Mit Menschen Ziele erreichen! Das gehört zu jeder Führungsaufgabe. Das ist auch die Aufgabe einer Pädagogin. Und es ist der Auftrag an jeden Trainer. Lehrpersonen und Fussballlehrer haben manch Gemeinsames. Was aber ist entscheidend? Gedanken zum Start ins neue Schuljahr.
Die Fussball-Europameisterschaft ist vorbei, doch das Phänomen Fussball zieht weiter. Auch mich zuckt es im Fuss; auch ich bin am Ball und fiebere in solchen Momenten mit. Ich gestehe gerne: Fussball fasziniert mich – nicht so sehr mit Blick auf die Ungerechtigkeit des Glücks, sondern von der Spielidee und der Taktik her und von der Integration der elf Individuen in ein kooperatives Kollektiv, in ein wirksames «Wir»: die soziale Idee des Sports.
Das Beste aus den Spielern herausholen
Fussball verzaubert viele. Wenn wir dieser Magie nachspüren, so zeigen sich erstaunliche Parallelen im Führen eines Fussballteams und einer Schulklasse. Kern dieser Transferthematik ist die Frage: Was macht eine Equipe stark? Und was macht eine Schulklasse lernleistungsstark? Aus der Trainerperspektive gefragt: Wie fördert der Teamchef das Potenzial der einzelnen Spieler und macht sie besser? Und mit welchen Leitprinzipien vermittelt er seiner Crew ein System, führt sie zur Einheit und gibt dem Ganzen ein Gesicht?
Wichtiges lässt sich auf dem Feld beobachten. Bayer Leverkusen wurde deutscher Fussballmeister 2024, der favorisierte FC Bayern München Dritter. Der Leverkusener Xabi Alonso gewann das Prestigeduell gegen den Bayern-Headcoach Thomas Tuchel mit 3:0. Das Fazit der Presseprominenz nach dem entscheidenden Spiel: «Auf den Trainer kommt es an!»[1] Alonso habe zwar nicht die besten Spieler, aber aus seinen Spielern das Beste herausgeholt. Die Art und Weise, wie diese Mannschaft spiele, mache sie so besonders, meinten die Fachleute. Der Verantwortliche und sein Spielsystem![2] «Der Trainer ist der wichtigste Mann», sagt darum der Fussballexperte Ralf Rangnick, Chef des österreichischen Nationalteams.[3]
Beseelt und beseelend zugleich
Und noch eine Binsenwahrheit: Gute Trainer können ganz unterschiedlich sein. Zwischen Jürgen Klopp und Pep Guardiola liegen Welten – auch zwischen Lucien Favre und Urs Fischer, den beiden international erfolgreichen Schweizer Trainern. Eines ist ihnen aber gemeinsam: Es sind Trainer, die sich ihrer Aufgabe mit Hingabe und Emotion verschreiben, mit Empathie für ihre Spieler und den Verein; es sind Persönlichkeiten, die ein Klima schaffen, in dem sich die Beteiligten wohl fühlen, ohne auch nur daran zu denken, in irgendeiner Form bequem zu werden. Auf Augenhöhe ihrer Spieler und doch ganz Patron, einfühlsam und fordernd, beseelt und beseelend zugleich.
Entscheidend ist die jeweilige Lehrerin – und ihr Unterricht
Gute Trainer sind mehr als nur Coachs, mehr als nur Bandenchefs und Beobachter an der Seitenlinie. Es sind Trainer, die mit ihren Leuten üben – einzeln und im Kollektiv, intensiv und konsequent. Sie zeigen das Grundlegende und machen es vor; sie üben Spielzüge, analysieren sie und geben gezielt Feedback. Am Werk sind vielseitige fordernde Regisseure und Trainingsverantwortliche.
