Die Schlagzeilen der nationalen Blätter sagen es deutlich. „Unglaubliches Durcheinander: Trumps erster Monat erschüttert Washington“, titelt jene „New York Times“, die der Präsident als „Versagerin“ zu apostrophieren pflegt. „Aufruhr jetzt Standardvorgehen im Weissen Haus“, vermeldet die „Washington Post“, ein weiteres Mitglied jener Gilde, der Donald Trumps feuriger Berater Stephen Bannon rät, sie solle, da Opposition, gefälligst „die Schnauze halten“.
Wer bestimmt die Politik?
„Der Rückzug von Michael T. Flynn als Nationaler Sicherheitsberater setzt einem bemerkenswerten ersten Monat für Präsident Trumps Weissem Haus die Krone auf“, analysiert die „Times“. Nur schon diese kurze Zeit habe die frühen Tage der Präsidentschaft mit „Skandalen, Anfechtungsklagen, persönlichen Dramen und Zweifeln an seinem Temperament während Interaktionen mit Weltpolitikern“ belastet.
Als Zeugen zitiert die Zeitung den republikanischen Senator John McCain, dem Donald Trump im Wahlkampf den Status eines Kriegshelden abgesprochen hatte, weil er während des Krieges in Vietnam abgeschossen wurde und fünfeinhalb Jahre lang in Kriegsgefangenschaft sass. „Ich liebe Leute, die sich nicht gefangen nehmen lassen“, sagte der Präsidentschaftskandidat damals. McCain stuft den nationalen Sicherheitsapparat als „dysfunktional“ ein und wirft dem Weissen Haus vor, es sei ein Ort, „wo niemand weiss, wer die Verantwortung trägt, und niemand weiss, wer die Politik bestimmt“.
Labsal für Trump-Wähler
Nach wie vor sind Führungsposten in Regierung und Verwaltung in Washington DC sowie Botschafterposten weltweit unbesetzt. Immerhin ist bekannt, wer amerikanischer Gesandter in Wien werden soll: der 63-jährige Konzertpianist, Immobilienmakler und Trump-Freund Patrick Park. Der Botschafter in spe aus Florida hat laut eigenem Bekunden das Musical „The Sound of Music“, das vor dem Anschluss 1938 in Salzburg und Umgebung spielt, „wohl 75 Mal“ gesehen und kennt alle Songs auswendig. Trump-Berater Bannon, witzelte ein Komiker, dürfte das missfallen: Der Mann der extremen Rechten sympathisiere nicht mit Captain von Trapp, der im Musical im Widerstand aktiv ist, sondern mit den Nazis.
Trump-Anhänger im Lande draussen, die nicht in Washingtons Echokammer gefangen sind, teilen John McCains Einschätzung nicht. Für sie setzt Präsident Trump lediglich zügig um, was er im Wahlkampf versprochen hat – nach dem Motto „Wo gehobelt wird, fallen Späne“. Sarah Fagan, Mitarbeiterin im Weissen Haus unter George W. Bush, nennt all die zackig und mit Gusto für die Kameras unterzeichneten Dekrete des Präsidenten Labsal für Trump-Wähler.
Wahlbeeinflussung durch Putin?
„Wenn du innerhalb des Beltway (d. h. in Washington DC) lebst, dann denkst du, das sind wirklich bewegte Zeiten“, lässt Fagan sich zitieren: „Wenn du ausserhalb des Beltway lebst, dann denkst du, ‚deshalb haben wir ihn (Trump) ins Weisse Haus geschickt.‘. Zwar hat es bisher viel Chaos und eine Menge Wachstumsschmerzen gegeben, aber sie haben eine Menge erreicht.“
Ganz anders sieht das Jill Abramson, die frühere Chefredaktorin der „New York Times“. In einem Meinungsbeitrag für den Londoner „Guardian“ fordert sie, die Hintergründe des Falles Michael Flynn müssten jetzt untersucht werden, in erster Linie die Frage, ob der Präsident seinen Sicherheitsberater angewiesen habe, Russland zu versprechen, dass sich das Weisse Haus Moskau gegenüber versöhnlich zeigen werde, das heisst die Wirtschaftssanktionen, die in der Folge der Kämpfe in der Ostukraine ergriffen wurden, fallen lasse.
