In stiller Trauer um einen ausserordentlichen Menschen, grosszügigen Mentor und loyalen Freund nahm ich gestern an der Beerdigung von Cornelio Sommaruga teil. Rednerinnen und Redner lobten seine menschlichen Werte und beruflichen Qualitäten – gradlinig und humorvoll, engagiert, zielstrebig und immer offen für Neues.
Auch wurde allen Anwesenden sofort klar, wie sehr er von seinen zahlreichen naturverbundenen und musikalischen Familienmitgliedern geliebt war. Am Schluss verliess ich die Kirche zwar mit etwas gemischten Gefühlen, da mir nun wieder bewusst wurde, wie problematisch sich das IKRK seit seinem Rücktritt entwickelt hatte, wenn auch darüber während der Feier geschwiegen wurde.
Sein Tod macht die Schweiz um eine bedeutende Persönlichkeit ärmer. Nachdem er unserem Land als gewiefter Staatssekretär für Aussenwirtschaft diente, fand er schliesslich seine wahre Berufung als Leiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) – ein Glücksfall für die von Henry Dunant gegründete Organisation. Unermüdlich und mit oftmaligem Erfolg setzte er sich dort für die unzähligen Leidtragenden der vielen bewaffneten Konflikte ein: Verwundete, Kriegsgefangene, Kriegswaisen, Vertriebene, Opfer von Minen …
Wenn sich das Hirn des IKRK in Genf befindet, ist sein Herz auf dem Terrain, meinte Sommaruga und identifizierte sich bestens mit allen beiden. Zudem setzte er sich immer wieder für optimale Arbeitsbedingungen und die Sicherheit der Rotkreuz-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter in Konfliktgebieten ein, und auch dafür waren ihm alle erfolgversprechenden Fora recht: Als ich das IKRK für fünf Jahre am Hauptsitz der UNO vertrat, liess er mich jeden September, zur Zeit der Uno-Generalversammlung ein «Working Breakfast» mit den Mitgliedern des Sicherheitsrates organisieren. Obwohl an diesen hektischen Tagen sowohl Minister und Diplomaten wie auch das Uno-Restaurant oft ausgebucht waren, war die Beteiligung der Ratsmitglieder meist höchst erfreulich, denn der erfahrene, immer bestens informierte und gelaunte Cornelio Sommaruga genoss einen exzellenten Ruf. Und dank seiner spontanen lateinischen Art war der Austausch am runden Tisch auch ebenso ungezwungen wie nachhaltig.
Ja, unter seiner Führung machten sich die vielen jungen IKRK-Helferinnen und -Helfer wieder stolz und hochmotiviert an ihre oft heikle und schwierige Arbeit auf dem Feld.
Mit seiner besonderen Nähe zur Religion konnte ich zwar trotz, oder vielleicht auch wegen meiner eigenen urkatholischen Erziehung (inklusive Altardienst und acht Jahre interner Klosterschule) kaum konkurrieren. Trotzdem lud er mich einmal in Caux zusammen mit meiner Frau zu einem ausgesprochen jovialen Mittagessen mit meinem Namensvetter Hans Küng ein, wobei wir entdeckten, dass da tatsächlich eine entfernte Verwandtschaft bestand, waren doch unsere Küngschen Familiensitze nur etwa drei Kilometer voneinander entfernt (Geissbach vs Nottwil) …
Mit Cornelio Sommaruga ist ein Mann reich an menschlichen und beruflichen Qualitäten von uns gegangen. Seine offene, warme Persönlichkeit verlieh ihm eine natürliche, wohlwollende Autorität, die ihm half, auch gegen bürokratischen oder ideologischen Widerstand seine Ziele zu erreichen. Im Gegensatz zu vielen anderen Prominenten war er weder abhängig von seiner Macht noch war diese ein Ziel für sich – sie war ihm lediglich notwendiges Mittel zum guten Zweck
«Res, non verba» war sein Motto, auch wenn er bei Bedarf um begleitende Worte zur Tat durchaus nicht verlegen war. Auch verstand er bestens, wie wichtig es für den Erfolg komplexer Hilfsaktionen war, diese stets unter Kontrolle zu haben, dazu die Verwaltung schlank zu halten und dafür den Kernaufgaben des IKRK in den Konfliktgebieten oberste Priorität einzuräumen.
Seine Amtsnachfolger haben wohl versucht, diesem Vorbild nachzuleben, wenn auch nicht immer ganz so erfolgreich. Die unabhängige Kontrolle und Aufsicht über das IKRK-Management wurde schon von seinem direkten Nachfolger diskret aber dezidiert zurückgestuft. Trotz wiederholter Mahnungen von Seiten Sommarugas und anderer verdienter IKRK-Mitglieder und -Mitarbeiter glaubte dann später der kürzlich zurückgetretene Präsident Peter Maurer die Aufgabenbereiche des IKRK in einer Weise ausweiten zu müssen, dass das inzwischen auf über 2 Milliarden Franken verdoppelte Budget kaum mehr finanzierbar war. Auch Maurers kontroverse, mit den Rotkreuz-Statuten kaum zu vereinbarende Mitgliedschaft im «Leadership Advisory Council» des World Economic Forum (WEF) half da offenbar wenig, und das IKRK sah sich jetzt plötzlich einer seiner grössten Krisen seit seiner Gründung gegenüber
Ja, Cornelio Sommaruga war ein höchst kompetenter, erfolgreicher und populärer Leiter des IKRK gewesen, und Persönlichkeiten seiner Art wären auch heute wieder sehr gefragt …
Peter Küng war während fast 30 Jahren IKRK-Delegierter, zuerst in verschiedenen Kriegsgebieten im Mittleren Osten und Afrika, dann in Europa und Ostasien und schliesslich in leitender Stellung in New York und Genf.