Tim Guldimann diskutiert mit der Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckart und dem Makrosoziologen Steffen Mau.
Auf die Frage, ob alle Bemühungen, den Einfluss der AfD einzudämmen, gescheitert seien, antwortet Steffen Mau: «Wenn man die Umfragezahlen anschaut, dann würde ich schon sagen, das ist schiefgegangen. (…).» – Zur Erklärung bestätigt Katrin Göring-Eckart Maus These der «Triggerpunkte, (nämlich dass über) bestimmte Themen, die die AfD häufig herausgezogen hat (…), die Gesellschaft angefangen hat, sich aufzuregen, ebenso wie auch bestimmte Teile der Politik und (… dass) eine Themenverschiebung stattgefunden hat und Themen riesengross gemacht worden sind wie die geschlechtersensible Sprache. (…) Jetzt auf einmal müssen sich alle damit beschäftigen. Wo sind wir hier eigentlich? Haben wir nicht andere Probleme?»
Mau erklärt weiter: «Es gibt aber auch eine Gesellschaft die dafür empfänglich ist (…) Und das hat damit zu tun, dass (…) Teile der Gesellschaft veränderungserschöpft (sind …). Dann haben Rechtspopulisten Angebote, die andere Parteien eben nicht so haben. (Damit werden sie) sowas wie eine Sammelstelle für Ressentiments. (…) Es ist tatsächlich so, dass viele Leute das Gefühl haben, dass sie, wenn es um sozialen Wandel geht, nicht am Steuerrad sitzen (…). Von daher kommt auch häufig der Vorwurf der Bevormundung: ‘Die da oben‘. (…) Diese Veränderungserschöpfung ist eben auch sozialstrukturell, je weiter man unten ist, desto grösser ist die Erschöpfung.» Dabei zeige sich, «dass die Parteien selbst die Fähigkeit, zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus und Gruppen zu vermitteln, verloren haben. (…) Ich glaube, dass die Parteien eigentlich zu schwach sind (…), um sich dem (Rechtspopulismus) entgegenzustellen. Aber es gibt eine Zivilgesellschaft, die sich mobilisieren lässt.»
Göring-Eckart glaubt, «dass der Rechtspopulismus und der Rechtsextremismus nicht nur auf Krisen reagieren, sondern sie sind auch Teil der Krise. Deshalb können wir nicht warten und hoffen, bis es vorbeigeht, (…) sondern wir müssen jetzt etwas tun. Das, was wir politisch tun müssen, das ist die Räume nicht lassen. (…) Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das, was ich ganz oft tue, nämlich rausgehen und mit den Leuten reden, eine extrem grosse Wirkung erzeugt hat. (…) Allein die Tatsache, dass man wirklich da ist und sich wirklich Zeit nimmt, (…) das macht was aus, (…) da waren auch mehr Menschen, als die paar Schreihälse. (…). Wir neigen als Politiker und Politikerinnen dazu, den Lauten mehr zuzuhören als denen, die wirklich ein Problem artikulieren. (…) Entscheidend ist, (…) dass man auch entlarvt, was die AfD mitunter ja tut, (…) dass sie sich irgendein Thema nehmen, ‘ach das wollen Leute‘ (…) und darunter wird dann aber die knallharte rechtsradikale Ideologie versteckt. (…) Wir müssen mit denjenigen, die offen sind für rechtsradikale Parolen, im Gespräch bleiben. (… Aber) der Versuch, die AfD zu entzaubern, der scheitert regelmässig (…), weil das natürlich auch die Demokraten zwingt, in Kompromisse zu gehen, die sie nicht haben wollen, weil sie (…) mit den Rechtsextremen paktieren würden – und das ist noch nie gut gegangen.»
Zu einem Verbotsverfahren gegen die AfD meint Göring-Eckart: «Die Verfassungsorgane müssen das beantragen und entscheiden. (…) Ich bin Mitglied eines Verfassungsorgans, d. h. meine Aufgabe ist es, (…) die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen. (…) Da kann ich nicht sagen, es könnte blöd aussehen, deswegen interessiert mich das jetzt nicht. (…) Ich muss wollen, dass es geprüft wird (…) und dann wird man entscheiden.»
Mau bleibt optimistisch: «Dieses Potential von Leuten mit geschlossenen rechten Weltbildern, (…) das ist nicht unbegrenzt, also das Wachstum wird nicht einfach so linear weitergehen (…) und es wird an bestimmten Stellen auch eine Entzauberung geben. (…) Es wird keine Partei sein, die in den nächsten 5-10 Jahren auf 30% wächst.» Trotzdem glaubt Göring-Eckart, dass «die demokratischen Parteien gut daran tun, sich auf diesen Grundkonsens zu einigen, dass die Demokratie zu schützen ist und dass es nicht Ausfälle gibt in die Populismusecke, auch von Mitgliedern demokratischer Parteien (…) Auch (gilt es) zu unterscheiden: Was ist Populismus und was ist Emotionalität?»
Journal21 publiziert diesen Beitrag in Zusammenarbeit mit dem Podcast-Projekt «Debatte zu dritt» von Tim Guldimann.