Warum ich nicht mehr zur Messe fahre? Am einfachsten klingt wohl: Was man 23 Mal und alle Jahre wieder im Oktober getan hat, wäre beim 24. bis 39. Mal nicht mehr so prickelnd.
Vor drei Jahren, am vorletzten Tag der Messe, sah ich den Kollegen vom Stand vis-à-vis wie fast jeden Nachmittag einnicken, mit verschränkten Armen, auf seinem Stuhl festgeschraubt. Über Stunden war kein Besucher stehengeblieben. Am Stand neben ihm saß eingesunken und stumm zwischen ihren Mitarbeitern die über 80-jährige Frau Klemm, verdienstvolle Chefin der «Dieterich’schen». Sie war mühsam herangehumpelt, aber sie war wieder da, Messe wie seit 50 Jahren.
Für uns wars ein interessanter Tag gewesen. Während Elisabeth mit einer Frankfurter Leserin sprach, die alljährlich stundenlang in unseren Novitäten blätterte und reichlich einkaufte, versuchte eine Übersetzerin, mich für einen neuen französischen Autor zu begeistern. Einer der lang vor der Messe ausgemachten Termine nach mehrstufigem Mail-Austausch. Unterdessen klaute ein Unbekannter unser Ausstellungs-Exemplar von Bernadette Conrad «Nomaden im Herzen» vom Regalbrett. Wenn auf Messen geklaut wird, tröstet man sich: Unsere Literatur ist begehrt.
Ein letzter Messetag
Der Tag hatte begonnen mit einer typischen Glamourstunde. Ohne Verabredung erschienen fast gleichzeitig Ulrike Draesner, Petra Gerster und Angelika Overath bei uns in der lichten Halle 3.1. Ulrike Draesner wollte unser druckfrisches Buch mit den Erzählungen von J. P. Hebel und ihren subversiv-poetischen Gegentexten in die Hand nehmen. Petra Gerster mit Christian Nürnberger, ein Freundschaftsbesuch auf dem Weg zu Rowohlt, wo ihr gemeinsames Buch erschien. (Beide VIP-Damen fragten diskret, wer denn die andere sei, sie hatten in ihren Medien-Biotopen noch nichts voneinander gehört.)
Daneben Angelika Overath, deren frühe Bücher in den 90er-Jahren wir gemacht hatten und die inzwischen zwei Verlage weiter war; wir sprachen übers Jubiläum der Buchhandlung Wälischmiller, bei dem wir bald gemeinsam auftreten würden.
Ein guter Messetag also. Abends dann, als meine Frau die Aufträge für die Spedition vorbereitete, die Frage: «Was soll ich schreiben, wie üblich Einlagerung des gesamten Standmobiliars bis zur nächsten Messe ... oder eher Rücktransport an den Verlag?» Eine magische Minute. Frankfurt war noch einmal schön gewesen, ein guter Zeitpunkt. – So haben wir 2009 aufgehört; die großen Entscheidungen trifft man am besten spontan.
Hektischer Stillstand
Denn wir hatten «Frankfurt» schon länger als hektisch überspielten Stillstand, als Wiederholung und sachten Niedergang erlebt und uns gefragt, warum wir noch hinfuhren. Ob die drei Wochen Arbeit dafür, die mehr als 5000 Euro Kosten denn noch im Verhältnis zum (schlecht messbaren) Ertrag standen.
Den Besuchern von außen fielen die Veränderungen nicht auf, für sie wirds noch überwältigend bleiben, wenn es statt 7000 Ausstellern bald eher 5000 sein werden. Dass die NZZ vor Jahren schon ihren Stand eingespart hatte, große Magazine ihre Präsenz verkleinerten oder für entbehrlich hielten, fällt im Gewirr der acht Hallen kaum auf.
Der Bär tobt bei den Großverlagen, um den Hype der Saison, mal Bohlen, mal Sarrazin, mal Vampirromane. Die fortschreitende Konzentration der Konzernverlage bildete sich immer stärker an der Messe ab, Bertelsmann durfte es sich leisten, seinem Riesenstand einen Stock draufzusetzen. Das wichtigste Geschäft der Messe bleibt ohnehin unsichtbar: der internationale Lizenzhandel.
