J.P.Morgan war eine der wenigen US-Banken, die einigermassen unbeschadet das Desaster und die Multimilliardenverluste der Finanzkrise eins, man erinnert sich an die geplatzte Hyposchrottpapierblase, überstanden. Deshalb war und ist der Big Boss der Bank, Jamie Dimon, der Wortführer aller Gegner der Regulierung sogenannter Eigengeschäfte. Auf Deutsch: Die Bank zockt mit dem Geld ihrer Aktionäre, wobei sich nur die Zocker eine goldene Nase verdienen.
Das «Geschäftsmodell»
J.P.Morgan zockte mit sogenannten Indexprodukten. Diese Derivate, wie immer Wettscheine ohne eigenen Wert, bilden Wertentwicklungen ab. Dazu gehören auch Credit Default Swaps (CDS), im Grunde eine sinnvolle Sache, mit der Kreditausfallrisiken abgesichert werden. Aber wenn man damit spielt, dann verwendet man sie nicht im eigentliche Sinne, sondern wettet auf eine der beiden üblichen Tendenzen: Sie gehen hoch oder runter.
J.P.Morgen setzte auf runter, also auf eine Verbesserung des Kreditmarktes, dessen Entwicklung wiederum den Handelswert von CDS steuert, wovon wiederum Derivate von CDS abhängen. Man kann sich das wie ein Pokerspiel vorstellen, wobei aber nicht auf die realen Blätter gewettet wird, sondern auf virtuelle Karten, die wiederum von anderen virtuellen Blättern abhängen. Kann man sich nicht vorstellen? Macht nichts, die Wette gilt.
In die Karten schauen
Nun ist es in jeder anständigen Pokerrunde so, dass jeder Spieler darauf achtet, dass ihm niemand in die eigenen Karten schauen oder gar aus seinem Mienenspiel ablesen kann, wie gut sein Blatt ist. Indem J.P.Morgan aber bei Bekanntgabe des Verlusts von 2 Milliarden Dollar aufdecken musste, worauf die Bank gesetzt hatte, konnten die Mitspieler sozusagen einen Blick auf die Karten werfen, die die Bank in der Hand hält. Und schwups - laut der «New York Times» sind die Verluste bereits auf 3 Milliarden gestiegen, weil natürlich andere Mitspieler gegen die absaufenden Positionen von J.P.Morgan wetten. Wenn das so weitergeht, und wieso sollte es nicht, können die Verluste auf bis zu 5 Milliarden steigen.
Die alte Bank und das Mehr
Der Namensgeber der Bank, John Pierpont Morgan, überlebte immerhin die Jungfernfahrt der Titantic, die zum von ihm kontrollierten Firmenimperium gehörte, weil er kurz zuvor erkrankte und nicht an Bord war. Der Tycoon baute am Anfang des 20. Jahrhunderts eines der grössten Firmenimperien der Welt auf und rettete 1907 durch den Ankauf von Staatsanleihen die USA vor einem möglichen Staatsbankrott. Also eine ziemlich lange und erfolgreiche Geschichte, auf die die im Jahre 2000 mit der Chase Manhatten fusionierte J.P.Morgan zurückblickt.
Nun sieht es aber so aus, als habe sie 100 Jahre später doch noch einen Eisberg gerammt. Obwohl ihr Boss Dimon noch vor wenigen Wochen von einem «Sturm im Wasserglas» sprach, als erste Gerüchte über einen Milliardenverlust aufkamen. Aber der war damals, richtig geraten, natürlich «unvorhersehbar».
Hemingway lässt grüssen
In «Der alte Mann und das Meer» beschreibt der grosse Erzähler den epischen Kampf des kubanischen Fischers Fuentes mit einem riesigen Marlin. Nach drei Tagen und Nächten gelingt es Fuentes, den Marlin zu töten. Der gewaltige Fisch ist aber zu gross, als dass er ihn an Bord seines kleinen Bootes hieven könnte. Auf dem Weg zurück zur Küste stürzen sich die Haie auf den Marlin; obwohl der Fischer um seinen Fang kämpft und immer wieder einen Hai tötet, nagen sie den Marlin bis aufs Skelett ab, und am Strand angekommen, bleibt ihm nur ein Gerippe übrig. Genau so ergeht es heute J.P.Morgan. Die Titanic-Bank wollte einen Fang machen, der, nicht zuletzt wegen der Verwendung von Hebelung, also Zocken mit geliehenem Geld, zu gross war, um an Bord gehievt zu werden.
Blut im Wasser
Durch die Bekanntgabe des inzwischen auf 3 Milliarden gestiegenen Verlusts hinterlässt die Bank eine Blutspur im Wasser, die scharenweise Haifische, pardon, andere Zockerbanken, anlockt, die nun aus der vermeintlichen Riesenbeute immer grössere Stücke herausbeissen. Das wäre für das Bankschiff J.P.Morgan schmerzlich, aber nicht existenzgefährdend, wenn im Spielcasino eben nicht auch mit geliehenem Geld gezockt worden wäre.
Dadurch entsteht, um im Bild zu bleiben, ein Riss in der Bordwand. Und wenn der lang genug ist, dann nützen auch alle Sicherheitskammern und Schotte nichts mehr, der Dampfer säuft ab. Zwei Unterschiede gibt es allerdings zu historischen und literarischen Vorlagen: Der Kapitän wird sich als Erster in ein goldenes Beiboot setzen und wegrudern. Und einen Nobelpreis gibt es für diese Story auch nicht.