass einzelne Grossbetriebe, so etwa Volkswagen, mit allen ihren Zulieferern praktisch auf Gedeih und Verderben dem chinesischen Markt ausgeliefert sind. Dies gilt übrigens nicht nur für die deutsche Autoindustrie. Kürzlich noch brüstete sich Elon Musk, dass seine Fabrik in Shanghai bereits mehr Teslas produziere, als das Stammhaus in Kalifornien.
Diese Abhängigkeit kann auch durchaus höchstpersönliche Züge annehmen. Jamie Dimon, Chef von J. P. Morgan, einer der weltgrössten Banken, entschuldigte sich kürzlich katzebuckelnd gegenüber China für einen objektiv keineswegs gravierenden Ausspruch, der aber in Peking als «Verhöhnung des chinesischen Volks» eingestuft wurde.
Wichtige Teile der westlichen Fertigungsindustrie sehen indes immer grössere Hindernisse für ihre Tätigkeit in China, auch abgesehen von den oben angesprochenen Loyalitätsproblemen einzelner Mitarbeiter. Ein amerikanischer Senator wird so zitiert, dass in China pro Jahr 300 bis 500 Milliarden Dollar an geistigem Eigentum von US-Firmen entwendet würden. Im US-Senat wird parteiübergreifend davon gesprochen, China brauche seine Kapitalanlagen in den USA, «um Amerika anzugreifen». Allgemein bekannt ist die Tatsache, dass chinesische Wertpapiere westlichen Anlegern weder normale Aktionärsrechte verleihen noch dass ihnen rechtsstaatliche Mittel bei Streitigkeiten in China zur Verfügung stehen würden.
Und die Schweiz?
Es illusorisch anzunehmen, Schweizer oder auch Europäer im Allgemeinen würden im Wirtschaftsverkehr mit China im Vergleich zu US-Firmen und -Bürgern von China privilegiert behandelt. Wenn schon trifft eher das Gegenteil zu, da Washington in Wirtschaftsdisputen über beträchtliche politische Hebel verfügt, welche der EU, geschweige denn der Schweiz nicht zur Verfügung stehen.
Auch bilaterale Vereinbarungen mit China sind keine wirkliche Versicherung. Wo ein eigentlicher Vertrag abgeschlossen wurde, wie im Falle des bilateralen Freihandelsvertrages mit der Schweiz, kann dieser nach Belieben des ungleich grösseren Vertragspartners so ausgelegt werden, dass dem kleinen, hier der Schweiz, nur noch die Wahl zwischen Anpassung und dem Verlust der Vorzugsstellung auf dem Riesenmarkt bleibt. Wo völkerrechtlich nicht verbindliche Abmachungen bestehen, so etwa beim bilateralen Memorandum of Understanding über die Beteiligung von schweizerischen Firmen an chinesischen BRI-Projekten, tut Peking ohnehin, was es will. Laut den vorliegenden Zahlen ist seit der Unterzeichnung des entsprechenden Memorandums durch den damaligen Bundespräsidenten Ueli Maurer in Peking im Jahre 2019 noch kein einziger Zuschlag an ein schweizerisches Unternehmen erfolgt.
Als Konsequenz kann kurz und undiplomatisch formuliert werden, dass im offiziellen Verkehr zwischen der Schweiz und dem China von heute nur ein (gegenwärtig nicht nachvollziehendes) Zusammengehen mit einem von Peking nicht zu ignorierenden Partner, also der EU, allenfalls zu nachhaltigem Erfolg führen kann. Was die Privatindustrie anbelangt, ist zu empfehlen, bei jeder, absolut jeder Transaktion, welche China und/oder chinesische Parteien einschliesst, neben den dargestellten politischen und ideologischen Risiken auch das wirtschaftliche Risiko sorgfältig abzuwägen.