„Wer an den Fäden des Skandals um Michael Flynn zieht, erblickt mit jedem Zug einen tieferen Graben russischer Intrige und mehr offene Fragen, was die Integrität der Wahlen 2016 betrifft“, schreibt Abramson: „Es ist nun an der Zeit, die zentrale Frage zu stellen, die im faulen Kern des Wirrwarrs um Flynn steckt: Haben sich Donald Trump und Wladimir Putin auf einen Plan geeinigt, die Wahlen 2016 zu beeinflussen, und, falls ja, war Flynn ihr Mittelsmann?“
Vor aller Ohren
Die Autorin beruft sich bei ihrer Argumentation auf respektierte Sicherheitsexperten der demokratischen Partei, die ihr zufolge keine Verschwörungstheoretiker sind: „Sie bezweifeln, dass Flynn mit dem russischen Botschafter Sergey Kislyak ohne Order von jemand Höherem in der Trump-Hierarchie telefoniert hätte. Sie bezweifeln auch, dass Flynn während des Wahlkampfs ohne Anweisung von oben mit Kislyak in Kontakt stand. Auch haben sich laut ‚New York Times‘ andere Wahlkampf-Mitarbeiter und Trump-Anhänger mit höheren russischen Geheimdienstlern ausgetauscht.“
Wie die Nomination Michael Flynns zeigt auch Donald Trumps Reaktion auf den jüngsten Raketentest Nordkoreas kein Gespür für Rituale der nationalen Sicherheit. Der Präsident sass mit dem japanischen Premier Shinzo Abe auf der Terrasse seiner Residenz Mar-a-Lago (Florida) bei einem Dinner bei Kerzenlicht, als unerwartet die Nachricht vom Raketenabschuss Pjöngjangs eintraf. Normalerweise würde sich ein US-Präsident in einer solchen Situation an einen abhörsicheren Ort begeben, um die Lage ungestört erörtern zu können.
Doch Trump und Abe blieben am Tisch sitzen, während Untergebene den beiden Politikern Zettel zusteckten, die sie mit ihren Handys anleuchteten, um die Unterlagen leichter lesbar zu machen. Derweil sang der für den Abend engagierte Musiker am Keyboard weiter seine Songs und Dinner-Gäste versammelten sich um den Ehrentisch, damit sie das spannende Geschehen näher verfolgen konnten.
Mangelnde Glaubwürdigkeit
„HOLY MOLY!!! Es war faszinierend zu beobachten, was plötzlich alles passierte, als die Nachricht eintraf, Nordkorea habe eine Rakete in Richtung Japan abgeschossen“, schrieb ein Geladener in der Folge auf Facebook: „Japans Premier konsultiert seine Mitarbeiter und der Präsident telefoniert mit Washington DC … Wow … der Mittelpunkt des Geschehens!!!“
Der selbe Gast schoss auch ein Selfie mit jenem Militärvertreter, der Donald Trump, wo immer er hingeht, den „Football“ nachträgt: die schwarze Ledertasche, welche die Kode, Manuale und Materialien enthält, die ein US-Präsident braucht, um den Einsatz einer Atombombe zu befehlen. Vergleichsweise harmlos dagegen auf Facebook die Aufnahme aus Mar-a-Lago, die den ersten Gang des Staatsdinners auf der Terrasse zeigte: „Iceberg Salad“.
Zwar teilte Sean Spicer, der Pressesprecher des Weissen Hauses, danach mit, während des Dinners sei öffentlich nicht über Sicherheitsrelevantes gesprochen worden. Es sei lediglich darum gegangen, den Text eines gemeinsamen Pressecommuniqués abzustimmen. Kann sein, muss aber nicht. Die Glaubwürdigkeit einer Regierung, deren Vertreter erwiesenermassen mit „alternativen Fakten“ hausieren gehen, ist nach wie vor niedrig.
So hat das Weisse Haus den Medien etwa vorgeworfen, in 78 Fällen über Attentate von Terroristen nicht oder nur ungenügend berichtet zu haben – eine Anschuldigung, die Experten umgehend zurückwiesen, da es dafür keine Belege gibt. Eher, sagten sie, werde der Presse angekreidet, sie würde zu üppig über Anschläge berichten. Trump-Beraterin Kellyanne Conway zitierte in Interviews das „Bowling Green massacre“ als Beweis für akute Medienversäumnisse, eine Bluttat, die es gar nie gegeben hat.
