Ravioli sind Ravioli sind Ravioli. Jiaozi sind Jiaozi sind Jiaozi. Also West und Ost. Wo aber wurden die Maultaschen (Standarddeutsch für Ravioli/Jiaozi) oder Dumplings (Neudeutsch) „erfunden“ beziehungsweise zum ersten Mal von Hand gefertigt, gekocht, gedämpft, gebraten? Mit andern Worten: Hat schon Julius Caesar im antiken Rom Ravioli genossen? Oder hat vielmehr, wie jeder chinesische Touristenführer seinen westlichen „Langnasen“ weismachen will, Marco Polo erst Ende des 13. Jahrhunderts Jiaozi nach Europa gebracht, dort das Urheberrecht verletzt und die chinesische Delikatesse kopiert?
Am Gelben Fluss
Wer nun Ravioli, beziehungsweise die chinesische Variante Jiaozi erfunden hat, darüber gehen die Meinungen der Gelehrten weit auseinander. Neulich hat Ihr Korrespondent in einem chinesischen Magazin gelesen, dass nach schriftlichen Quellen Bauern schon vor 2’500 Jahren am Gelben Fluss – der Quelle der chinesischen Kultur – Teigtaschen-ähnliche Gerichte zubereitet haben.
Hauptsache es schmeckt
Gesichert ist, dass bereits vor 1’300 Jahren Jiaozi existierten, denn Archäologen haben in einem Grab aus der Tang-Dynastie in Turfan (Autonome Region Xinjiang) welche gefunden, die sich in Form und Füllung kaum von heutigen Jiaozi unterscheiden. Ob die Etrusker oder die alten Griechen in ihren Kolonien in Süditalien auch bereits Ravioli-Ähnliches degustiert haben, darüber hat sich auch der grosse Historiker Herodot nicht ausgelassen. Aber einmal Jiaozi oder Ravioli auf dem Teller, spielt es weder für einen Italiener noch eine Chinesin eine Rolle, wer denn diese Teigtäschchen „erfunden“ hat oder haben soll. Hauptsache, es schmeckt.
Brot um den Erdball
Wahrscheinlich ist es generell gesprochen so, dass überall dort, wo es Landwirtschaft gab und Getreide geerntet wurde, unabhängig voneinander findige Bauern und Bäuerinnen Methoden entwickelten, um zu leckeren Gerichten zu kommen. So wurde also Brot rund um den Erdball gebacken vom Basler Brot bis hin zum Fladenbrot von Samarkand. Ähnlich wird es wohl mit den Maultaschen gewesen sein.
Pho
Natürlich gibt es die besten Nudeln – Pasta – in Italien. Sagen die Italiener und Italienerinnen. Nach Ansicht von Chinesen und Chinesinnen allerdings werden die besten Nudeln – Mian – im Reich der Mitte hergestellt. Dem widersprechen die Vietnamesinnen, Vietnamesen und Ihr Korrespondent, denn die besten Nudeln – Pho – gibt es ohne die kleinste Spur eines Zweifels in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi. Nun ja – hungriger Leser und kluge Leserin – Sie wissen schon: „De gustibus non est disputandum.“ Das wiederum hätte in perfektem Latein Julius Caesar, sollte er denn wirklich schon Ravioli verschlungen haben, einem Han-Chinesen geantwortet, wenn der über seine Jiaozi in perfektem Chinesisch „hao chile“ („mmhh ... schmeckt sehr fein“) gesagt hätte.
Xiaolongbao
Wie immer dem auch sei, ein Bewohner Shanghais würde geringschätzig lachen, wenn ein Nordchinese die Jiaozi als ultimative Maultasche anpreisen würde. Denn in der Metropole an der Mündung des Yangtse-Flusses steht glasklar fest, dass die heimischen Maultaschen „Xiaolongbao“ die allerbesten in China und überhaupt auf der Welt sind.
Im Jiading-Distrikt hat nun tatsächlich erstmals ein Koch Xiaolongbao kreiert, von dort hat sich dann das Rezept auf die ganze Stadt ausgebreitet. Bewohner der nordöstlich gelegenen Stadt Wuxi wiederum bestreiten das vehement und behaupten, Xiaolongbao sei in ihrer Stadt erstmals gekocht worden. Wie auch immer, das beste Xiaolong-Restaurant in Shanghai und auf der Welt findet sich, finde Ihr Korrespondent, am Volksplatz im Stadtzentrum und heisst Jiajia Tanbao.
Eines darf man weder in Shanghai noch in Peking sagen, wenn es um Maultaschen geht: „de gustibus“ nämlich. Abgesehen davon, dass nur wenige Pekinger und Shanghainesen des Lateinischen mächtig sind, geht es hier nicht um den Geschmack, über den man nicht streiten kann. Es geht darum, dass Jiaozi nicht Xiaolongbao sind und umgekehrt.
Gekocht, gedämpft, gebraten, frittiert
Die Form ist verschieden: Jiaozi sind mondsichelförmig, Xiaolongbao sind rund. Der Teig ist verschieden: Jiaozi nur aus Wasser und Weizen-Mehl, Xiaolongbao mit ganz wenig Hefe oder Backpulver und Weizen- oder Reis-Mehl. Die Füllung ist verschieden: Jiaozi vorab mit Schweinefleisch und Gemüse, Xiaolongbao mit Früchten des Meeres und Gemüse. Doch sowohl Jiaozi als auch Xiaolongbao, und nicht zu vergessen die südchinesisch-kantonesischen Dim Sums, werden entweder gekocht, gedämpft, gebraten oder frittiert. Und überall werden die Teigtäschchen mit einer Essig-Sojasauce gegessen. Wo immer ich aber Jiaozi, Xiaolongbao oder Dim Sum gegessen habe, überall in jeder Stadt, in jedem Dorf wird mit gesundem Selbstbewusstsein behauptet, gerade hier würden sie so gut zubereitet wie nirgendwo sonst in China oder auf der Welt.
