Jeder Politiker will als Staatsmann in Erinnerung bleiben. So auch David Cameron mit seinem Kreuzzug gegen Korruption und Steuerhinterziehung. Und da steht traditionell die Schweiz am Pranger.
Spricht man von David Cameron kommt einem nicht als erstes der Begriff „Staatsmann“ in den Sinn – schon eher: „gewiefter Taktiker“. So meldete er innerhalb seiner konservativen Partei seinen Führungsanspruch erst an, als die unter Tony Blair unschlagbar geltende Labour Party sich soweit abgenützt hatte, bis ein Machtwechsel sich abzeichnete.
Staatsmännisch war das nicht
In seiner ersten Amtszeit hielt Cameron die „Empire-Nostalgiker“ in Schach, indem er vage versprach, eine Volksbefragung über einen Verbleib des Königreichs in Europa anzusetzen. Später, als es um eine britische Militärintervention in Syrien ging, versteckt er sich hinter den Parlamentariern, die mehrheitlich einen Militärschlag ablehnten. Dies war angesichts des auch britischen Debakels im Irak auf politischer Ebene nachvollziehbar.
Staatsmännisch allerdings war das nicht, im Gegensatz zu Margaret Thatcher, die nach Saddam Husseins Kuweit-Annexion Präsident Bush (den Vater von George W.) aufforderte "Don't go wobbly on me, George".
Persönliche Schicksalsfrage
Nun ist Cameron von der Geschichte eingeholt worden. Die Brexit-Abstimmung ist zu seiner persönlichen Schicksalsfrage geworden. Würden sich die Briten für einen Austritt ihres Landes aus der EU entscheiden, würde dies Cameron politisch wohl nicht überleben.
Vor dieser realen Möglichkeit besinnt er sich auf sein politisches Vermächtnis. Bemerkenswerterweise hat Cameron seit kurzem begonnen, den Verbleib seines Landes in der EU nicht nur mit - vollkommen evidenten - wirtschaftlichen Überlegungen zu begründen.
Strategisch richtig
Er bringt nun auch politische und vor allem sicherheitspolitische Überlegungen ins Spiel. Er argumentiert, Grossbritannien sei in der EU sicherer als ausserhalb. Im Klartext bedeutet dies, dass sein Land nur im Verbund mit Frankreich und Deutschland dem aufstrebenden Asien und Russland sowohl wirtschaftlich als auch militärisch die Stirn bieten kann.
Dies ist eine richtige strategische und damit staatsmännische Überlegung, vor allem angesichts der russischen Militärpräsenz im Osten und der islamistischen Gefahr aus Süden.
Steueroptimierung - kein Kavaliersdelikt mehr
Mit dem Kreuzzug gegen Korruption hat er ein weiteres Thema gefunden, mit dem er sich profilieren möchte. Korruption im landläufigen Sinne ist eine vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern grassierende Geissel, welche der Entwicklung hin zu Wohlstand, Demokratie und Gerechtigkeit nicht nur schadet, sondern sie oft verhindert. Es handelt sich um eine globale Schicksalsfrage, da mehr Wohlstand für alle im Süden weniger Wirtschaftsflüchtlinge im Norden bedeutet, also: mehr Demokratie bringt weniger politische Flüchtlinge und mehr Gerechtigkeit bringt grössere wirtschaftliche Sicherheit für lokale und internationale Investoren.
Vor diesem Hintergrund ist der letzte Woche in London abgehaltene Anti-Korruptionsgipfel zu sehen. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass der Gipfel überhaupt stattfand, und zwar auf Initiative von Cameron im zweitwichtigsten Finanzzentrum der Welt. Zum ersten Mal wurde auf globaler Ebene auch jene Art von Korruption gebrandmarkt, die noch vor kurzem als legal galt und oft sogar als ethisch unbedenklich angesehen wurde. Seit ‘Luxleaks’ gilt das nicht mehr für ‘Steueroptimierung“ ("optimisation") durch multinationale Unternehmen oder Private. Seit den Panama Papers haben Steueroptimierungen via Steueroasen und Briefkastenfirmen einen schweren Strand.
Die USA - "New Switzerland"?
