- GISELA BLAU EMPFIEHLT
Jakob Tanner: Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert
Jakob Tanner ist der beste Kenner schweizerischer Zeitgeschichte und war bis zur Emeritierung Mitte 2015 der beliebteste Geschichtsprofessor an der Universität Zürich. Das Feuerwerk, das er in seinen Vorlesungen zündete, funktelt nun in seinem neuen Standardwerk über die Schweiz der Moderne. Es ist das Werk - typisch Tanner - eines Historikers, der brillant und gleichzeitig unterhaltsam analysiert und schreibt.
Verlag C.H Beck 2015. 676 Seiten
Beate Maxian: Tod in der Hofburg
Leichtfüssig und inhaltsschwer, wie Wien halt so ist oder scheint. Es ist das Jahresende, und die Kolumnistin Sarah Pauli schreibt über Rituale der mystischen Zeit. Erst stirbt eine Erpresserin durch eine Explosion im Sisi-Museum der Hofburg, und dann wird ein Ehepaar nach dem Neujahrskonzert Opfer eines Heckenschützen. Die Polizei rätselt, doch Sarah Pauli ist dem Rätsel auf der Spur.
Goldmann 2015, 384 Seiten
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- REINHARD MEIER EMPFIEHLT
Jonathan Franzen: Unschuld
Wer Jonathans Franzens Bestseller „Die Korrekturen“ und „Freedom“ verschlungen hat, wird nicht lange zögern und auch nach seinem neuen Wälzer greifen. Der amerikanische Erzählmagier weiss den Leser sofort wieder in Bann zu schlagen. Doch so dicht wie in den Vorgängerromanen vermag er die Spannung nicht aufrecht zu erhalten.
Rohwolt, Reinbeck, 2015, 829 Seiten
Katja Gloger: Putins Welt. Das neue Russland, die Ukraine und der Westen
Die deutsche Autorin ist aus langjähriger Erfahrung eine differenzierte Kennerin des postsowjetischen Russland und seiner komplexen Seelenlage. Sie hat Putin ganz aus der Nähe beobachtet. Seine Popularität, erklärt sie, liege vor allem darin begründet, dass er die „die tiefsitzende, kollektive Sehnsucht“ der Volksmehrheit nach „Wiederauferstehung und Revanche“ verkörpere.
Berlin Verlag, Berlin, 2015, 350 Seiten
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- ROLAND JEANNERTE EMPFIEHLT
Lorenz Stäger: Der Kammerdiener
Der angeblich unbegabte Hans Keusch, vom Lehrer vorzeitig vom Schulunterricht dispensiert, erlebt eine unglaubliche Karriere vom Schuhputzer bis zum Kammerdiener eines siamesischen Prinzen. Dabei bereist er die ganze Welt und lernt Zeitgenossen – wie William Steinway oder Karl May - kennen. Dem erfolgreichen Schriftsteller Lorenz Stäger (u.a „Liebt ihr Bruder Fisch, Madame?“ , „Aber, aber Frau Potiphar“) ist einmal mehr ein zügig und mit Schmunzeln geschriebener Roman gelungen, der auf einer wahren Geschichte aus dem Aargau basiert.
Lokwort Bern, 2015, 232 Seiten
J. Harald Wäber: Vo gigele bis gugle
„Berndeutsch ist ein Dialekt, den ich liebe“, schreibt der Komiker Massimo Rocchi im Geleitwort zu „Vo gigele bis gugle“ (übersetzt etwa: von leise bis laut lachen). Der frühere Berner Staats- und spätere Burgerbibliotheks-Archivar Harald Wäber hat über Jahre rund 500 Bernische Anekdoten gesammelt und jetzt, gegliedert in 19 Unterkapitel, publiziert. Eine reiche und vergnügliche Lektüre, wertvoller Spiegel eines Volksguts. Ein Dialektbuch unter dem Weihnachtsbaum? Erstaunlich, wie ring sich das lesen lässt, wie rasch sich das Auge an diese Schreibweise gewöhnt!
Weber-Verlag, Thun, November 2015, 156 Seiten
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- CHRISTOPH KUHN EMPFIEHLT
Urs Jaeggi: Heimspiele
Der Solothurner, ein Multitalent, hat als Soziologieprofessor gelehrt, ist Schriftsteller und bildender Künstler, lebt in Berlin und Mexiko-City und erfreut uns mit Texten, die teilweise im Solothurnischen, aber auch in New York verortet sind – „Heimspiele“ eben. Eine dichte Prosa, die expressiv und drängend von Randexistenzen erzählt. Hohes Tempo, wechselnde Perspektiven charakterisieren den Stil, der etwas Mitreissendes hat.
Ritter Verlag, Klagenfurt, Oktober 2015, 208 Seiten
Max Frisch: Ignoranz als Staatsschutz?
