Was ist wichtiger, Inhalt oder Form? Auch im Zeitalter der Sozialen Medien und der rücksichtslosen Spiegelung jeden Auftritts in allen Medien sollten Leistung und Ergebnisse in der Politik zählen, nicht Äusserlichkeiten. So gesehen stellt Biden kaum eine Gefahr für die USA und die Welt dar – Trump aber schon. Dies gilt auch für Milei, den südamerikanischen Mini-Trump.
Biden ist alt, keine Frage. Der Schreibende, einige Jahre jünger als der amerikanische Präsident, stellt auch bei sich selbst mitunter fest, dass er im Gespräch den rhetorischen Faden verliert. Dass er sich an einen eigentlich vertrauten Namen nicht, oder nur nach einigem Suchen erinnert. Dass er vorsichtiger geht und auch manchmal stolpert, ja eine Treppe nicht im ersten Anlauf meistert. Wenn man einmal klar über 70 Jahre alt ist, passiert das wohl vielen Zeitgenossen.
Positiver Leistungsausweis
Bei Biden kommt dies alles zusammen und weil jeder Schritt, jede Äusserung des amerikanischen Präsidenten automatisch im Scheinwerferlicht aller Medien steht, gehen Bilder und entsprechende Kommentare alsbald um die Welt. Anlässlich der Nato-Jubiläumsfeierlichkeiten erschien die ausschliessliche Fixierung auf Form und nicht Inhalt von Bidens Präsentation geradezu morbide.
Was bei der Frage, ob Biden oder Trump vier Jahre die westliche Führungsmacht anführen soll, aber wirklich zählt, ist Bidens Leistungsausweis seit seinem Amtsantritt im Januar 2021. Da gibt es kaum Grund zur Kritik. In der Aussenpolitik hat er den amerikanischen Führungsanspruch im demokratischen Teil der Welt nach chaotischen vier Jahren mit Trump wieder glaubwürdiger gemacht. Allenfalls kann man ihm einen überaus chaotischen Rückzug aus Afghanistan ankreiden. Aber auch das hat ihm Trump eingebrockt, der damit begann, über die damalige afghanische Regierung hinweg direkt mit den Taliban zu verhandeln. Und dies mit einem festen Datum für den amerikanischen Abzug: Damit war für die Afghanischen Gotteskrieger klar, dass sie bloss zuzuwarten hatten, ohne Konzessionen zu machen.
In der Innenpolitik führt Biden eine vorsichtige, sozialdemokratische Politik, wie sie seit Franklin Delano Roosevelt kein US-Präsident mehr geführt hat. Auch Clinton und Obama nicht. Dass konservative Kreise dagegen Sturm laufen, erstaunt nicht.
Brandgefährlicher Trump
Wird tatsächlich der infantile Egomane («a fucking moron», so Trumps erster Aussenminister Rex Tillerson), verurteilte Straftäter und begnadete Massenverführer Trump zum amerikanischen Präsidenten gewählt, anstatt seine wohlverdiente Gefängnisstrafe anzutreten, scheiden die USA aus dem Westen aus, mit allen verheerenden Konsequenzen für Rechtsstaat und Demokratie auch anderswo auf der Welt. Die in der Wirtschaft recht weit verbreitete Haltung, nicht nur in den USA, bei einem Präsidenten Trump müsse man sich wohl ab und zu die Nase zuhalten, grundsätzlich sei er aber «good for business», ist brandgefährlich.
Die Beispiele von naiver Einschätzung der Gefahr einer Trump-Präsidentschaft reichen von einem ehemaligen Schweizer Botschafter in Washington («Trump hat wenigstens die schweizerischen Banken nicht angegriffen») bis hin zu einem Kolumnisten in der Financial Times.
Wie seine erste Amtszeit und der Putschversuch nach seiner Nichtwiederwahl nachher gezeigt haben, macht er anfänglich eine unfinanzierbare Geste in Form von Steuerkürzungen zugunsten von Reichen und schreitet dann auf seinem Umbau der USA zum autoritären Unrechtsstaat unbeirrt fort. Sein wirtschaftlicher Zauberlehrling Robert Lighthizer hat bereits klargemacht, dass er die «Weltwirtschaft umbauen» wird. Das wäre das Ende des bisherigen System von globalem Freihandel, von dem nicht zuletzt die Schweiz enorm profitiert hat.
In Umkehrung der traditionellen Vorstellung der USA und ihrem höchsten Vertreter als Führungspersönlichkeit des Westens, äfft Trump seinen autokratischen Vorbildern nach. Am liebsten ist ihm eine gottähnlicher Verehrung, etwa nach dem Vorbild von Modi in Indien. Trump ist ja «on record’», dass er den Nordkoreaner Kim für seine persönliche Machtfülle beneide.
Milei – Argentiniens Mini-Trump
Momentan jubeln konservative Wirtschaftskreise dem neuen argentinischen Präsident Javier Milei zu. Die Friedrich-Hayek-Gesellschaft hat ihre jährlich vergebene Auszeichnung für kapitalistisches Wirtschaften nach Lehrbuch soeben Milei verliehen. Dieser saniert tatsächlich die Staatsfinanzen, aber er tut es auf dem Buckel der Bevölkerung.
Und trotzdem besteht eine wiederum fast schon morbide Faszination mit dieser lebendigen Abrissbirne des argentinischen Sozialstaates. So widmet «Das Magazin» (ein TA-Medien-Produkt am Wochenende und damit in der ganzen Deutschschweiz verteilt) Milei die Titelgeschichte, in der ein argentinischer Journalist dessen Verhalten mit frühkindlichem Trauma wegen eines gewalttätigen Vater erklärt. Der Arme, aber was hat er als Präsident seines Landes zu suchen? Solche psychologischen Erklärungsversuche helfen dem wichtigsten Museum in Buenos Aires wenig, das eine Ausstellung angekündigt hat, diese aber wegen vollständiger Streichung der Subvention durch Mileis Kettensäge nicht aufstellen kann. Oder einem Argentinier aus der Mittelschicht, der nach Büroschluss Abfallkübel nach Essbarem durchsucht.
Dass Milei in Argentinien immer noch das Vertrauen eines Teils der Bevölkerung geniesst, hat mit der Unfähigkeit seiner peronistischen Vorgänger, aber ebenso mit der Faszination der Medien für die schrillsten Politfiguren zu tun. Ein Rezept für nachhaltiges Wachstum, das allen Teilen der Bevölkerung zugutekommt, hat Milei so wenig wie Trump.