Auf die Frage, wieso er nichts von den kriminellen Machenschaften der britischen Boulevardzeitung „News of the World“ gewusst habe, antwortete der 80-jährige Verleger Rupert Murdoch diese Woche bei der Anhörung vor dem Unterhaus in London, das Sonntagsblatt mache „weniger als ein Prozent“ seiner globalen Firma aus. Er beschäftige weltweit über 50 000 Leute und diese seien, von wenigen Missetätern abgesehen, „stolz, ethisch und distinguiert“. Im Übrigen, so Murdoch, arbeite er täglich zwischen zehn und zwölf Stunden und da gehe viel über seinen Schreibtisch.
Übrigens: „The Daily Beast“ hat ein in Australien erschienenes Buch zitiert, dem zufolge Rupert Murdochs Mutter, die 102-jährige Dame Elisabeth, seinerzeit dagegen war, dass er die „News of the World“ kaufte. Das Geschäft, erinnert sie sich, habe sie fast „umgebracht“. Elisabeth Murdoch prophezeite ihrem Sohn, dass ihn das Blatt eines Tages auf beiden Seiten des Atlantiks in einen politischen und journalistischen Skandal verwickeln würde.
Dame Elisabeth, die auf Cruden Farm, dem Familiensitz der Murdochs in der Nähe von Melbourne lebt, hat sich stets Sorgen gemacht, was Ruperts Neigung betraf, aggressiven Journalismus zu fördern. „Ich glaube, dass Eindringen in die Privatsphäre von Leuten ist am schlimmsten, weil daraus viel mehr erwächst“, sagte sie in einem Interview 2003. Rupert Murdoch zitierte denn auch die Moralvorstellungen seiner Mutter, als er sich bei den Eltern der ermordeten Milly Dowler entschuldigte, deren Anrufbeantworter Reporter der „News of the World“ angezapft, dort Nachrichten gelöscht und so Angehörige im Glauben gelassen hatten, die 13-Jährige lebe noch. Dame Elisabeth mochte sich zu diesem Fall nicht äussern.
Derweil dürften sich amerikanische Fernsehzuschauer, welche die Anhörung vor dem britischen Unterhaus am Fernsehen verfolgten, verwundert die Augen gerieben haben. Im Gegensatz zu Hearings im Kongress in Washington, wo es Politikern in erster Linie darum geht, sich selbst ins beste Licht zu rücken, fragten die britischen Parlamentarier nüchtern und sachbezogen. Obwohl es sich Rupert Murdoch nicht verkneifen konnte, sie daran zu erinnern, dass der „Daily Telegraph“ der Demokratie seinerzeit einen Dienst erwiesen habe, als er anhand gestohlener Dokumente aufdeckte, dass mehrere Volksvertreter des Königreichs massiv Spesen manipuliert hatten.
Überhaupt gefiel sich der 80-Jährige, der in der britischen Gesellschaft seines immensen Einflusses zum Trotz ein Aussenseiter geblieben ist, in der Rolle als Ritter ohne Fehl und Tadel. Rupert Murdoch erinnerte in Westminster an seinen Vater Keith, der zwar nicht reich, aber ein guter Journalist gewesen sei und noch kurz vor seinem Tod in Adelaide eine kleine Zeitung gekauft habe, weil sie ihm, wie er im Testament festhielt, die Möglichkeit eröffnet hätte, „Gutes zu tun“. Auch für seinen Sohn James hatte der Verleger vor dem Ausschuss nur lobende Worte übrig, obwohl sich die beiden Insidern zufolge nicht immer grün sind: Der 39-jährige Chef der News Corporation setzt dem Vernehmen nach vor allem auf das lukrative Film- und Fernsehgeschäft, und betrachtet das Zeitungsgeschäft, in dem sein Vater und sein Grossvater gross geworden sind, als antiquiert und langweilig, d.h. als zu wenig profitabel..
Im Falle der „News of the World“ aber war es in Amerika eine Zeitung, die Rupert Murdoch wortkräftig zu Hilfe eilte. Während die Fernsehgesellschaft Fox News, die vorgibt, stets „fair and balanced“ zu berichten, sich feige darum drückte, auch nur halbwegs kritisch über den Skandal im eigenen Haus zu informieren, feuerte ein anonymer Leitartikler des „Wall Street Journal“ (WSJ) vergangene Woche eine Breitseite auf die Konkurrenz ab und warf dem „Guardian“, der den ganzen Fall erneut ins Rollen gebracht hatte, sowie der BBC vor, „aus kommerziellen und ideologischen Motiven“ zu handeln, als wären das nicht genau jene Motive, welche die Geschäftspolitik der News Corporation am besten charakterisieren: „Die Schadenfreude (der Konkurrenz) ist so dick, dass man sie nicht einmal mit einer Kettensäge durchtrennen kann.“
Gleichzeitig hielt der Leitartikler von Murdochs Gnaden, wohl nicht ganz zu Unrecht, fest, die britischen Politiker, die heute den Einfluss der Medien auf die Politik beklagten, seien die selben Staatsmänner, die früher die Unterstützung der Medien gesucht hätten. Dazu passte Rupert Murdochs Bemerkung bei der Anhörung in London, er habe jeweils, „wohl um den Fotografen zu entrinnen“, No.10 Downing Street, den Sitz des britischen Premiers, nur durch den Hintereingang betreten, wenn er einen Regierungschef traf.
