Was die Kuratoren Konrad Bitterli und Matthias Wohlgemuth mit der Themenausstellung zum trauten Heim und seinem Gegenteil in den Blick rücken wollten, wird durch zwei Werke überzeugend klar: Zunächst mit Ian Anülls 1997 entstandener Wandinstallation, deren Häuschen aus Schokolade auf Holz wie ein Pfeil auf die kleine Lastwagenplane mit den Buchstaben "HOME" zeigt und fragen lässt, ob der schwere nüchterne Schriftzug nicht im nächsten Augenblick auf die süsse Verheissung fällt und sie zerstört.
Thematisch besonders erhellend wirkt sodann Christian Vetters 2003/2007 realisierte Rauminstallation "Monument Valley", die Behagen und Unbehagen in den eigenen vier Wänden direkt erlebbar macht.
Optische Entdeckungsreise
Optische Freude bietet die in verschiedene Kapitel - etwa "In der guten Stube", "Feine bürgerliche Gesellschaften" oder "Deftiges Bauernleben" - gegliederte Ausstellung mit Gemälden niederländischer Meister wie Anthonie Palamedesz, Simon Kick oder Pieter de Hooch und den zahlreichen Radierungen Jan van de Veldes und Rembrandts. Die Fülle der Details schickt die Augen auf die spannende Entdeckungsreise.
Zum lohnenden Nachdenken über das paradiesische Heim und die höllische Bleibe regen "Das Zimmer" aus dem Jahr 1994 von Pipilotti Rist an und das "Bett", in das sich Roman Signer 1996 legte und dort von einem Mini-Helikopter angegriffen wird, welche Attacke Aleksandra Signer auf einem Video festhielt.
Die unendliche Deutung dessen, was ein schönes oder hässliches, friedliches oder böses Zuhause ist oder sein könnte, illustriert die Ausstellung mit über hundert Exponaten einerseits aus den Niederlanden des 17. Jahrhunderts und anderseits der Gegenwartskunst, mehrheitlich der schweizerischen.
Herausgekommen ist ein Schauvergnügen, von den beiden auf künstlerische Qualität bedachten Kuratoren subjektiv und sorgfältig inszeniert. Dennoch lässt die Ausstellung kühl und zwiespältig.
Enger Fokus
Der Ausstellungstitel entstammt der 1823 in London uraufgeführten Operette "Clari, or the Maid of Milan" des Komponisten Henry Rowley Bishop und des Librettisten John Howard Payne, die nur wegen des Liedes "Home, Sweet Home" bis heute in der Erinnerung blieb. Es war ein guter Einfall, in der Kunstgeschichte nach thematisch einschlägigen Werken zu suchen und mit ihnen den Wandel des Wohnens zu zeigen. Enttäuschend geraten ist jedoch die Auswahl, weil sie sich zeitlich beschränkt aufs 17. Jahrhundert und einige Beispiele aus der Gegenwart sowie geographisch auf die Niederlande und vor allem auf die Schweiz. Die Lückenhaftigkeit erweist sich als derart immens, dass sie den Einwand erlaubt, in St. Gallen habe der Zufall, die Verlegenheit oder der Geldmangel die Hauptrolle gespielt. Dem Fokus der Ausstellung fehlt die auch nur einigermassen aussagekräftige Repräsentativität.
Beliebigkeit
Weit gezogen wurde dagegen der Begriff des "trauten Heims". Er reicht vom häuslichen Familienglück übers Gasthaus mit Saufereien und Prügeleien bis zum soldatischen Zeltlager und zur Notschlafstelle. Wird jeder menschliche Aufenthaltsort unter "Zuhause" subsumiert, öffnet sich der Beliebigkeit Tür und Tor. Die Ausstellung ist aus dem Häuschen geraten.
Kunstmuseum St. Gallen, "Home! Sweet Home!", bis 27. Oktober 2013, www.kunstmuseumsg.ch