Es gibt zwei gute Gründe, um über Hansruedi HR Giger zu schreiben: der kürzlich verstorbene Künstler selbst und die Begegnung mit ihm im Film „Dark Star – Die Welt des HR Giger“ von Belinda Sallin (2014, 95 Min.). Ob der Titel „Dark Star“ eine Anspielung ist auf den gleichnamigen Film, der den Film „2001 – A Space Odyssey“ von Stanley Kubrick parodiert, oder ob es der Lieblingsfilm von Hansruedi Giger war oder ob der Titel einfach wörtlich zu nehmen ist, verrät der Film allerdings nicht.
Aufbruch ins Reich der Fantasie, die im Realen gründet
Im Gegensatz zur Filmautorin, welche das Interesse an Giger erst relativ spät im Jahre 2011 fand, begleitet mich dieser Künstler seit Mitte der 60er Jahre. Als einer der roten Fäden meiner Vorstellungswelt zieht sich sein Werk durch mein Bewusstsein. Ich bin ihm zwar begegnet, kannte ihn aber nie näher. Es war die Zeit der Platte 27, der von Urban Gwerder herausgegebenen Zeitschrift HOTCHA, des CinéCircus, und vielen anderen verrückten Projekten einer äusserst kreativen Zeit, in der auch die damals noch ungezähmten Solothurner Filmtage entstanden. Hansruedi Giger traf mit seinen Bildern ins Zentrum des damaligen Lebensgefühls, das am Horizont die Apokalypse eines Atomkrieges mit den verheerenden Folgen auf das Erbgut, aber auch die Erinnerung an die Schrecken des Holocausts mit seiner „Medizin ohne Menschlichkeit“ umfasste.
Seine stupende Verbindung von Organischem mit Technischem, von Fleisch und Maschine, seine abgründigen sexuellen Vereinigungen, die kondomisierten Homunkuli und die in die Tiefe stürzenden Räume des Unfassbaren illustrierten akkurat die unterdrückten Ängste der Zeit. Dies in einer virtuosen Spritzpistolen-Technik, welche die Alpträume fotografische Wirklichkeit werden liessen. Seine Fantasie griff weit über das hinaus, was sich sensible Zeitgenossen an Monströsem vorstellen mochten. Er aktivierte Archetypen, welche manche unter ihnen lieber nie geweckt hätten. So war er von Anfang an auch ein maudit in der Kunstwelt, ein Aussenseiter, dem es z.B. Zeit seines doch langen Lebens verwehrt blieb, im Kunsthaus Zürich ausgestellt zu werden. Kann ja noch werden: ein Geistesverwandter aus anderer Zeit, Arnold Böcklin, hat seinen Platz dort ja auch gefunden!
Visionäre Schweiz
Die Schweiz hat ungewöhnlich viele erratische Figuren hervorgebracht, die als grosse Findlinge in der Landschaft liegen, kaum bewegt werden können und den Bünzlis ständig im Weg stehen. Es mag mit der sprichwörtlichen Nüchternheit der Schweizer zusammenhängen, dass ausgerechnet hier so viele Aussenseiter genial waren. Wie Louis Soutter, Adolf Wölffli, Armand Schulthess, Emma Kunz u.v.a., war HR Giger nie Kanon, nie Mainstream, nie klassisch. Vielmehr gehört er wie sie der „untergründigen Romantik an, in welcher die Schöpfung schwimmt“ (Albin Zollinger). Zünftige Kunsthistoriker, alerte Händler und Auktionshäuser, smarte Intellektuelle sehen Giger nicht als den grossen Künstler, der er ist, sondern als Designer, Gebrauchsgrafiker und Produzent von Kitsch (was er alles gelegentlich auch war).