Eine Milliarde Köche und Köchinnen
Wenn man allerdings aus dem Ausland kommt, will einem der grosse Unterschied nicht unbedingt einleuchten. Schon sozial ist sowohl Peking oder Xi’an (Jiaozi) als auch Shanghai, Wuxi oder Hangzhou (Xiaolongbao) oder Hongkong, Shenzhen oder Guangzhou (Dim Sum) und vielen andern chinesischen Städten und Regionen gemeinsam, dass die gekochten oder gedämpften oder gebratenen Köstlichkeiten zusammen in der Familie zubereitet und gegessen werden.
Praktisch jede erwachsene Chinesin und jeder erwachsene Chinese – also gut eine Milliarde Köche und Köchinnen – weiss Jiaozis, Xiaolongbaos oder Dim Sums zuzubereiten. Selbst Ihr Korrespondent hat das über die Jahrzehnte in China erlernt. Und Eigenlob muss einmal sein: Noch nie hat jemand – Chinesen eingeschlossen – die Jiaozi Ihres Korrespondenten von der Tischkante gewiesen.
Kurz und gut: Die chinesische Seele wird nicht selten mit allen Varianten der Teigtäschchen gleichgesetzt: aussen einfach, innen voller Reichtum.
Das Rezept für nordchinesische Jiaozi: E Guete!
Teig: Wasser, Weizenmehl, ein Ei. Alles zu einem Teig kneten. Ruhen lassen. Auf etwas Mehl auswalzen. 5 cm breite Plätzchen ausschneiden. Mit Füllung belegen und mit nassen Fingern einrollen.
Füllung:
- Sowohl für Gemüse- wie für Fleischravioli: Sesam-Öl, Soya-Sauce, Kochwein, Glutamat, Salz, Pfeffer, eine Prise Zucker, kleingehackte chinesische Zwiebeln und Ginger. Alles gründlich mischen und umrühren.
- Für Fleisch-Jiaozi: feinst Gehacktes vom Rind, Schwein, Schaf oder Ziege. Mit der Marinade gründlich vermischen.
- Für Fisch/Meerfrüchte-Jiaozi: Meer- oder Süsswasserfische, Crevetten zerkleinern. Mit der Marinade gründlich vermischen.
- Für Gemüse- oder Ei-Jiaozi: Hartgekochte Eier fein zerhacken. Gemüse aller Art, z. B. China-Kohl, Frühlings-Zwiebeln, Rübchen etc.
• Zubereitung:
a) Schui-Jiaozi: Im heissen Wasser al dente kochen.
b) Zheng Jiaozi: In Bambuskörbchen legen und im Dampf zubereiten.
c) Guo Tie: Im Wok oder einer Pfanne bereits al dente gekochte Jiaozi braten.
Das Xiaolongbao-Rezept. Wohl bekomms!
Zutaten:
(Für 4 Personen)
• 700 gr Mehl (Weizen oder Reis)
• Ein Teelöffel Trocken-Hefe oder Backpulver
• 2 Teelöffel Salz
• 3 Eigelb
• 4 dl warmes Wasser
Für die Sauce:
• Roter Chinkiang Essig
• Fein geraspelter Ingwer
• Fein gehackter Knoblauch
• Fein zerhackter Chili
• Soja-Sauce
Für die Füllung:
• Chinesischer Schnittlauch (Jiucai)
falls nicht erhältlich: europäischer Lauch oder Frühlingszwiebeln
• Zwiebeln
• Knoblauch
• Ingwer
• Soja-Sauce
• Sesam-Öl
• Ein wenig Wasser
• Shrimps
• 3 Eier
(Anstatt Shrimps ist auch Fisch oder Schweinefleisch möglich. Es gibt Restaurants, die über 30 verschiedene Füllungen anbieten. Also Phantasie in die Küche!)
Zubereitung:
- Mehl in eine Schüssel geben, mit warmem Wasser kneten, bis ein geschmeidiger Teig entsteht. Mindestens eine Stunde im Kühlschrank ruhen lassen.
- Shrimps mit Soja-Sauce und Sesam-Öl mischen, Eier dazu, fein zerhackten Knoblauch und chinesischen Schnittlauch und geraspelte Zwiebeln dazu geben. Ingwer nicht vergessen. Die gut durchmischte und abgeschmeckte Füllung ruhen lassen.
- Teig in kleine Portionen verteilen und zu Scheiben von 8 cm ausrollen. Füllung in die Mitte der Teigscheibe geben. Teigscheibe mit beiden Händen nach oben schliessen. Die Xiaolongbaos auf ein Brett legen.
- Je acht Xiaolongbaos im Bambuskörbchen rund 15 Minuten dämpfen. Alternativ al dente in heissem Wasser garen. Gegarte Xiaolongbaos können auch in einem Wok gebraten oder frittiert werden.
- Die zu den Xiaolongbaos gereichte Sauce soll von den Gästen selbst gemischt werden.