Das Theater Basel unternimmt am Beispiel der nach wie vor populären «Dreigroschenoper» von Bert Brecht und Kurt Weill eine Art Umkehrschluss, um Brechts Verfremdungsforderung an die theatralische Vermittlung neue Seiten abzugewinnen. Mit zwiespältigem Erfolg, aber grossem Applaus.
Die Entstehungs- und Aufführungsgeschichte des Stückes nach John Gays «The Beggar’s Opera» am Berliner Theater am Schiffbauerdamm im Jahre 1928 war von inneren und äusseren Turbulenzen geprägt. Absagen, Krankheitsfälle im Ensemble, kurzfristige, kaum einlösbare Forderungen einzelner Schauspieler stellten Brecht und den Komponisten Kurt Weill vor scheinbar unüberwindliche Probleme. Sie wurden zum Teil durch rigorose Umstellungen und Einkürzungen des ohnehin zu langen Textes gelöst und führten schliesslich zu einem bis in unsere heutige Zeit andauernden Erfolg.
Die kongeniale Musik von Kurt Weill
«Die Dreigroschenoper» verdankt ihre enorme Beliebtheit wohl vor allem der schrägen, zwar noch im klassischen Duktus, aber durchaus schon mit Dissonanzen versetzten, jedoch immer eingängigen Musik des deutschen Komponisten Kurt Weill (1900–1950). Weill hatte mit Brecht bereits früher für die Oper «Mahagonny» zusammengearbeitet und ging – mit der Besetzung einer damals modernen Big Band – kongenial auf die Brecht’schen Texte ein. Seine Songs wie «Die Seeräuber-Jenny» oder der Mackie Messer-Song («Und der Haifisch, der hat Zähne ...») sind auch heute noch Programm-Bestandteile internationaler Sängerinnen und Sänger und wurden vielfach übersetzt. In der Basler Inszenierung ist die ursprüngliche Orchesterbesetzung von 24 auf 8 Musikerinnen und Musiker geschrumpft, was die auf Durchlässigkeit bedachte Inszenierung wirkungsvoll unterstützt (Leitung Sebastian Hoffmann, Bandleaderin: Anita Wälti).
Wenn Brecht draufsteht ...
Allerdings wagen sich zurzeit nicht mehr viele Bühnen an den von den Brecht-Erben eifersüchtig überwachten Text, der von der Forderung ausgeht: «Wenn Brecht draufsteht, ist Brecht auch drin.» Dieses Verdikt gegen allzu freizügige Interpretationen der Brecht’schen Werke dürfte sich erst nach dem Jahre 2026 lockern. Dann läuft das gesetzliche Urheberrecht von 70 Jahren aus, in diesem Falle 70 Jahre nach Brechts frühem Tod im Jahre 1956.
Mehr als eine «literarische Operette»
Antu Romero Nunes, derzeit Co-Leiter des Schauspiels am Theater Basel, wagte es nach seiner ersten Fassung am Thalia Theater Hamburg trotzdem noch einmal. Und ging unverdrossen daran, sein früheres Konzept noch mehr zu radikalisieren, indem er angestrengt versuchte, die von Brecht geforderte Verfremdung der schauspielerischen Übermittlung umzusetzen. Ernst Josef Aufricht, Impresario der Uraufführung von 1928, war zwar damals der Ansicht gewesen, dass «Die Dreigroschenope» eine «literarische Operette mit einigen sozialkritischen Blinklichtern» sei, – eine Umschreibung, der Brecht natürlich sofort entgegenwirken wollte, um die allzu eingängige, leichte Konsumierbarkeit des Stücks zu erschweren. Brecht ging es vielmehr nach eigener Aussage um Gesellschaftskritik. Was die Vermittlung des Stoffes betrifft, sollte der Schauspieler nicht auf den Weg der Einfühlung verweilen, sondern dem Publikum «mehr erzählen, als in seiner Rolle steht».
So sollte das Publikum gefordert werden, soll mitdenken und nicht nur in Gefühlen schwelgen. Aber trotzdem war es auch Brecht von allem Anfang an klar: «Theater ist Unterhaltung.»
Eine Mitdenkveranstaltung
Unerwartet unterhaltend fängt die neue Basler Inszenierung denn auch an. Auf der anfänglich noch völlig leeren Bühne erscheint Bertolt Brecht in seiner altbekannten Aufmachung: Cäsaren-Haarschnitt, runde Nickelbrille, Schirmmütze, Zigarre im Mund, Arbeiter-Montur. Er beginnt dem Publikum die sich vorzustellende Szenerie und Möblierung zu beschreiben, ein lapidarer Vorgang, der auf die Essenz des ganzen Konzepts hinausläuft: Ein Publikum, welches über keine Vorstellungskraft verfüge, sei hier fehl am Platze und könne gleich wieder gehen. Dies hier sei eine «Mitdenkveranstaltung».
Darin bestärkt ihn alsogleich ein verdoppelter Brecht, völlig gleich aufgemacht, der sich jedoch willig (und zum Brüllen komisch) dem ersten Brecht unterwirft, eine Art Vermehrung der Pantoffeltierchen und ein Kabinettstück, das bald weiter fast vom gesamten Ensemble in Brecht’scher Einheitskleidung unterstützt wird. Eine solche Slapstick-Nummer im Conférencier-Stil, welche das Publikum alsbald zu Szenen-Applaus verführte, kann jedoch natur- und gattungsgemäss nicht durchgehalten werden.
Die Vorgänge hinter den Vorgängen
Denn ... natürlich, so geht’s ja nicht weiter mit der Verfremdung und der Gesellschaftskritik! Da müssen ja auch mal seriösere Töne angeschlagen, sprich gesungen, werden. Beziehungsweise: Die eigentliche Handlung, die Liebesgeschichte von der Hure und Bettlerkönigstochter Polly und dem Zuhälter und Verbrecher Macheath muss endlich einsetzen!
Und die wird vom motivierten Ensemble zum Teil grossartig und konzentriert durchgespielt, getanzt und auch sehr gut gesungen, verliert jedoch fast jeden gesellschaftskritischen Biss. Kurz: eine mit heutigen Mitteln leicht verfremdete Parodie einer Parodie: Einer, der Brecht spielt, spielt, dass er Brecht spielt. Brecht spielt Brecht spielen. Ist das aber schon der ganze Verfremdungseffekt? Die Bibliotheken der Welt sind voll von einschlägigen Werken darüber, seien sie von Brecht selbst oder literarischen Interpretationen.
Aber, um den Meister selbst zu zitieren: «Es ist jetzt so, es ist seit langem so, aber es ist nicht immer so.» (Brecht, «Die Vorgänge hinter den Vorgängen als Vorgänge unter Menschen» aus: Schriften zum Theater)
Dem Publikum hat’s jedenfalls trotz der eindeutigen Überlänge des Abends gut gefallen. Tosender Applaus nach 3 1/2 Stunden.
Nächste Vorstellungen:
19., 22., 26. Januar 2024