Diese Kritik verschärfte sich noch, als er als genialer Urheber der Welt des ALIEN (1979) Weltruhm und erst noch einen Oscar erlangte, also in einem Gewerbe erfolgreich war, über welches edle Geistesgrössen noch immer mal die Nase rümpfen. In seinen von Patrick Frey herausgebrachten Tagebüchern über die Zeit seiner Arbeit an ALIEN kann man ermessen, wie sehr er selbst im Kreise von Künstler-Kollegen Mühe hatte, seine Visionen gegen routinierten Kleinmut und Pfusch durchzusetzen. Und wenn ihm dies auch nicht immer gelungen ist, so ist und bleibt ALIEN ein Kunstwerk und ein Meilenstein des Sciene Fiction Filmes. Noch in „Prometheus“ (2012), dem abschliessenden Film über die Welt des ALIEN, firmiert HR Giger an vorderster Stelle des Abspanns. Ridley Scott, der Regisseur, „kippte fast vom Stuhl“ als er bei den Vorbereitungen zu ALIEN das erste Mal Gigers „Necronomicon“ sah und sofort wusste „Das ist es!“. Und meint: „Das macht es so kraftvoll: die Realität darin, nicht die Fantasie.“
Ein Film zum Abschied
Dieses Statement und viel mehr zeigt der bemerkenswerte Film „Dark Star – HR Gigers Welt“ von Belinda Sallin. Wo anfangen? Vielleicht am besten mit Giger selbst, der - vom nahen Tod gezeichnet – durch den Film tapert. Es ist der Regisseurin hoch anzurechnen, dass sie kaum beschönigt. Man sieht wie schwach Giger ist. Man sieht wie er manchmal wegdriftet, die Augen schliesst, abtaucht in sein Inneres. Vielleicht auch nur müde ist. Man sieht die Hilfe, die er braucht, um über die Runden des Alltags zu kommen. Man sieht aber auch einen hellwachen Menschen, der dem Zuschauer verschmitzt und mit einem breiten Lächeln begegnet und diesen mit seinem Charme überwältigt. Zum Beispiel in der berührenden Passage, als Giger über den Tod spricht: „Ich glaub, mit dem Tod hört es auf. Das wäre unangenehm, nochmals all das Zeug durchzuackern. Das was ich sehen wollte, sah ich. Was ich machen oder zeigen wollte, das habe ich gemacht. Vielmehr brauche ich nicht mehr. Ich bin zufrieden mit mir.“ Lacht.
Kraftorte
Am Anfang des Filmes senkt sich die Kamera aus luftiger Höhe aufs Haus und seinen verwunschenen Garten. Dieser ist neben dem Hausinnern der zweite Kraftort des Filmes. Eine Mischung aus wuchernden Pflanzen, herumstehenden Gigerplastiken, rätselhaften Geleisen und verrottenden Objekten schafft eine Stimmung wie sie auch den Garten von Armand Schulthess prägte. Man spürt überall den Urheber dieser Welt, sieht ihn aber nicht. Ein unheimliches Gefühl kommt auf, das beunruhigend und zugleich lustvoll ist, wie damals als Kind, als man allein in den dunklen Keller stieg. Und wenn der Schöpfer dieser Gegenwelt aller Pützler und Spiesser doch auftritt, fährt er stolz auf seinem Triebwagen durch den als Geisterbahn gestalteten Urwald. An anderer Stelle steigt die Kamera aus diesem Garten durch die Baumkronen hinauf und erfasst die nahen Türme der Sunrise-Hochhäuser, den Bahnhof Oerlikon, die normale Welt, in der wir leben. Welch ein Kontrast!
Nach den Titeln landen wir vor der Tür, sie öffnet sich, wir treten ein und werden sofort Gefangene der fantastischen Welt, welche Giger hinterlassen hat. Mythischen Gestalten wie Wächter des Eingangs zuerst, dann Köpfe, Plastiken, eine obszön, eine andere elegant poliert, wie Stein, aber wohl Kunststoff. Nach dem Haupttitel die Schlüsselszene, welche am Ende des Filmes in umgekehrter Richtung wiederholt wird, bevor wir erfahren, dass Giger kurz nach Ende der Dreharbeiten gestorben ist. Wir sehen Giger von hinten wie er die knarrende Holztreppe hochsteigt. Am Schluss des Filmes sehen wir ihn dieselbe Treppe hinabsteigen. Auf dieser Treppe ist er zu Tode gestürzt.