Entmachtet oder umgebracht
Noch ist im Übrigen unbekannt, ob die ausländischen Arbeitskräfte, die im Winter in Mar-a-Lago für Saläre zwischen $10.17 und $12.74 pro Stunde als Köche, Kellner oder Putzpersonal angestellt worden sind, je einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen wurden. Der Eintritt in Donald Trumps Golfclub in Florida kostet $ 200‘000 – doppelt so viel wie vor seiner Wahl zum US-Präsidenten, als er im Wahlkampf Hillary Clinton wegen Benutzung eines privaten E-Mail Servers wiederholt vorwarf, ein nationales Sicherheitsrisiko zu sein, und ihr mit Gefängnis drohte.
Derweil spricht Adam Shatz in einem Blog für die „London Review of Books“ (LRB) ein Thema an, das einige Leute wohl insgeheim beschäftigt, es öffentlich aber nicht anzusprechen wagen. Shatz zitiert einen amerikanischen Politologen, den er einige Monate vor der Wahl Donald Trumps in Paris trifft, und der ihm sagt, dass wohl klar sei, was passieren werde, falls der Mann gewählt würde: „Er wird entweder vom Staat im Staate (‚deep state‘) entmachtet werden müssen, oder er wird umgebracht.“
Galle und Wut
Seit Trumps Wahl, so Shatz, spreche der fragliche Politologe sehnsüchtig vom „deep state“ in der Hoffnung, er werde „den Job erledigen“ – nicht viel anders als jene Leute im Nahen Osten, die sich einen Militärputsch gegen ein ihnen unliebsames Regime wünschten. Wo bleibt Khaled Islambouli, der hinter der Ermordung des ägyptischen Präsidenten Anwar Sadats stand, habe der Politotologe, natürlich mit schwarzem Humor, in einem E-Mail gefragt, oder wo bleibt Lee Harvey Oswald, wenn man ihn braucht?
„In den blauen (das heisst demokratisch stimmenden) Staaten ist heute von Gewalt, Bürgerkrieg und Sezession die Rede“, schreibt Adam Shatz in seinem LRB-Blog: „Viele, vielleicht die meisten von uns, die in Städten an den Küsten wohnen, haben uns dabei ertappt, seit dem 9. November kriminelle Gedanken und gewalttätige Phantasien zu hegen. (…) Diese Gefühle erlauben ein gewisses Mass an psychologischem Druckausgleich, aber sie sind gleichzeitig schwer zu verkraften. Mit Galle und Wut zu leben ist nicht angenehm; es frisst die Seele auf, wenn die Wirkung des Adrenalins nachlässt.“
Träume von Gewalt
Shatz zufolge sind Gewaltphantasien an sich noch nicht schädlich: „Leute, die unter einem Tyrannen leben, träumen oft davon, dass ihr Führer ein gewaltsames Ende findet (wenn sie ihn nicht als geliebte Vaterfigur umarmt haben). Trotzdem, es ist bemerkenswert, wie leicht jene unter uns, die nur einen einzigen, aber kontroversen Monat der Ära Trump-Bannon erlebt haben, auf gewalttätige Gedanken kommen. Der amerikanische Exzeptionalismus mag tot sein, aber er überlebt als liebgewonnener Gedanke, der nicht an der Überlegenheit unserer Demokratie gemessen wird, sondern am beispiellosen Schrecken, den zu durchleben wir uns vorstellen.“
Solche Gedanken, folgert Adam Shatz, seien auf gewisse Weise Ausdruck jener Macht, die Präsident Donald Trump seit seiner umstrittenen Wahl über unsere Vorstellung ausübt: „Hätte er einen Sinn für Ironie, die Tatsache würde ihm unter Umständen perverses Vergnügen bereiten, dass er andernfalls friedliche Leute dazu bringt, von Gewalt zu träumen – und davon zu träumen, dass Gewalt das einziges Mittel ist, sich gegen ihn zu wehren.“
Quellen: „The New York Times“; „The Washington Post“; The Guardian”; “London Review of Books”, “The Local”