Wie oft wurde er politisch totgesagt? Wie viele Nachrufe wurden schon geschrieben? Und immer wieder stand er auf, trickste die andern aus und setzte sein schelmisches Lachen auf. Totgesagte leben eben länger.
Doch vieles hat sich geändert. Noch ist Berlusconi da, noch zieht er seine Fäden, doch seine Zeit läuft ab. Jetzt hat er es mit einem zu tun, der mindestens ebenso gerissen ist wie er.
Der junge sozialdemokratische Ministerpräsident Matteo Renzi hat den Altstar Berlusconi regelrecht über den Tisch gezogen. Vor einem Jahr hat Renzi mit Berlusconi einen Pakt geschlossen. Gemeinsam wollten sie Reformen anpacken und durchs Parlament pauken.
Schnell hiess es, Renzi habe seine Seele verkauft und müsse jetzt nach Berlusconis Pfeife tanzen. Der alte Kaiman bestimme die Regeln und die Politik – und Renzi sei sein Gefangener und seine Marionette.
Verschnaufpause
Sowohl Renzi als auch Berlusconi brauchten diesen Pakt: Renzi verfügte bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr nur über eine dünne Mehrheit im Parlament. Er wusste, dass der rigorose Reformkurs, den er einschlagen wollte, in seiner eigenen Partei auf Widerstand stossen würde. Vor allem die linke Linke lehnt Liberalisierungen ab. Renzi war auf Berlusconis Unterstützung angewiesen.
Der willigte noch so gern ein, denn er brauchte den Pakt, um Zeit zu gewinnen. In den Meinungsumfragen lag er weit zurück. Ein Sturz Renzis hätte Neuwahlen gebracht, die Berlusconi nicht gewinnen konnte. Er benötigte eine Verschnaufpause, begann Renzis Reformwillen zu loben, und jedermann wusste: Wenn Berlusconi in den Meinungsumfragen wieder stark ist, wird er Renzi fallen lassen.
Renzi hat mehr erreicht als alle andern
Jetzt, ein Jahr später, ist klar: Berlusconi hat nicht mit Renzi gespielt, sondern Renzi mit Berlusconi. Innerhalb eines Jahres hat der jetzt 40-jährige frühere Bürgermeister von Florenz an Statur gewonnen und seine Position gefestigt. Zwar hat er längst nicht alles erreicht, was er etwas allzu vollmundig ins Land hinausposaunt. Doch er hat innerhalb eines Jahres mehr erreicht als alle Ministerpräsidenten in den letzten zwanzig Jahren.
So setzte er eine, allerdings bescheidene Arbeitsmarktreform durch, die den verkrusteten Arbeitsmarkt etwas aufweichen könnte. Ein Liberalisierungspaket soll die Konkurrenz im Land fördern. Im Weiteren peitschte er eine Wahlreform durch, die dem politischen Leerlauf im Land einen Riegel schieben und schnellere Entscheide bringen sollen. Bei all diesen Vorhaben wurde er, zumindest teilweise, von Berlusconis Forza Italia-Bewegung unterstützt.
Der alternde Kaiser ohne Kleider
Dann kam der Januar 2015. Ein neuer Staatspräsident musste gewählt werden. Und jetzt kam Matteo Renzis Stunde. Er schlug Sergio Mattarella als Nachfolger von Giorgio Napolitano vor – ausgerechnet ein Verfassungsrichter. Alle wissen: Berlusconi hasst niemanden so sehr, wie die Richter, die ihm seit zwanzig Jahren das Leben schwer machen. Doch Renzi zog im Hintergrund die Fäden: Mattarella wurde gegen den Willen Berlusconis komfortabel gewählt. Renzi gelang es sogar, seine nicht ganz homogene Partei auf seinen Kandidaten einzuschwören.
Berlusconi war öffentlich blamiert. Er zürnte und tobte. Der vor einem Jahr geschlossene Pakt sei jetzt hinfällig, fauchte er. Nun steht er da, ein alternder Kaiser ohne Kleider.
Elf Prozent, ein katastrophaler Wert
Doch nicht genug der Blamage: In allen Meinungsumfragen liegt Berlusconi weit abgeschlagen zurück. Nur noch 11 Prozent der Befragten stehen noch zu ihm. Das ermittelte das Meinungsforschungsinstitut Ixé vor fünf Tagen. Zu Berlusconis besten Zeiten waren es 70 Prozent. Elf Prozent – ein katastrophaler Wert für den erfolgsverwöhnten Milliardär. Seine Partei, Forza Italia, wurde sogar von der fremdenfeindlichen Lega Nord und der „Fünf-Sterne-Bewegung“ des Ex-Komikers Beppe Grillo überholt.
