Wegen „technischer und logistischer“ Probleme verlängerte das Ministerium für Bevölkerung und Immigration die angelaufene Erhebung jetzt zum zweiten Mal bis Ende Mai. Kein Wunder, denn die Herausforderungen sind enorm. Das Land ist gross, unwegsam, zum Teil von bewaffneten Konflikten geprägt. Das Verständnis der meist noch mausarmen Bevölkerung für Sinn und Zweck einer Volkszählung ist bestenfalls gering, meist aber überhaupt nicht vorhanden.
Grundlagen für die Steuerung des Landes
Seit über einem Jahr wird deshalb mit dem Motto „Eine landesweite Volkszählung – machen wir alle mit!“ geworben. Die komplexe Erhebung zum Zustand der Nation wird von der Uno seit zwei Jahren aktiv unterstützt. Für die Kosten von rund 60 Millionen Dollar kommt die Uno auf, zusammen mit namhaften Beiträgen der USA, Australiens, Grossbritanniens und weiterer Länder. Myanmar selbst steuert fünfzehn Millionen Dollar bei.
100‘000 Lehrer und Lehrerinnen sind landesweit seit dem 1. April unterwegs. 41 Fragen werden in jedem Haushalt und 11 in jeder Organisation gestellt. Die erhobenen sozio-ökonomischen Daten sollen der Regierung gesicherte Daten liefern für die sich seit Beginn der Reform vor drei Jahren rasant entwickelnde Wirtschaft. Mit den bislang notorisch unzuverlässigen Statistiken glich das Steuern der Wirtschaft und Gesellschaft einem Blindflug ohne Instrumente.
Die letzte glaubhafte Volkszählung wurde 1931 noch von den britischen Kolonialherren durchgeführt. Doch diese Zahlen sind natürlich heute obsolet. Die Militärjunta von General Ne Win liess dann sein mit harter Hand unterdrücktes Volk 1973 und 1983 durchleuchten. Damals wurde eine Bevölkerung von 35,5 Millionen gezählt, der Anteil der Burmesen, der Barma, wurde mit 69 Prozent ausgewiesen. Doch die Resultate wurden der Methode und der politischen Umstände wegen angezweifelt.
Fehlende fundamentale Bevölkerungsdaten
Über die heutigen Zahlen gehen die Schätzungen weit auseinander. So wird etwa, je nach Fortschreibung der 1983-Census-Daten, heute die Bevölkerung auf zwischen 45 und 65 Millionen Menschen geschätzt. Auch der Anteil der Ethnien an der Gesamtbevölkerung wird unterschiedlich interpretiert. Das ist politisch hochbrisant. Das Staatsvolk der Burmesen, der Barma, macht nach Ansicht der meisten Politiker in Myanmar heute mehr als 60 Prozent aus.
Es gibt aber auch Burmesen, die den 135 offiziell anerkannten ethnischen Minderheiten einen 60-Prozent-Anteil an der Gesamtbevölkerung zuschreiben. Genaueres wird man im Juli wissen, wenn erste provisorische Daten vorliegen werden. Das Endergebnis wird für 2015 erwartet, dem Schicksalsjahr, für das allgemeine Wahlen terminiert sind.
Heikler Census bei instabiler Lage
Opposition dagegen, den Census zum jetzigen Zeitpunkt durchzuführen, wurde vor allem im Ausland laut, vornehmlich unter Menschenrechtsorganisationen. Die Lage zumal in den Bundesstaaten der Minoritäten wie etwa Shan, Karen, Chin, Cachin, Mon oder Rakhine sei noch zuwenig stabil.
Doch so unvollkommen die jetzige Volkszählung auch sein mag, nötig für die weitere soziale und ökonomische Entwicklung Myanmars ist sie unbedingt. Ohne einigermassen verlässlich-akkurate Zahlen kann selbst die demokratischste Regierung nichts ausrichten. Der bisherige Ablauf des Census verlief denn auch nach internationalen Beobachtern und der UNO mit wenigen Ausnahmen geordnet, diszipliniert und ohne Zwischenfälle.
Brisante Erfassung der Ethnien
Delikat wird der Census bei den 41 Fragen. Denn es wird ja nicht nur nach Name, Geburtdatum, Beruf, Geschlecht und dergleichen gefragt. Im Vielvölkerstaat Myanmar ist die Frage nach der Ethnie politischer Zunder. Die angeblich 135 Nationalitäten erbte Burma von den britischen Kolonialherren. Diese imperialistische Ethnienliste ist längst überholt und unpräzis. Dennoch erliess die Militärjunta 1982 ein Bürgerrechtsgesetz basierend auf dieser unseligen Liste.
Im derzeitigen Census zum Beispiel dürfen die rund eine Million Rohingyas im südwestlichen, an Bangladesh grenzenden Rakhine-Bundesstaat sich bei der Volkszählung nicht mehr Rohingyas nennen, sondern müssen sich als „Bengalen“ registrieren lassen. Die Rohingyas sind Moslems, wurden nie als Myamar-Bürger anerkannt und gelten, obwohl seit fast zwei Jahrhunderten im Land, als „illegale Immigranten“. Es ist weltweit, so die UNO, eine der am meisten verfolgten Minderheiten.
Bedrängte Rohingyas
Bereits letztes Jahr kam es im buddhistisch geprägten Rakhinestaat und zumal in der Stadt Sittwe zu wüsten Ausschreitungen gegen die Moslems. Die Wut buddhistischer Eiferer erreichte auch andere Landesteile, obwohl der Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung sehr gering ist. Moslems wurden angegriffen, Häuser zerstört, Moscheen abgefackelt.
Noch im März, kurz vor Beginn des Census, hetzte der landesweit bekannte buddhistische Mönch Ashin Wirathu erneut gegen die Rohingyas. Mit Erfolg: Das Ministerium für Bevölkerung und Immigration verfügte darauf, dass bei der Volkszählung die Enthien-Zugehörigkeit „Rohingyas“ verboten und durch „Bengalen“ zu ersetzen sei. Das Ministerium begründete diesen Schritt damit, dass es bei einer Bezeichnung „Rohingya“ zu „ernsthaften Problemen im ganzen Land“ kommen könnte, weil das als erster Schritt zur Verleihung der Staatsbürgerschaft interpretiert werden könnte.
Die im Westen als moralische Instanz und Demokratie-Ikone gefeierte Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi schwieg, wie zuvor bei andern heiklen Themen, einmal mehr. Sie will es für die allgemeinen Wahlen 2015, mittlerweile auf die Ebene der real existierenden Politik angekommen, nicht mit den Wählern verderben.
Religionsfrieden in Gefahr
Die Resultate der Volkszählung jedenfalls werden Anlass zu heftigen Diskussionen geben. Viele der derzeit geläufigen ökonomischen Annahmen werden für die künftige Entwicklung in Frage gestellt werden. Auch das schon zur Kolonialzeit brisante Thema der nationalen Minderheiten wird erneut grundlegend zur Debatte stehen. Nicht zuletzt wird auch der Religionsfrieden getestet werden, nämlich dann, wenn sich der Anteil der Moslems, derzeit gerade einmal vier Prozent, auch nur ein wenig erhöhen sollte.
Die Volksverhetzer rund um den Mönch Ashin Wirathu warten in einem Land, das zu über 90 Prozent buddhistisch ist, nur darauf. Dass sich solche Kreise heute in Myanmar im Gegensatz zur Militärdiktatur frei äussern dürfen, ist Teil der demokratischen Prozesses mit der wiedererlangten Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit.