Im Moment kämpft jedes Land, jeder Betrieb, jeder Einzelne mit dem Virus und seinen Folgen. Bald wird aber die Frage nach Verantwortung und den Folgen der Pandemie gestellt werden. China steht im Mittelpunkt.
In der zweiteiligen Arena von SRF am vergangenen Freitag standen verständlicherweise nationale und persönliche Betroffenheit im Mittelpunkt. Aussenpolitik, gar Geopolitik – der politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Hintergrund der Tagesaktualität – wurden nicht angesprochen. Das wird sich aber bald ändern, wenn Entschädigungen für die immensen Verluste sowie die politischen und wirtschaftlichen Folgen dieser von China ausgehenden Pandemie diskutiert werden.
China, zum Zweiten
Nach SARS 2002/3 ist Covid-19 die zweite Seuche mit weltweiten Auswirkungen, welche ihren Ursprung in China hat. Wiederum ist ihre rasche Bekämpfung, und damit allenfalls eine frühe Eingrenzung durch das gegenwärtige politische System in China verunmöglicht worden. Dieses bestraft Eigeninitiative und verfolgt den Überbringer von schlechten Nachrichten, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Wie dies der Fall des jungen Arztes in Wuhan belegt, der früh warnte, dann anstatt behandelt, verwarnt wurde und schliesslich starb.
Im Gegensatz zu einem Naturereignis wie einem Erdbeben mit Tsunami ist eine solche Seuche kein „black swan“, kein Schwarzer Schwan, wie die Finanzmärkte ein völlig unvorhersehbares Ereignis nennen. Dass nach SARS, das der Schreibende nahe am Epizentrum in Singapur miterlebt hat, ein zweites Mal ein von unhygienischen chinesischen Märkten ausgehendes und zunächst vertuschtes Virus die Welt erschüttern kann, ist unverzeihlich und fällt schwergewichtig auf den Verursacher zurück. Und das Geschehen war wohl voraussehbar, weil sich die politischen Verhältnisse in China seit SARS nicht gebessert haben. Im Gegenteil.
Risikofaktor China
Einmal abgesehen von den sozialen und politischen Folgen wird Covid-19 voraussichtlich die bereits eingeleitete Entflechtung der Weltwirtschaft beschleunigen. Liefer- und Wertschöpfungsketten sowie Geschäfte mit China werden in Zukunft mit einem erheblichen Risikozuschlag belegt werden. Wenn eine Pandemie in weniger als zwanzig Jahren zwei Mal praktisch am selben Ort und in derselben Weise losgetreten wird, so muss wohl jederzeit mit einer erneuten solchen Katastrophe gerechnet werden.
Das gilt nicht nur für westliche Unternehmen, welche in China investieren oder fertigen. Auch die im Rahmen der BRI (Belt and Road Initiative, neue Seidenstrasse) schwergewichtig von chinesischen Gastarbeitern gefertigten Infrastrukturprojekte in Schwellenländern sind heute und in Zukunft mit einem zusätzlichen Risikofaktor behaftet. Ganz zu schweigen von all den mannigfaltigen Austauschbeziehungen und Begegnungen zwischen China und dem Rest der Welt in wissenschaftlichen und kulturellen Bereichen.
Entschleunigte Globalisierung
„Digital divide“, digitales Auseinanderdividieren wird die Aufspaltung der digitalen Welt in verschiedene geographische Zonen genannt. Sie soll im Zuge der Kontroversen um Huawei die USA völlig und Europa teilweise von chinesischer 5G-Technologie unabhängig machen.
Wir erleben den Beginn einer Entglobalisierung, welche sich nun in der Folge von Covid-19 beschleunigen könnte. Wenn die Produktion in China wegen Risikozuschlags unrentabler wird, so sucht sie sich einen anderen Ort, etwa in Vietnam oder eben auch dort, wo sie ursprünglich beheimatet war. Die Folgen davon sind noch unabsehbar.
Folgen für die Schweiz
Die Schweiz sieht sich im Verhältnis zu China gerne in der westlichen Vorhut. Mit wirtschaftlichen Vorteilen vor Augen werden die weltanschaulichen Unterschiede kleingeredet oder ignoriert. Man ist stolz darauf, als erste grosse Volkswirtschaft Westeuropas mit Beijing ein Freihandelsabkommen (FTA) abgeschlossen zu haben. Der bilaterale Dialog über Menschenrechte ist weitgehend Feigenblatt, wenn man sich die zivilgesellschaftliche Verhärtung unter Xi Jinping vor Augen hält.
Europäische Solidarität, welche neben wirtschaftlichen auch zivilgesellschaftliche Elemente umfasst, sprach gegen den vorschnellen Abschluss des FTA. Ein solches wird die EU erst noch abschliessen, wobei ein Vorkommnis wie Covid-19 natürlich eine Rolle spielen wird.
Dessen ungeachtet hat sich der höchste Vertreter der Schweiz letztes Jahr am Hof des Alleinherrschers in Beijing in bilateralen Freundschaftsversicherungen ergangen, anstatt sich in Brüssel um die weltanschaulich und wirtschaftlich unendlich viel wichtigeren Beziehungen der Schweiz zu unseren nächsten Partnerländern zu kümmern. Dies, nachdem nun China zunehmend risikobehafteter aussieht – im Gegensatz zu unseren traditionellen Märkten.