Längst hat Berlusconis Demontage auch in seiner eigenen Bewegung begonnen. Der Ruf nach seinem Rücktritt war noch nie so laut. Die Mitte-rechts-Politiker wissen: Mit Berlusconi wird es schwer, Wahlen zu gewinnen – und die eigene Haut als Parlamentarier zu retten. Schon gibt es Gedankenspiele einer Neugründung einer Mitte-rechts-Bewegung, mit Einbezug kleinerer Mitte-Parteien – und ohne Berlusconi.
Die Wirtschaft für Renzi
Die einen Mitte-rechts-Politiker verzeihen es Berlusconi nicht, dass er mit Renzi paktiert hat. Andere kritisieren den 78-Jährigen, weil er jetzt, wo endlich Reformen unterwegs sind, dieser Reformpolitik plötzlich den Kampf ansagt – nur weil Renzi am Steuer sitzt.
Berlusconis Forza Italia ist auch die Wirtschaftspartei des Landes. Und Wirtschaftsvertreter brauchen endlich Reformen, um ihre Unternehmen und das Land wieder in Fahrt zu bringen. So stehen rechtsgerichtete Wirtschaftsleute denn nun plötzlich auf der Seite des Sozialdemokraten – und Berlusconi steht im Regen.
Ruby und kein Ende
Und noch eine Gefahr droht Berlusconi: Matteo Salvini, ein Shootingstar der Lega Nord, macht Berlusconi das Leben schwer. Der bald 42-jährige Salvini, ein unverhohlener Rassist, knabbert schon gefährlich am rechten Rand der Forza Italia – und schwächt die Partei dadurch weiter.
Auch Frauengeschichten holen Berlusconi wieder ein. Die Ruby-Affäre ist noch längst nicht zu Ende. Nächste Woche sagen vor einem Gericht in Bari zwei Frauen aus. Sie könnten für Berlusconi gefährlich sein. Barbara Guerra und Marysthell Polanco haben erklärt, sie würden alles über die Bunga-Bunga-Nächte in Berlusconis Palazzo Grazioli in Rom und in der Villa Certosa in Arcore bei Mailand erzählen. Laut italienischen Medien ist man in Berlusconis Umgebung aufs Höchste alarmiert und aufs Schlimmste gefasst. Barbara Guerra hatte von Berlusconi eine 400 Quadratmeter grosse Villa in Brianza erhalten.
Nicht nur eine grosse Klappe
Während Berlusconi an Zustimmung verliert, legt Renzi wieder zu – trotz schwieriger Wirtschaftslage. Im Mai letzten Jahren beurteilten 70,4 Prozent der Befragten Renzi positiv. Dann begann, wie bei jeder Regierung, der langsame Abstieg bis auf 47 Prozent Anfang dieses Jahres. Dann im Januar plötzlich wieder die Trendwende.
Fast die Hälfte der befragten Italiener (48,1 Prozent) unterstützt ihn heute. Das ist viel, vor allem auch deshalb, weil sich die Gewerkschaften und der linke Flügel seiner Partei von ihm abgewendet haben. Aber viele Italiener sind offenbar zur Ansicht gelangt, dass Renzi doch mehr bietet als eine grosse Klappe.
Immer wieder fährt er die Krallen aus
Noch vor einem Jahr hatte Berlusconi Renzi liebevoll gelobt. Er glaubte wohl, das Politkücken würde bald von der rauen Wirklichkeit gerupft werden. Inzwischen hat sich das Kücken als ziemlich arroganter Machtmensch entpuppt. Demonstranten gegen ihn, Streiks, Drohungen sind ihm egal. Unbeirrt stürmt er nach vorn. Er ist der erste, der den sturen Gewerkschaften die Stirn bietet. Susanna Camossa, die Generalsekretärin der CGIL, der grössten italienischen Gewerkschaft, wirkt hilflos und überfahren.
Renzi sitzt fest im Sattel. Schnell hat er sich als schlauer Fuchs entpuppt und findet da und dort Mehrheiten. Immer wieder fährt er die Krallen aus. Und wenn es nicht so leicht geht, dann droht er mit Neuwahlen. Solche will heute niemand.
Silberstreifen?
Renzi legt nicht nur in Meinungsumfragen wieder zu. Wichtig ist auch die Stimmung unter den Verbrauchern. Dieser Konsumenten-Vertrauensindex war von 107 Punkten (im Juni letzten Jahres) auf 98,3 Punkte im letzten Dezember abgesackt. Und plötzlich, im Januar, sprang er wieder auf 104 Punkte hoch.
Während sich am Horizont Silberstreifen abzeichnen könnten, muss Berlusconi zuschauen, wie ihm die Felle davonschwimmen.