Die streitbare Dame aus der rauen Eifel führte jüngst auf dem SPD-Sonderparteitag in Berlin ein Wort zum allgemeinen Weitergebrauch ein und erntete dafür bei ihren Genossen auch eine Menge dankbaren Applaus: „Bätschi“. Und damit man uns vom Journal 21 nicht mit dem Vorwurf „Lückenpresse“ überzieht, weil die Aussage sinnverändernd aus dem Zusammenhang gerissen sei, hier die vier wegweisenden Sätze auf dem Parteikonvent: „Die SPD wird gebraucht. ‚Bätschi‘, sage ich nur dazu. Und das wird ganz schön teuer. ‚Bätschi‘, sage ich nur dazu.“
Was wird aus dem Schwur?
Der zeitungsbelesene, politisch wie historisch interessierte und überhaupt dem Tagesgeschehen gegenüber grundsätzlich aufgeschlossene Zeitgenosse (die Frauen selbstverständlich immer eingeschlossen) weiss natürlich längst, worum es bei diesem bewegenden Vorgang ging. Nach dem Scheitern des Versuchs von Angela Merkel, in der Folge der auch für die Union im September verkorksten Bundestagswahl eine nach den Farben der Karibikinsel Jamaika benannte Regierungskoalition mit Grünen und Freidemokraten zu basteln, ist der Druck auf die „Sozis“ (Helmut Schmidt) schier übermächtig geworden, ihren trotzigen Schwur vom Wahlabend in den Mülleimer der Geschichte zu werfen und möglicherweise doch wieder eine Grosse Koalition mit CDU und CSU einzugehen. Was momentan an der Spree ja auch geschieht.
Dies zur kurzen Erinnerung, um das Folgende richtig einzuordnen. Nämlich, Andrea Nahles’ richtungweisende Beiträge zur Fortschreibung der politischen Kultur in Deutschland gebührend zu würdigen und sie in die ihnen zustehenden geschichtlichen Zusammenhänge einzuordnen. Denn schliesslich bildet das ohne Zweifel bis ins Mark dringende, aufrüttelnde „Bätschi“ ja nicht den Beginn, sondern nur das vorläufige Ende einer beeindruckenden sprachlich-musikalischen Kette, in deren Gefolge zukünftig nun tatsächlich völlig neue, bislang noch nicht gekannte Auftritte im Berliner Parlament (zeitgemäss ausgedrückt) „performed“ werden könnten.
Den Anfang machte die im Schatten des Nürburgrings beheimatete Dame vor ein paar Wochen während einer Bundestagsrede mit dem (freilich ziemlich schräg vorgetragenen) Lied der Astrid-Lindgren-Heldin Pippi Langstrumpf „Ich mache mir die Welt widi, widi, wie sie mir gefällt“. Dem folgte ein paar Wochen später die freundliche Ankündigung an den bisherigen Regierungspartner CDU/CSU „… dann gibt es auf die Fresse“. Und schliesslich jetzt das kämpferische „Bätschi“.
Wo ist das „Ätschi“ geblieben?
Hier freilich lässt die sozialdemokratische Trendsetterin den geneigten Beobachter doch etwas ratlos zurück. Denn, ausweislich seiner eigenen Erinnerung müsste das „Bätschi“ eigentlich mit einem „Ätschi“ verbunden sein, ja sollte sogar hinter diesem stehen. So jedenfalls hatte man es als Kind gelernt und dabei nicht selten noch feixend die Zunge rausgestreckt. Schwer zu glauben, dass Andrea Nahles dieser Dualismus nicht bekannt sein sollte. Schliesslich hatte sie sich in ihrer Magisterarbeit der Trivialliteratur zugewandt. Um genau zu sein: der Rolle der Katastrophen in Serienliebesromanen. Und darin geht es bekanntlich mitunter auch ganz schön zur Sache. Oder wollte die Fraktionschefin vielleicht nur ihre Gefolgschaft nicht überfordern? Zum Beispiel die (mit Blick auf eine weitere GroKo = Grosse Koalition) ohnehin schon genügend aufmüpfigen Juso-Nachwuchsgenossen nicht auch noch zusätzlich mit schwierigen intellektuellen Herausforderungen zu belasten, wie es das Lernen von bisher ungekannten Begriffen möglicherweise nun einmal sein könnte.
Nicht ganz auszuschliessen wäre, dass Andrea Nahles auf dem Parteitag mit dem Weglassen des „Ätschi“ einfach bloss die Reaktion auf das deprimierende Ergebnis einer kurz zuvor bekannt gewordenen Studie zum allgemeinen schulischen Bildungsstand in Deutschland war. Jeder fünfte Viertklässler, so war es bei der Untersuchung herausgekommen, kann entweder nicht richtig lesen oder ist nicht imstande, den Text zu verstehen. Und das in dem Land, das sich doch lange Zeit gern in der Vorstellung sonnte, den Mutterboden für Dichter und Denker zu stellen. Darf man, mag sich die Vorsitzende der sozialdemokratischen Bundestags-Truppe vielleicht gefragt haben, angesichts eines derart dramatischen Wissensdefizits schon in den Schulen nun auch noch das vom Wahlergebnis und dann zusätzlich durch abrupte koalitionspolitisch geprägte Salti rückwärts und schliesslich wieder vorwärts geschockte Fussvolk mit neuen Schlagwörtern belasten?
Geburt eines neuen Kampflieds
Die Antwort auf diese Fragen ist an sich ganz einfach: Natürlich könnte man das! Mehr noch – vielleicht sogar pfiffig und bewusst hat Andrea Nahles mit ihrem Berliner „Bätschi“ das Fundament gelegt für ein neues, dem Zeitgeist entsprechendes Partei-Kampflied. Wer weiss denn, ob die altehrwürdige Sozialisten-Hymne „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’ und die alten Lieder singen …“ in den Ohren, vor allem der nach Reformen rufenden Jusos, nicht längst einen verstaubten Klang besitzt?
„Ätschi, Bätschi“ – da schwingt doch etwas mit! Auf jeden Fall in den Worten. Aber es drängt sich unwiderstehlich auch eine dazu passende Melodie auf. Nämlich das bekannte süddeutsch-österreichisch-böhmische Wiegenlied „Heitschi bum beitschi“ mit seinem immer wiederkehrenden, wach- und aufrüttelnden „bum bum“. Mit einem richtigen, der Zeit und der Aktualität angepassten neuen Text versehen – es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn sich dahinter nicht wieder begeistert die Massen versammeln sollten. Zum Beispiel hinter Parolen und Versen wie diesen:
- Wir woll´n die Partei runderneuern und auf die Union richtig feuern. Mit Ätschi bum Bätschi bum bum. Mit Ätschi bum Bätschi bum bum.
- Wir woll’n in den Kampf uns jetzt stürzen und Merkels Regierungszeit kürzen. Mit Ätschi bum Bätschi bum bum. Mit Ätschi bum Bätschi bum bum.
- Mit Schulz und Nahles zum Siege. Egal, wo dieser auch liege. Mit Ätschi bum Bätschi bum bum. Mit Ätschi bum Bätschi bum bum.