Ein autoritäres System braucht einen „starken Mann“ an der Spitze. Und umgekehrt, wenn dieser nicht alles dominiert, dann ist auch keine Diktatur möglich. Entsprechend orientieren sich die gegenwärtigen Machthaber in Beijing, Moskau und am Bosporus: Xi an Mao, Putin am Zar, Erdoğan am Grosssultan. Kritik wird im Keim erstickt, wie in China mit seiner flächendeckenden Zensur. Kritiker und Medienleute werden ermordet oder vergiftet, wie in Russland – oder doch zumindest ins Exil getrieben oder ins Gefängnis geworfen, wie in der Türkei.
In letzter Zeit geht dieses autoritäre Trio einen Schritt weiter. Es verlängert seine autoritäre Politik über die eigenen Grenzen hinaus, indem es fremdes Gebiet für sich beansprucht, so wie China das ost- und südchinesische Meer oder wie Russland die Krim und die Ostukraine. Der konservative Sunni Erdoğan exportiert sowohl seine Ideologie als auch grosstürkisches Credo und unterstützt islamistische Kreise in Nachbarländern und in der türkischen Diaspora weltweit.
Freihandels-Extrawurst
Da haben es die Politiker der westlichen Demokratien weniger leicht. Sie werden für eine gewisse Zeit gewählt, treten dann ab und geben ihre Macht auf. Dafür haben die Autokraten nur Verachtung übrig, die sie auch zeigen. So wie eben die Chinesen beim Empfang der G-20-Gipfelteilnehmer, welcher bewusst einen Kotau ausländischer Gäste verlangte. Mit einer Nottreppe für den amerikanischen Präsidenten bereits am Flughafen in Hangzhou und einem endlosen breiten und langen roten Teppich, wo die allein zugelassenen offiziellen Kameras konstant auf Xi blieben und die „fremden Teufel“ bei Auf- und Abgang zu Zwerglein schrumpfen liessen.
Gerade im Verkehr mit China ist der Westen allerdings mitverantwortlich für die offensichtliche Verachtung, welche autoritäre Eliten demokratischer Machtbeschränkung entgegenbringen. Im Namen des Marktes sind wir bekanntlich auch zu allerlei Verrenkungen bereit. So der frühere britische Premierminister Cameron und speziell sein Schatzkanzler Osborne, die eine „special relationship“ zwischen London und Beijing ausriefen, welche nun die ehrlichere Theresa May mit viel Mühe relativieren muss. Aber auch wie die Schweiz in ihrem Versuch, mit Beijing eine europäische Freihandels-Extrawurst zu braten.
Nur Sanktionen gegen Russland nützen
Ähnlich die Stimmen, von rechts und von links, welche in zahlreichen westeuropäischen Ländern nach einem Ende der Sanktionen gegen Russland rufen, im Namen wirtschaftlicher Realpolitik. Sie übersehen, dass Sanktionsmassnahmen, wie sie gegen Putin und seine Clique gezielt eingesetzt werden, eines der wenigen effektiven Instrumente darstellen, um einem „starken Mann“ und seinen Sänftenträgern wirklich weh zu tun. Dank den Panama-Papers wissen wir nun ziemlich genau, wieviel, und insbesondere wie Putin seine privaten Reichtümer anhäuft. Damit sind mehr, nicht weniger dieser gezielten Massnahmen gegen Putin angesagt.
Enge Beziehungen zur Türkei
Schwieriger gestaltet sich eine effektive, aber doch demokratisch und menschenrechtlich vertretbare Politik gegenüber der Türkei. Erdoğan hat Europa an der Gurgel solange alle EU-Staaten sich nicht auf eine klarere Migrationspolitik einigen können – und insbesondere auch durchsetzen. Deutschland und Angela Merkel finden sich in einer speziell schwierigen Situation, wie im obenstehenden Artikel von Gisbert Kuhn eingehend dargelegt.
Im Gegensatz zu China und Russland ist die Türkei mit allen europäischen Staaten auch politisch, sicherheitspolitisch (Nato) und wirtschaftlich (Gastarbeiter) seit Jahrzehnten eng verbunden. Eine rasche Auflösungen der oft vertraglichen Bande erscheint unmöglich, gleichzeitig kann und darf Europa der Menschenrechtssituation in der Türkei nicht tatenlos zusehen.
Keine türkischen Pressekonferenzen in Bern
Neben der Karotte der Visafreiheit verfügen die europäischen Länder über eine rasch einsetzbare Disziplinierungsmassnahme gegenüber türkischem Autoritarismus. Die offensichtlich straff gespannten Fäden zwischen der gegenwärtigen Regierung in Ankara und ihren Statthaltern unter der türkischen Diaspora müssen gekappt werden, wo nötig durch Ausweisungen. Diese Beziehungen sind sowohl ideologisch-kultureller Natur (Moscheen, Schulen) als auch politischer (Vereinigung von Auslandstürken). Eine offensichtlich in Ankara orchestrierte „Spontandemonstration“ von Erdoğan-Anhängern in Köln ist ebenso unstatthaft wie offizielle Pressekonferenzen in türkischen und durch türkische Vertretungen, wie beispielsweise in Bern.
Die weitaus wirkungsvollste Massnahme in westlichen Demokratien gegenüber dem autoritären Trio sind indes Wahlniederlagen jener, die ihm Auftrieb geben. Also Marine Le Pen in Frankreich, welche ihre Partei durch russische Kredite finanziert, Putin-Versteher am rechten und linken Rand in Deutschland und anderswo, aber auch jene, welche Chinapolitik ausschliesslich mit dessen Markt vor Augen betreiben.