The Giger Family
Der ausserordentlich bezugsreiche Film macht sehr schön sichtbar: Hansruedi Giger war nie allein, sondern umgeben von einer Familie von vielen Freunden, insbesondere Freundinnen, die mit ihm verheiratet waren und zu denen er noch Jahrzehnte nach der Trennung eine innige Beziehung hatte. Das unterscheidet ihn deutlich von anderen Originalen wie etwa Armand Schulthess, dessen menschliche Beziehungen weitgehend virtuell waren. Sie alle sprechen über seine Kunst und über ihn, am intensivsten seine letzte Frau Carmen Maria Giger: „Er sieht tiefer in die Seele als die meisten Menschen. Wenn du seine Bilder anschaust, hast du das Gefühl, das kennst du seit ewig. Sie sind der Urgrund der Seele.“ Die alten Weggefährten sitzen immer wieder an der reich gedeckten Tafel, auch der Bruder seiner ersten, verstorbenen Frau Li Tobler, deren enigmatisches Gesicht viele Bilder Gigers dominiert. Natürlich werden die wichtigsten Stationen von Gigers Leben thematisiert und auch dem Museum Giger in Greyerz ist eine ausführliche Sequenz gewidmet. Die Begegnung Gigers mit einem seiner Fans, der in Tränen ausbricht, zeigt wie populär er bei gewöhnlichen Leuten war.
Hervorragende Kameraarbeit
Mehrmals wird im Film thematisiert, wie dunkel es in Gigers Behausung ist, dass er alle Fensterläden am liebsten geschlossen hielt. Der Kameramann Eric Stitzel hat nicht einfach die Läden geöffnet und hell gemacht, sondern dieses Labyrinth in ein dämmrig-warmes oder - thematisch bedingt - in eiskaltes Licht getaucht, das Gigers Werk aufleuchten lässt. Die so geschaffene Stimmung ist ein zentrales Element des Filmes, welche immer wieder in unerwartete, stimmige Einfälle mündet. Etwa, wenn Giger aus dem Haus tritt und das gleissende Licht des Tages alles überstrahlt und ihn auflöst, so dass man meinen könnte, wir seien am Ende des Filmes angelangt. Aber auch in der Begegnung der Kamera mit Menschen in Bewegung oder in Gesprächen zeigt Eric Stitzel grosses Einfühlungsvermögen, in dem er seine Gegenüber im wahrsten Sinne des Wortes ins beste Licht setzt und sie so plastisch und nah erscheinen lässt, dass wir glauben, sie schon lange zu kennen. Nicht ganz so stilsicher ist die Montage des Filmes. Wie im Fernsehen, wo man der Evidenz der Bilder nicht traut und alles erklären muss, bricht ein zu frühes Statement des Psychiaters Stanislaw Grof, der Gigers Welt auf perinatale Traumata reduziert, die aufgebaute Stimmung. Auch hat man mindestens zwei Mal das Gefühl, der Film nähere sich seinem Ende und bekommt dann nochmals ein reichhaltiges Menu serviert.
Eindrückliches Porträt
Diese Vorbehalte können aber den Gesamteindruck nicht trüben. Belinda Sallin, welche bisher vor allem für das Fernsehen arbeitete, ist es gelungen, uns die Kunst von HR Giger und vor allem den Künstler selbst mit seiner Freundesfamilie berührend nahe zu bringen. Es fällt auf, dass neuerdings biografische Arbeiten entstehen, welche die Gebrechlichkeit, ja den nahen Tod nicht ausklammern (so etwa auch Walter Isaacson’s Biografie von Steve Jobs). Das genaue Hinschauen auf die Vergänglichkeit ist eine Spiegelung des genauen Blicks, welcher Giger auf seine Innenwelt hatte, welcher so tief reicht, dass er Schichten erfasst, die uns allen eigen sind.