Es ist das letzte Buch des 1991 verstorbenen Max Frisch und es ist Fragment geblieben. Es beginnt mit einer seiner bösen (rhetorischen) Fragen und besteht aus einem vielteiligen Kommentar zu den sogenannten Fichen, die Beamte des Schweizerischen Staatsschutz 40 Jahre lang über Frisch angelegt haben. Ein sorgfältig ediertes Buch (David Gugerli und Hannes Mangold sind die verdienstvollen Herausgeber), das neben dem Faksimile der von Frisch bearbeiteten Original-Fichen eine Transskription enthält. Man kann ob der Einfalt der Spione nur den Kopf schütteln – um sich dann in die Aufräumungsarbeiten des verärgerten, ironischen, beleidigten Frisch zu vertiefen. Eine packende Lektüre.
Suhrkamp Verlag, Berlin, Oktober 2015, 127 Seiten
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- IGNAZ STAUB EMPFIEHLT
Phil Klay: „Redployment“
Jeder Krieg, so heisst es, habe ein Buch, das ihn charakterisiere. Noch liegt Amerikas Krieg im Irak nicht lange genug zurück, um dieses Werk bereits zu benennen. Mit an vorderster Stelle aber dürften Phil Klays Kurzgeschichten rangieren, deren Ich-Erzähler US-Soldaten unterschiedlicher Herkunft sind. Ihre nüchtern rapportierten Erlebnisse und Erinnerungen verdichten sich zum Bild eines willkürlich angezettelten Krieges, wie es packender nicht sein könnte.
Canongate Books, Edinburgh 2015, 291 Seiten
Peter Pfrunder: „Jules Decrauzat – Der erste Fotoreporter der Schweiz“
Obwohl die Bilderflut derzeit täglich anschwillt, sind Entdeckungen unbekannter Fotografen rar. Eine Trouvaille erster Güte jedoch sind aus dem Archiv der Fotoagentur Keystone die Bilder des Bielers Jean Decrauzat (1879-1960), der ab 1910 für die Genfer Illustrierte „La Suisse Sportive“ zu fotografieren begann – ungetrübte Momentaufnahmen verschiedener Disziplinen, welche die damalige Faszination der Menschen für den modernen Sport erahnen lassen.
Echtzeit Verlag, Basel 2015, 249 Seiten
Adam Sisman: „John LeCarré“
Wer sich je von den raffiniert gestrickten Spionagethrillern des 84-jährigen britischen Autors hat packen lassen, der wird sich seine von Adam Sisman akribisch recherchierte, voluminöse Biografie nicht entgehen lassen wollen. Der Reiz der Lektüre liegt für den Leser unter anderem darin, das Rätsel zu lösen, wieviel von LeCarrés leidvoller Erfahrung als Sohn eines charmanten Gauners in seine Romane und deren meist zwiespältigen Protagonisten eingeflossen ist.
Bloomsbury Publishing, London 2015, 652 Seiten
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- KLARA OBERMÜLLER EMPFIEHLT
Tilmann Lahme: Die Manns
Für einmal nicht Thomas, nicht Katja und auch nicht Erika, Klaus oder Golo, sondern alle zusammen, die ganze komplizierte Familie mit ihren internen Spannungen, Rivalitäten, Sympathien und Antipathien. Dank profunder Kenntnisse und bisher unbekannter Dokumente ist es Tilman Lahme gelungen, ein Familienporträt zu entwerfen, das sich spannender liest als mancher Krimi.
S. Fischer, Frankfurt a.M., 2015, 448 Seiten
Christian Haller: Die verborgenen Ufer
Nach der 2006 abgeschlossenen „Trilogie des Erinnerns“ kehrt Christian Haller noch einmal zurück in seine Kindheit und Jugend: expliziter am eigenen Erleben ausgerichtet diesmal und stärker auf seine literarische Berufung fokussiert als früher. Entstanden ist ein stilles und ergreifendes Buch, das Zeitgeschehen und Autobiographie auf gekonnte Weise ineinander verzahnt.
Luchterhand, München, 2015, 255 Seiten
Hansjörg Schneider: Hunkelers Geheimnis
Wer Schneiders Hunkeler-Geschichten kennt, weiss: Äusserlich geschieht nicht viel, dafür umso mehr atmosphärisch und zwischenmenschlich. So auch in Hunkelers neuntem Fall, der Geschichte von einem alten Kater, der das Mausen nicht lassen kann, dem aber das Schicksal der Menschen inzwischen wichtiger ist als die Lösung des Falls im kriminalistischen Sinn.
Diogenes, Zürich, 208 Seiten
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- ALEX BÄNNINGER EMPFIEHLT
Patrick Modiano: Damit du dich im Viertel nicht verirrst
"Damit du dich im Viertel nicht verirrst" von Patrick Modiano, Nobelpreisträger 2014, ist gleichzeitig eine Kriminalgeschichte und ein Buch über die Schwierigkeit des Erinnerns. Jede Antwort wirft neue Fragen auf, jede Erklärung dient dazu, weitere Verwirrung zu stiften. Die Dramaturgie ist raffiniert, ihre sprachliche Umsetzung meisterhaft.