Die kleineren Verlage machen die Staffage dazu, in Halle 4.1 versuchten die (deutschen) Independents mit eigener Party und einem aus Bundesmitteln finanzierten prächtigen Prospekt ihr Fähnlein hochzuhalten. Aber auch dort hatte mir eine Berliner Verlegerin über das mangelnde Publikumsinteresse geklagt, und dass sie gar nicht mehr einsehe, warum sie sich die Messe überhaupt antue.
Die Messe in einem veränderten Buchgeschäft
Dass die Messe ihre traditionellen Funktionen unmerklich verlor, war ein langer Prozess. Vielleicht hatte es mit der Zeitungskrise begonnen: als die Feuilletons schrumpften und den Büchern weniger Raum gaben. Freie Journalisten, die bis dahin bei uns vorbeikamen, um zu erfahren, was wir planten, wurden seltener. Am ehesten konnten sie noch Themen verkaufen, die zur Event-Kultur passten. Über Yasmina Rezas neues Stück schreiben sie nicht, wenn unser Buch erscheint, sondern wenn die Autorin einen Preis erhält oder anlässlich der Uraufführung.
Zugleich wurde die Aufmerksamkeit auf Novitäten durch die schrillen Literatur-Matadore im TV gebündelt und die aufkommenden Buchketten setzten unübersehbar auf die Bestseller der Saison. Viele Buchhändler hängten auf einmal Sellerlisten neben die Stapelware. Seit den frühen 90er-Jahren hatten sie mit den Verlagen feste Jahreskonditionen ausgehandelt; danach mussten sie nicht mehr eigens zur Messe, um noch einmal günstig fürs Weihnachtsgeschäft einzukaufen. Die netten Gespräche mit den wenigen weiterhin neugierigen Buchhändlern begannen meist mit dem Satz: «Bestellt haben wir ja schon…».
Eine neue Sichtbarkeit jenseits der Messen
Gewiss: Für ein paar hundert lesende Fans war unser Messestand noch der einzige Ort, an dem sie unser gesamtes Programm in die Hand nehmen konnten. Wir hatten uns der Ausstellungspolitik der meisten Kollegen, die nur noch die Novitäten mitbrachten, still verweigert. Aber immer häufiger hörten wir auch von den Messe-Besuchern: «Wir schauen öfter auf Ihre Website.»
Tatsächlich hat das Internet, während wir brav in Frankfurt einen immer größeren Messestand bezahlten, eine ganz neue Sichtbarkeit für die Ware Buch ermöglicht. Statt des einmal im Jahr gedruckten Prospekts konnten wir nun Nachrichten laufend aktuell verfügbar machen. Unsere Buchcover und Klappentexte wurden für Leser am heimischen PC sichtbar. Und mit dem Newsletter, ein paar tausend Adressen aus speziellen Kundenanfragen, erreichten wir bereits viel mehr Leute als am Frankfurter Stand.
Die großen Messen specken ab
Dort geht das Maskenfest um Bücher weiter. Auch ohne uns. Es ist keine böse Phantasie, wenn man sagt: Die Zeit der großen Buchmessen geht zu Ende, und das wird mit dem Vordringen der E-Books rascher niedergehen, als die Frankfurter Organisatoren wünschen können – sie sind bis zum Ende des Jahrzehnts vertraglich gebunden. Für die London Book Fair suchen sie derzeit einen neuen Chef. In Paris hat der kriselnde Salon du Livre auf vier Messetage verkürzt.
Die Leser bevorzugen ohnehin einen neuen Typus der Buchfeste. Bei ihnen geht es nicht mehr um Monsterschau der Bücher, sondern um geistreich moderierte Lesungen, Live-Auftritte der Autoren, Gespräche in anregendem Gelände. Das literarische Leben hat dadurch nur gewonnen. In Leukerbad ist vor Bergkulisse das Internationale Literaturfestival im 17. Jahr seines Erfolgs, die LitCologne in Köln war im 15. Jahr komplett ausverkauft, in Hamburg ging gerade die 4. Auflage des Harbour Front Literaturfestivals zu Ende. (Und immer noch jammerschade, dass die BuchBasel sich nicht als Treffpunkt am westlichen Rand durchsetzen konnte.)