«Auf den Trainer kommt es an!» Das gilt für den Fussball. Und Analoges gilt für die Schule. Was zählt, ist die einzelne Lehrerin. Entscheidend ist der jeweilige Lehrer – und sein Unterricht, seine Trainingsmethode. Das wissen wir aus der eigenen Bildungsbiografie, das betont der Bildungswissenschaftler John Hattie, darauf verweist der Resonanzforscher Hartmut Rosa, das macht der Psychiater und Philosoph Thomas Fuchs klar.[4]
Der Praxistest zeigt’s
Wem diese Hinweise zu abstrakt klingen, für den kommt hier der Praxistext: Vor einigen Jahren zeigte ein Dokumentarfilm-Experiment im südschwedischen Malmö eine ganz schwierige Klasse. Sie war verschrien und der Unterricht mit ihr gefürchtet. Im neunten Schuljahr erhielten diese Problemschüler neue Fachlehrer, in der Sportsprache: neue Trainer. Rekrutiert wurden sie aus ganz Schweden; es waren Pädagogen, die Preise gewonnen oder sich sonst als versiert erwiesen hatten. Die Idee des TV-Projekts war so simpel wie umstritten. Das Format stiess auf heftigen Widerstand; die Lehrergewerkschaften liefen Sturm. Aber es lockte jede Woche die Zuschauer magnetisch vor die Bildschirme.[5]
Für das weitere Fortkommen ist in Schweden die neunte Klasse wichtig. Hier entscheidet sich, ob die Jugendlichen an eine weiterführende Schule übertreten können. Das galt auch für die Klasse aus Malmö. Woche für konnte Woche das Land live beobachten, wie aus demotivierten Jugendlichen lernleistungsorientierte junge Menschen wurden: 95 Prozent erreichten eine weiterführende Schule; bei den nationalen Vergleichstests belegte die Klasse in Mathematik gar den ersten Rang.
Der Erfolg des aktiv angeleiteten Lernens
Man kann das Geheimnis dieses Erfolgs mit Erkenntnissen aus der empirischen Unterrichtsforschung erklären: ein gut gesteuerter Unterricht und ein aktiv angeleitetes Lernen. Die neuen Lehrer deuteten den fulminanten Fortschritt der Schüler ganz einfach: Entscheidend für ihr pädagogisches Wirken seien Respekt und Anspruch, fachliche und menschliche Autorität gewesen, Passion für ihr Fach und Zuneigung zu den Schülern. Es waren Lehrpersonen, die Ansprüche setzten und mit ihren Klasse etwas erreichen wollten. Wie es gute Trainer tun.
Wenn man John Hatties Unterrichtsstudien und diesem schwedischen Experiment für einen kurzen Moment Glauben schenkt, kommt man aus dem Staunen nicht heraus: Warum? Weil wir es längst wissen: Grundlage guten Lernens ist und bleibt die engagierte Lehrperson und ihr Wirken. Eben: «Auf den Trainer kommt es an!»
Der gewünschte Unterrichtsfaktor: Zeit
Viele Fussballtrainer geniessen Freiheiten. Auch das wissen wir. Und sie haben eines: Zeit für die Spieler. Das wünschen sich auch Lehrpersonen. Wer mit ihnen ins Gespräch kommt und sie nach ihrem dringendsten Wunsch für einen guten Unterricht fragt, bekommt ein Wort zu hören: «Zeit». Egal auf welcher Stufe. Zeit für die Klasse, Zeit fürs vertiefte Arbeiten und Üben, Zeit für die einzelnen Schülerinnen und Schüler.
Das müssten die Bildungsverantwortlichen und die Schulleiter wieder ermöglichen – mit einer Reduktion von Administration und einer Renaissance des Eigentlichen und Wesentlichen von Schule und Unterricht, der Konzentration auf gutes Lernen. Malmö macht’s vor. Auf die Trainer kommt es an! Doch dazu brauchen sie eines: «entgegenkommende Verhältnisse». Das verlangt der Philosoph Jürgen Habermas. Im Fussball ist das Vereinssache, in Schule und Unterricht Aufgabe der Bildungspolitik!
[1]Der Fussball-Fachjournalist Christoph Meltzer. In: FAZ, 12.02.2024, S. 23
[2] «Euphorie pur»: Bayer dank Alonso auf dem Weg zum Titel. In: Süddeutsche Zeitung, 12.02.2024.
[3] In: DIE ZEIT, 13.06.2024, S. 26.
[4] Thomas Fuchs, Lernen in Beziehung. Vortrag in Salzburg 12.07.2024. Msc. unpubl., S. 6f.; Fuchs ist Inhaber der Karl Jaspers-Professur für Philosophische Grundlagen der Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Heidelberg.
[5] Gunnar Hermann, Das schwedische Experiment. In: Süddeutsche Zeitung, 18.05.2010.