Hanser, München 2015, 160 Seiten
Hermann Parzinger: Die Kinder des Prometheus
Der Prähistoriker Hermann Parzinger verbindet in "Die Kinder des Prometheus" die Qualität der wissenschaftlichen Genauigkeit mit jener der erzählerischen Kunst. Lesend vergehen die sieben Millionen Jahre Menschheitsgeschichte wie im Flug. Das Dunkel und Halbdunkel unserer fernen Vergangenheit rückt ins helle Licht der heutigen Erkenntnis. Die Belehrung begeistert.
C. H. Beck, 3. durchgesehene Auflage, München, 2015, 847 Seiten _____________________________________________________
- URS MEIER EMPFIEHLT
Louis Begley: Schmidts Einsicht, Roman
Der Jurist und Romancier Begley schickt die Titelfigur mehrerer seiner Romane, den alternden reichen New Yorker Juristen Schmidt, auf einen Parcours der Höllen und Freuden. Mit Schaudern und Genuss liest man von Komplikationen des Familiären, Verstrickungen der Liebe und unerschütterlicher Freundschaft. Der Roman eines Könners, dem alles scheinbar mühelos gelingt.
Suhrkamp, Berlin 2013, 415 Seiten
Simone Lappert: Wurfschatten, Roman
Die Schauspielschülerin Ada pflegt einen bizarren Umgang mit ihren Angstattacken und hat sich in einer Bohême-Existenz eingerichtet. Geübt im Ausweichen vor Realitäten und im Jonglieren mit Beziehungen, tut sie schliesslich doch ein paar Schritte hin zu einem erwachsenen Leben. Das Zeitbild der literarischen Debütantin verdient Aufmerksamkeit.
Walde und Graf bei Metrolit, Berlin 2014, 205 Seiten
Hans Magnus Enzensberger: Tumult
Das fünf Jahrzehnte zurückblickende Erinnerungsbuch ist «Den Verschwundenen» gewidmet. Enzensberger erzählt von der durch Anarchie und Terror erschütterten Bundesrepublik, von der Sowjetunion und Kuba in Form einer Konfrontation mit dem einstigen Ich und entgeht dadurch elegant der Falle des sich Rechtfertigens. Vielleicht ist das einen Tick zu elegant, aber eine aufschlussreiche und farbige Lektüre ist es allemal.
Suhrkamp, Berlin 2014, 287 Seiten
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- STEPHAN WEHOWSKY EMPFIEHLT
Hans Magnus Enzensberger, Immer das Geld! Ein kleiner Wirtschaftsroman
Die meisten Leute glauben, sie hätten davon zu wenig, aber was ist eigentlich das Geld? Wo kommt es überhaupt her? Wie schon in seinem „Zahlenteufel“ macht sich Hans Magnus Enzensberger den Spass, scheinbar naive Fragen in eine lustige Geschichte zu kleiden. Sie ist für Kinder und Erwachsene gleichermassen vergnüglich – als schön gestaltetes Buch und als gelungenes Hörbuch.
Suhrkamp Verlag, Berlin, 2015, 237 Seiten
Kurt Flasch, Der Teufel und seine Engel. Die neue Biographie
Zu Weihnachten wird wieder viel vom Jesuskind die Rede sein, nicht aber vom grossen Widersacher Gottes, dem Teufel. Dabei gehörten beide lange Zeit zusammen. Der Philosoph Kurt Flasch glaubt nicht an den Teufel, aber folgt seinen Spuren im christlichen Glauben, dem Volksaberglauben und der Kunst. Wer Europas Kultur und das Christentum verstehen will, kommt um den Teufel nicht herum.
Beck, München, 2015, 464 Seiten
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- HEINER HUG EMPFIEHLT
Gianluigi Nuzzi: „Alles muss ans Licht“ (Via Crucis)
Dieses Buch tut dem Vatikan weh. Dem italienischen Investigationsautor ist wieder ein Coup gelungen. Anhand geheimer Dokumente enthüllt er, wie Kardinäle schamlos mit Spendengeldern in Saus und Braus leben. Sie wohnen in luxuriösen Wohnungen und pflegen einen extravaganten Lebensstil. Der Vatikan fühlt sich im Mark getroffen und tat das Dümmste, was er tun konnte. Er macht Nuzzi den Prozess, was das Buch an die Spitze der italienischen Bestsellerlisten katapultiert hat.
Ecowin Verlag, Salzburg, November 2015, 383 Seiten
Beate und Serge Klarsfeld: Erinnerungen
Es war die wohl berühmteste Ohrfeige: „Nazi, Nazi“ schrie sie, stürmte auf ihn zu und schlug Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, ehemaliges NSDAP-Mitglied, ins Gesicht. Mit ihrem Mann Serge kämpfte Beate Klarsfeld ein Leben lang gegen Nazi-Verbrecher und brachte viele vor Gericht, so den „Schlächter von Lyon“, Klaus Barbie. Im Sommer erhielt das Ehepaar Klarsfeld das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Jetzt legen Beate und Serge ihre Erinnerungen vor, ein Buch, das unter die Haut geht.
Piper, München, November 2015, 624 Seiten