Dagegen ist nur wenig über Rupert Murdochs direkte Kontakte zu amerikanischen Präsidenten oder über Besuche im Weissen Haus bekannt: Der Verleger, der seit über 20 Jahren amerikanischer Staatsbürger ist, soll Ronald Reagan gemocht haben und sich inzwischen, nach heftigen Differenzen während der Lewinsky-Affäre, mit Bill Clinton ausgesöhnt haben (auf jeden Fall organisierte Murdoch, als Hillary Clinton 2006 erneut für den US-Senat kandidierte, einen Anlass, um Wahlkampfspenden für die frühere First Lady zu sammeln). George W. Bush traf Murdoch laut eigener Aussage nur ein einziges Mal bei einem Empfang, obwohl die Medien der News Corporation den republikanischen Präsidenten und dessen Politik vorbehaltlos unterstützten. Unter 142 Chefredaktoren im Hause Murdoch votierte zum Beispiel 2003 kein einziger gegen den Krieg im Irak.
Barack Obama am nächsten gekommen ist Rupert Murdoch wohl, als er Ende April mit seiner chinesischen Frau Wendi im Washingtoner „Hilton“ das traditionelle Dinner der White House-Korrespondenten besuchte, dessen Ehrengast der US-Präsident ist. Im Übrigen lassen Fox News und deren grossmäulige Kommentatoren keine Gelegenheit aus, den Präsidenten, unfair und unausgeglichen, schlecht zu reden, sei es wegen seiner Bemühungen um eine Reform des Gesundheitswesens oder um einen Abbau der Staatsschulden, sei es wegen Obamas angeblich ausländischer Herkunft oder wegen seiner gefährlichen sozialistischen Ideologie. Ohne die Demagogen von Fox News gäbe es wohl kaum jene Tea Party, der bei den letzten Zwischenwahlen der Sprung in den US-Kongress gelungen ist, wo sie seither den Demokraten gnadenlos Widerstand leistet.
Laut Laura Colarusso vom „Daily Beast“ haben sich Rupert Murdoch und die News Corporation das Wohlwollen der amerikanischen Politik im vergangenen Jahrzehnt nahezu 50 Millionen Dollar kosten lassen. Das Geld floss in erster Linie an Lobbyisten, aber auch in Wahlkampfspenden und, seltener, für wohltätige Zwecke einflussreicher Organisationen. Hatten Murdochs Firma und deren Töchter 2001 in den USA erst 1,8 Millionen Dollar für Lobbyarbeit gezahlt, so sollten es innert des nächsten Jahrzehnts satte 42 Millionen werden. Im Falle der Wahlkampfspenden profitierten vor allem die Republikaner, wobei aber auch einzelne Demokraten nicht leer ausgingen – ganz im Sinne von Rupert Murdochs Credo, wonach es sich lohnt, in allen Lagern Freunde zu haben (siehe Hillary Clinton).
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Angesichts des Einflusses von Rupert Murdoch jenseits des Atlantiks ist nicht zu erwarten, dass sich die amerikanische Politik dafür stark machen wird, den Machenschaften der News Corporation wie in Grossbritannien auch in den USA auf den Grund zu gehen. Zwar gäbe es laut Experten dafür rechtliche Mittel, zum Beispiel ein Gesetz (Foreign Corrupt Practices Act), das es US-Firmen verbietet, im Ausland Bestechungsgelder zu zahlen, wie das die „News of the World“ im Falle britischer Polizisten getan haben soll. Die amerikanische Siemens-Tochter hat sich seinerzeit in einem solchen Fall ausser Gericht bereit erklärt, dem US-Finanzministerium eine Busse von 800 Millionen Dollar zu zahlen, ohne eine Schuld einzugestehen, obwohl die Firma auch in Deutschland saftig gebüsst wurde.
Der Kolumnist Michael Tomasky glaubt nicht, dass es Präsident Barack Obama und Justizminister Eric Holder riskieren werden, sich mit einem Vorgehen gegen Rupert Murdoch den Zorn der politischen Rechten zuzuziehen: „Ich glaube, wir kennen Obama inzwischen gut genug, um wissen zu können, dass er so etwas nie tun wird, es sei denn, neue Erkenntnisse (zum Beispiel die Nachricht, die News of the World habe die Telefone von Amerikaner angezapft) würden die öffentliche Meinung entflammen, aber unter Umständen nicht einmal dann. Amerikanisches Recht aber ist unmissverständlich, und falls Medien im Besitze Murdochs britische Polizisten bestachen, so haben sie auch amerikanisches Gesetz gebrochen.“ Auf jeden Fall ist Rupert Murdoch Mitte Woche von London nach New York zurückgeflogen.