Die Demonstrationen können als möglicher Beginn einer zweiten arabischen Volkserhebung angesehen werden. Die erste hatte 2011 in Tunesien begonnen.
Die Demonstrationen protestierten zunächst gegen die Verdreifachung des Brotpreises und die allgemeine Verteuerung der Grundnahrungsmittel sowie des Treibstoffes. Das Brot war vom Staat stark verbilligt worden, doch die Regierung sah sich gezwungen, ihre Subventionen zu reduzieren, weil ihr das Geld dafür ausging.
Fehlende Erdöleinkünfte
Khartum hat vor allem deshalb Budgetprobleme, weil die Erdöleinkünfte nach der Teilung des Landes in den Sudan und den Südsudan zu über zwei Dritteln dem Süden zufielen.
Die allgemeine Teuerung ist eine Folge des Zerfalls der Währung. Mit dem Abbau der Subventionen für Brot und Benzin sowie der Freigabe des Wechselkurses für das sudanesische Pfund folgt die Regierung den Empfehlungen des IMF, dessen Unterstützung sie anstrebt.
Geldsuche in Katar, dann in Riad
Sogar die sudanesische Aussenpolitik war im vergangenen Jahr durch die dringenden Geldbedürfnisse des Staates bestimmt. Khartum schloss sich im Streit zwischen Saudi-Arabien zuerst Katar an. Auch in der Türkei, die in diesem Streit auf Seiten Katars steht, suchte Khartum um Unterstützung nach.
Doch dann wechselte die sudanesische Regierung das Lager, liess Katar fallen und begann Saudi-Arabien zu hofieren. Khartum schickte sogar Truppen nach Südjemen. Dort sollten sie Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) in ihrem Kampf gegen die Huthi helfen.
Gegenseitige Unterstützung
Mit dem ägyptischen Sisi-Regime hat sich der Sudan ausgesöhnt. Dies, nachdem die beiden Länder über das Nilwasser sowie über die östliche Grenzziehung gestritten hatten. Die Aussöhnung war mit einem Besuch des ägyptischen Präsidenten in der sudanesischen Hauptstadt besiegelt worden. Die beiden Herrscher sagten sich ihre gegenseitige Unterstützung zu. In beiden Ländern besteht heute ein De-facto-Einmannregime.
„Al-Baschir muss gehen!“
Die Brotpreis-Proteste wurden und werden weiterhin von der Polizei niedergeschlagen. Die Sicherheitskräfte gehen mit Tränengas, aber auch mit scharfer Munition gegen die Protestierenden vor. Die Regierung erklärte am 6. Januar, zwanzig Menschen seien erschossen worden. Amnesty International sprach von 37 Toten. Anfang Januar hiess es, 800 Personen seien verhaftet worden. Seither ist die Zahl der Festgenommen, der Todesopfer und der Verwundeten weiter gestiegen.
Doch die Proteste hörten nicht auf. Vielmehr breiteten sie sich über alle Städte des Landes aus. Sogar aus Darfur werden Demonstrationen gemeldet. Dort herrscht ein Ausnahmezustand; Armee und Sicherheitskräfte regieren in Darfur direkt.
Im Verlauf der Wochen änderten sich die Ziele der Manifestanten. Sie protestierten nun nicht nur gegen die Teuerung, sondern forderten auch den Rücktritt des sudanesischen Präsidenten al-Baschir. Staatschef und Feldmarschall Omar al-Baschir regiert im Sudan seit 29 Jahren.
„Sudan Change Now“
Im Gegensatz zu den „spontanen“ Demonstrationen des „arabischen Frühlings“ von 2011 gibt es im Sudan ein Führungsgremium, das die Proteste zu leiten und zu organisieren sucht. Dies sind die sogenannten „Berufsverbände“ (SDA, „Sudan Professional Associations“). Ihr gehören freie Berufstätige an, wie jene der Ärzte, der Ingenieure oder der Lehrer. Sie haben sich mit den Überresten der im Sudan teilweise zugelassenen Oppositionsparteien zusammengeschlossen und eine gewaltfreie Bewegung unter dem Namen „Sudan Change Now“ gebildet.
Der Regierung werfen sie Korruption und Unfähigkeit vor. Ihre Strategie geht darauf aus, die Proteste möglichst weit über alle Städte des Landes auszubreiten. So wollen sie – wie sie in ihren Communiqués schreiben – „die Sicherheitskräfte ermüden“. Diese Communiqués werden auch im Ausland verbreitet.
Noch stützt die Armee das Regime
Ob die Regierung mit ihren Sicherheitskräften die Volksbewegung schliesslich niederschlagen kann, hängt erfahrungsgemäss letzten Endes von der Armee ab. Solange diese zu al-Baschir hält, bleibt auch die Polizei dem Regime ergeben. Doch sobald es Anzeichen dafür gibt, dass führende Armeeoffiziere nicht mehr bedingungslos den Gewaltherrscher stützen, wird die Polizei inaktiv oder verschwindet ganz von der Bildfläche. Dann folgt der Umsturz.
Ob und wann dieser kritische Zeitpunkt erreicht wird, ist für Aussenstehende nicht voraussehbar. Die inneren Vorgänge in der Armee sind unklar. Wenn sie nach aussen bekannt würden, wüsste auch die Regierung Bescheid. Sie würde dann einschreiten, um die Rädelsführer unter den Offizieren auszuschalten.
„Unverrückbare Treue“
Während die Demonstranten gegen die Regierung protestieren, liess das Regime Pro-Baschir-Kundgebungen organisieren. Dabei sprach der Präsident von der „unverrückbaren Treue“ der Soldaten zu seiner Herrschaft. Sie würden nicht mit „den Verrätern“ gemeinsame Sache machen, erklärte er.
Ob das so bleibt, wird man sehen.