Ja, es trifft zu, dass überdurchschnittlich viele Ausländer jene Verbrechen begehen, die in der Öffentlichkeit grosses Aufsehen erregen: Vergewaltigung, Todschlag, Raubüberfall, Diebstahl. Das lässt sich teilweise dadurch erklären, dass die Täter, vor allem junge Männer unter 35 sind mit mangelhafter Ausbildung; in diesem Bevölkerungssegment sind Ausländer überdurchschnittlich vertreten. Ein zweiter Grund liegt darin, dass ein guter Teil der ausländischen Delinquenten gar nicht in der Schweiz lebt, sondern einzig in unser reiches Land kommt, um hier auf Beutetour zu gehen.
Nur auf den ersten Blick gerechtfertigt
In diesem Zusammenhang scheint die Ausschaffungsinitiative der SVP auf den ersten Blick gerechtfertigt. Schaut man sie sich etwas genauer an, wird rasch klar, dass diese Volksinitiative schwere Mängel aufweist und deren Annahme die Schweiz in grosse Schwierigkeiten brächte. Ein Beispiel: Ein Ausländer der infolge falscher Angaben Sozialhilfe bezieht, müsste ungeachtet der näheren Umstände unser Land verlassen. Immerhin ist in der Bundesverfassung in Artikel acht folgendes Verbot verankert: Niemand darf wegen der Herkunft, der Rasse, der Religion diskriminiert werden. Das heisst im Klartext, einem Ausländer sollte keine andere Strafe erteilt werden als einem Schweizer.
Allerdings sieht das Ausländergesetz im Falle von Verurteilungen dennoch die Ausweisung von ausländischen Staatsbürgern vor, doch ist dabei stets das Gebot der Verhältnismässigkeit zu beachten. Ein Beispiel: ein nicht vorbestrafter Ausländer, der seit 30 Jahren in der Schweiz lebt und keine Bande mehr zu einem Ursprungsland hat, wird nur im Falle eines äusserst schweren Verbrechens ausgeschafft werden können. Es gibt noch weitere Einschränkungen. So darf nach Artikel 25 der Bundesverfassung niemand in einen Staat ausgeschafft werden, in dem ihm Folter oder eine andere Art grausamer Behandlung oder Bestrafung droht. Zudem gibt es einige Länder, die sich weigern, ihre Staatsbürger aufzunehmen. Es ist auch daran zu erinnern, dass zwei Drittel der Ausländer aus Ländern stammen, die der Europäischen Union angehören. Das bilaterale Freizügigkeitsabkommen mit der EU verbietet zwar die Ausweisung nicht, doch es schränkt sie stark ein: nur EU-Bürger, die eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und der Ordnung darstellen, dürfen ausgewiesen werden.
Ehrlicher wäre ungültig erklären
Alle Bürgerinnen und Bürger, die an der Volksabstimmung vom 28. November teilnehmen, müssen wissen, dass die Ausschaffungsinitiative, falls sie angenommen würde, nicht im Wortsinn umgesetzt werden könnte, wie sich die SVP das vorstellt und wünscht. Es gibt verschiedene Bestimmungen in unserer Verfassung sowie in internationalen Abkommen, die von der Schweiz unterzeichnet wurden, die nicht gesamthaft indirekt ausser Kraft gesetzt werden können. Darüber hat das Parlament zwar diskutiert, doch die bürgerliche Mehrheit wollte die Volksinitiative nicht ungültig erklären - aus Respekt vor der grossen Zahl der Unterzeichner. Viel schwerwiegender als die Ungültigerklärung der Initiative ist jedoch der Umstand, dass die Mehrheit des Parlaments viele Schweizerinnen und Schweizer im Glauben lässt, die Initiative könne, sofern sie angenommen würde, Wort für Wort umgesetzt werden. Verschiedene Politiker, hohe Beamte und angesehene Juristen haben bereits erklärt, dass dies nicht möglich sein werde. Deshalb würden sich viele Bürgerinnen und Bürger betrogen fühlen, sofern die Initiative eine Mehrheit fände. Das Missbehagen gegenüber der Politik würde nochmals wachsen. Der Bundesrat selber schreibt im „Bundesbüchlein“, in der Abstimmungsinformation zuhanden der Stimmbürger: „Eine Annahme der Initiative würde zu erheblichen Konflikten mit grundlegenden Werten der Bundesverfassung führen, beispielsweise mit dem Grundsatz, dass die von den Behörden angeordneten Massnahmen immer verhältnismässig sein müssen. Darüber hinaus könnten wichtige völkerrechtliche Abkommen nicht mehr eingehalten werden, zum Beispiel das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU.“
Die Mitteparteien haben sich bemüht, einen Gegenvorschlag auszuarbeiten, welcher die Ausschaffung von Ausländern in zusätzlichen Fällen vorsieht, mit der wichtigen Präzisierung, dass die Grundrechte und die Grundprinzipien der Bundesverfassung und des Völkerrechts, insbesondere der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, zu beachten sind. Aber ist das nicht selbstverständlich? Es geht doch nicht an, dass man Entscheide im Widerspruch zu Verfassung fällt. Da das Parlament einem Gegenvorschlag zugestimmt hat, ist es noch schwerer zu verstehen, weshalb es die SVP-Initative nicht ungültig erklärt hat. Das Parlament hat schlicht seine Verantwortung nicht wahrgenommen.
Strengere Kantone: mehr Wegweisungen
Der Gegenvorschlag enthält zudem Bestimmungen zur Integration der Ausländer, die an sich sehr nützlich sind, da sie den Integrations-Bestrebungen in der ganzen Schweiz Auftrieb geben würden. Gleichzeitig ist aber zweierlei zu beachten: 1. ist die Ausweisung straffälliger Ausländer im neuen Ausländergesetz von 2008 deutlich erleichtert worden; 2. haben die Kantone ihre Ausweisungspraxis in den letzten Jahre verschärft. Eine Untersuchung über die Praxis der Wegweisungen zweier Institute der Universität Neuenburg habe ergeben, dass die Zahl der Ausweisungen von 615 im Jahr 2008 auf rund 750 im vergangenen Jahr angestiegen ist.
Die eidgenössische Kommission für Migrationsfragen (EKM), welche die oben erwähnte Studie in Auftrag gab, kommt nach sorgfältiger Prüfung zum Schluss, dass die Initiative der SVP wie der Gegenvorschlag unnötig seien. Die EKM stellt nämlich fest, „dass die gesetzlichen Grundlagen ausreichen, damit kriminelle Ausländer und Ausländerinnen weggewiesen werden können. Die Tatsache, dass die Kantone ihre Ermessensspielraum unterschiedlich nutzten, darf eigentlich niemanden erstaunen. Sie ergibt sich aus dem föderalen System.“
Ja oder nein zu Gegenvorschlag – ein schwieriger Entscheid
Die Analyse der EMK mündet in eine doppelte Ablehnung von Ausschaffungsinitiative und Gegenvorschlag. Diese Haltung ist verbreitet bei SP, Grünen und vielen Vereinigungen, die im Ausländerbereich tätig sind. Andererseits ist ebenfalls der Mitteparteien oberstes Ziel, die Ablehnung der SVP-Initiative zu erreichen; sie und auch Teile der SP sind aber überzeugt, mit einem Ja zum Gegenvorschlag würde das eher gelingen. Wie stimmen - dieser Entscheid fällt nicht leicht. Eindeutig ist hingegen, dass bei der Stichfrage der Gegenentwurf des Parlaments vorzuziehen ist.