Bemerkenswert ist dies auch, weil Cameron gewusst haben muss, dass gerade auch das Vereinigte Königreich mit seinen Kronbesitzungen (Kanalinseln) und Überseeterritorien (Junfrauinseln) nach den Panama Papers in Verruf gerät. Dies zusammen mit dem grossen Cousin USA, dem in London wegen seiner Steueroasen mitten im amerikanischen Herzland (Delaware, Dakota, Wyoming) berechtigte Vorwürfe gemacht werden. Das englische Wirtschafts-Weltblatt „Financial Times“ fragte sich anlässlich des Gipfels, ob die USA künftig nicht zum ‘New Switzerland’ würden, wenn Washington nicht Gegensteuer gäbe.
Ob diesen beiden angelsächsischen Geldwaschsalons wirklich Einhalt geboten wird, muss sich in der Praxis erst noch zeigen. So hat Cameron am Gipfel ein öffentliches Register angekündigt, in welchem die Identität ausländischer Grundbesitzer offengelegt werden soll. Indes ist unklar, ob solche Massnahmen - ohne direkten Zwang von London aus - auch von den autonomen Behörden, beispielsweise auf den Jungfrauinseln, durchgesetzt werden. Die am Korruptionsgipfel vom amerikanischen Aussenminister John Kerry in Aussicht gestellten Gesetze werden kaum noch vor den amerikanischen Wahlen in Kraft treten.
Hausaufgaben gemacht?
Aussenminister Didier Burkhalter, der die Schweiz am Gipfel vertrat, hob in seiner Rede hervor, dass die Schweiz ihre jüngsten gesetzlichen Hausaufgaben, international (automatischer Informationsaustausch) und national (Unternehmenssteuerreform), zur Abwehr von schmutzigem Geld und von "Steueroptimierung" bereits gemacht habe.
Das tönt beruhigend, ist es aber nur bedingt. Es bestehen keine Anzeichen in Bern, dass mittels öffentlichen Registern wirklich Klarheit über Besitz- und Steuerverhältnisse geschaffen werden wird. Unser famoser Finanzminister hatte erklärt, Offshore- und Briefkastenfirmen seien grundsätzlich unbedenklich. Er war der global einzige öffentliche Vertreter eines internationalen Finanzzentrums, der sich mit einer solchen Dummheit zitieren liess. Im Gegensatz zu seinen Worten ist davon auszugehen, dass auch in der Schweiz – und aus der Schweiz heraus – solche illegale, unethische und teils kriminelle Konstrukte geschmiedet werden.
Wutbürger gegen die Schweiz?
Die Panama Papers zeigen die wichtige Rolle auf, welche schweizerische Banken, Finanzvermittler und Anwälte bei Steueroptimierungen (und Schlimmerem) gespielt haben. Dabei sind auch Banken mit ausländischem Besitzer, die in der Schweiz niedergelassen und den schweizerischen Gesetzen und Kontrollen unterstellt sind. Auch ohne Panama Papers war klar gewordenl dass beispielsweise die „Banca della Svizzera Italiana“ BSI - wohl direkt via ihre Niederlassungen in London und Singapur, aber mit aktiver Mithilfe des Hauptsitzes in Lugano - von Malaysia bis New York als Geldwaschsalon und zentraler Gehilfe zur Steuerhinterziehung tätig war.
Die schweizerische Demokratie mahlt langsam. Gegenüber dem Finanzplatz verhält sie sich oft schonend. Angesichts immer wieder neuer öffentlicher Sparrunden kann man sich immerhin fragen, wann die Welle des internationalen Wutbürgertums gegen unverhältnismässige Bereicherung von einigen Wenigen auch helvetische Gestade erreichen wird. Die Panama Papers haben eine globale Bewegung in Gang gesetzt, welche unseren Finanzplatz, und damit auch schweizerische Fiskalpolitik in einem Masse umpflügen wird, wie dies die Aufhebung des Bankgeheimnisses im Moment tut. Eine proaktivere Bundespolitik, sowohl in Gesetzgebung und Kommunikation gegen innen, als auch in der Übernahme einer internationalen Führungsrolle würde mithelfen, die erwähnte Welle aufzufangen. Sonst wird diese Populisten an die Macht spülen, mit welchen traditionell zumindest zwei Drittel aller Schweizer nichts am Hut haben.