“Desde que yo era chiquillo tenia fintas de cabron;/ ya le pegaba al perico, y a la mota con más razón/ Es que en mi México lindo/ Ahí cualquiera es cabron”, singen die Los Capos in ihrer Corrida “El Cabrón”. (cabrón steht im Mexikanischen für Arschloch, Saukerl, aber auch für Kumpel). Übersetzt:“Seit ich klein war, war ich bekannt als beinharter Typ; schon damals knallte ich mir Schnee (Kokain) rein, und lieber noch Cannabis. Weil in meinem schönen Mexiko jeder ein beinharter Typ ist."
Damals, während der Revolution
Vor 100 Jahren, während der Revolution, als die Corridos, mexikanische Balladen im Walzer- oder Polka-Rhythmus, in Mexiko immens populär wurden, rühmten die Sänger und Sängerinnen noch die Heldentaten der Revolutionäre, Venustiano Carranza, Alvaro Obregón, Emiliano Zapata oder Pancho Villa. Sie sangen von den Schlachten, den Gefahren oder den Adelitas, die wie Marketenderinnen den Soldaten folgten. „En la hacienda de Santa Ana,/ tres leguas lejos de León,/ allí fué ‘onde perdió el brazo/ el general Obregón”, beschrieben sie, wie eine Kanonenkugel in der Schlacht von Celaya Obregóns Arm zerfetzte. (Übersetzt: Auf der Hazienda von Santa Ana, /drei Ligen von León,/ dort war es, wo er den Arm verlor/ der General Obregon.)
Damals in der Revolution befreiten sich die Mexikaner von Diktatur, Oligarchenherrschaft und Korruption. Diesen Erfolg feierten Sänger wie Lucha Reyes, Pedro Infante, José Alfredo Jimenéz oder Vicente Fernández, die inzwischen selbst Legenden sind, in zahlreichen Corridos. Doch die einstigen Hoffnungen sind längst verflogen. Heute werden auf schätzungsweise dreißig Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche Mexikos illegale Feldfrüchte angepflanzt. Das Land, die Verkehrswege und die Politik werden zunehmend beherrscht von Familiendynastien, die im Drogengeschäft reich und mächtig geworden sind.
Bandenkriege
In blutigen Bandenkriegen kämpfen diese neuen Oligarchen, um die Kontrolle der Märkte und der Transitrouten in die Vereinigten Staaten. Joaquín „El Chapo“ Guzmán, der Boss des Sinaloa-Kartells, trug den Krieg gegen seine ehemaligen Verbündeten, die Beltrán Leyva-Familie, die angeblich die Ermordung seines Sohnes Edgar in Auftrag gegeben hat und sogar einen Maulwurf in die US-Botschaft eingeschleust haben soll, bis in die Hauptstadt. Mit Mord, Erpressung und Bestechung versucht er, den Drogenclan der vier Felix-Brüder aus Tijuana, dem Transitort ins gewinnversprechende Kalifornien) zu vertreiben.
Amado Carrillo, dem es aufgrund seines besonderen Talents für internationale Beziehungen gelungen war, hervorragende Geschäftsbeziehungen mit chinesischen Produzenten und Händlern von Methamphetaminen aufzubauen, war bei einer Gesichtsoperation an einem tödlichen Mix von Betäubungs- und Schlafmitteln gestorben. (Seine Ärzte wurden Monate später einzementiert aufgefunden.) Amados Bruder ist ein weiterer Kontrahent Guzmáns. Am erbittertsten aber bekämpft Guzmán das Golfkartell im Bundesstaat Tamaulipas mit seinen zahlreichen Doppelstädten beiderseits der amerikanisch-mexikanischen Grenze, wie Nuevo Laredo und Laredo, Matamoros und Brownsville. Dabei geht es um die Transitwege für Drogen sowie um andere profitable Unternehmungen wie Prostitution und Menschenschmuggel. Und nicht zuletzt um das Recht, Polizisten und Militärs, die in Diensten der Kartelle stehen, zu kontrollieren.
Sie sind die Helden der neuen Balladen, die Carrillos, Beltráns oder Guzmáns in ihren lässigen Designerjeans und Straußenlederstiefeln. In Liedern wie "El Jefe de Jefes" („Boss der Bosse“ von den Los Tigres del Norte), "El Sr. Mayo Zambada" (von Enigma Norteño), ein Lied, das dem mexikanischen Kartellchef Ismael „Mayo“ Zambada gewidmet ist, oder „La Vida Mafiosa“ (von Los Canelos de Durango) besingen sie in ihren Narcocorridos die Taten ihrer kriminellen Helden.
Verboten, aber populär
Wie in den Musikgenres des Rap, Hip-Hop oder Protestsongs so beschreiben auch die Narcocorridos, eine Art mexikanischer Gangsta-Rap, das Leben der Armen und Notleidenden, aber auch der Robin Hoods, die den Reichen nehmen und den Bedürftigen geben. Wie Rap oder Hip-Hop erfreuen sich diese Narco-Balladen großer Popularität in der Spanisch-sprachigen Welt auch unter Menschen, die keine Verbindung zu den Drogenbanden haben. Besonders populär sind die Narcocorridos in Ländern, in denen die mexikanischen Corridos bisher nahezu unbekannt waren, die aber ebenfalls mit großer Drogenkriminalität zu kämpfen haben: in Guatemala, Honduras, Kolumbien, Peru oder Bolivien.
Zahlreiche dieser „rolas“ (Lieder), wie sie im Straßenjargon heißen, die bereits in den Kultstatus von Hymnen erhoben sind, dürfen in Mexiko und großen Teilen der USA nicht mehr im Rundfunk oder Fernsehen gesendet werden. Noch aber sind sie in Youtube zu finden. Dort bejubeln etwa die Los Tucanes de Tijuana in ihrem „El Regreso del Chapo“ (Die Rückkehr des Chapos, ein chapo ist jemand, der ungefähr so breit wie lang ist) die Flucht Joaquín Guzmáns 2001 aus dem Puente-Grande-Hochsicherheitsgefängnis von Jalisco:
„Kleine Burschen sind immer Kämpfer,
So heißt es.
Erneut wurde es bewiesen
Durch El Chapo Guzmán.
Er machte das Puente Grande-Gefängnis durch
Auf seinem Weg zurück nach Culiacán.
Die Leute von Sinaloa
Haben gerade ein Riesentor geschossen
Unter dem neuen Präsidenten
(inzwischen ehemaligen Präsidenten) Vicente Fox.
Und die Gringos
Können ihn nun nicht ausgeliefert bekommen.
Die Flucht war geplant,
Ein Scheitern ausgeschlossen,
Weil so die großen Burschen funktionieren,
Wie El Chapo Guzmán.
Er gab Millionen aus (für Bestechungen)
Und ist jetzt frei.
Du kannst das Echo einer Mariachi-Band hören
Und das Feuer von AK-47s (Kalaschnikows).
Die Leute des Monats Mai (Anspielung auf El Mayo Zambada)
Folgen El Chapo.
Einige sind aus Badiraguato, (El Chapos Geburtsort im Bundesstaat Sinaloa)
Einige aus Culiacán. (Hauptstadt des Bundesstaats Sinaloa)
Mit El Chapos Rückkehr
Laufen die Geschäfte im Süden gut.
Eine Menge Leute sind nun in Sorge,
Weil El Chapo zurück ist.
Reih Dich ein in die Kette
Der besten Freunde des Mannes.
El Chapo ist nicht El Chapo.
Nur er weiß, wer er ist.
Schau also nach einem Andern aus,
Der aussieht wie er.
Denn den wahren Chapo
Wirst du nie mehr seh’n.
Da wird ein Mann gerühmt und verehrt, den das United States Department oft he Treasury als den „mächtigsten Drogenhändler der Welt“ einstuft, der nach dem Tod Osama bin Ladens die Forbes-Liste der „most wanted men“ anführt, den die Chicago Crime Commission 2013 „aufgrund des Einflusses seines kriminellen Netzwerks“ in der Stadt zum “Öffentlichen Feind Nummer eins” erklärt hat. Die letzte Person, der solche „Ehrung“ zuteil wurde, war 1930 Al Capone. Die USA haben eine Prämie von fünf Millionen Dollar für jeden Hinweis, der zu Guzmáns Festnahme führt, ausgeschrieben. Die mexikanische Regierung bietet 30 Millionen Pesos für eine solche Information, rund 1,7 Millionen Euro.
Ermordete Sänger
Über derart rücksichtslose Leute zu schreiben oder zu singen kann allerdings höchst gefährlich sein. In dem letzten halben Dutzend Jahren wurden mehr als 20 prominente mexikanische Musiker ermordet, die Mehrzahl mit Verbindungen zur Narcocorrido-Musik. Die bekanntesten unter den Ermordeten waren Valentine Elizade und Sergio Gómez, der Leadsänger der aus Durango stammenden und in Chicago lebenden Band K-Paz de la Sierra. Im Dezember 2007 wurden beide posthum für die Grammy Awards vorgeschlagen. Es wird angenommen, dass Valentine Elizade’s Tod im Zusammenhang mit seinem Song „A Mis Enemigos“ (An meine Feinde), der als Attacke auf das Golfkartell interpretiert wird, zu sehen ist.
Am 26. Juni 2010 wurde Sergio Vega, bekannt unter dem Künstlernamen El Shaka, in Sinaloa erschossen. Der Mord geschah nur Stunden, nachdem er Meldungen widersprochen hatte, er sei tot. Ein heute schon legendärer Pionier des Narcocorridos war Chalino Sánchez. Er kam aus Sinaloa, ermordete den Drogenbaron, der seine Schwester vergewaltigt hatte, woraufhin er nach Kalifornien floh. Dort wurde er von einem lokalen Produzenten entdeckt und entwickelte sich zu einem der führenden Verfasser und Komponisten von Narco-Balladen, über den bald selbst Balladen geschrieben werden sollten: 1992 schoss er nach einem Mordanschlag während eines Konzertes zurück und erschoss den Auftragskiller. Wenige Monate später wurde er in Mexiko ermordet.