Seit Jahren sind populistische Politiker weltweit auf dem Vormarsch. Sri Lanka und Indien sind die beiden Vertreter in diesem Klub der Autokraten. Oder waren es. Denn Sri Lanka erlebt gegenwärtig die Demontage eines allmächtigen Präsidenten-Clans.
Die populistische Unterwanderung der Demokratie in Indien und Sri Lanka folgt einem international eingespielten Drehbuch. Auch hier verläuft die Machtausweitung über die Manipulation demokratischer Prozesse und Institutionen. Das Besondere an diesen beiden Ländern liegt im Appell der Machtträger an die ethnische Identität der Bevölkerungsmehrheit. Mit deren Hilfe werden zentrale demokratische Elemente wie der Schutz von Minderheiten und persönlichen Freiheiten quasi demokratisch unterlaufen.
Erfolgreiche Manipulationen
Wie erfolgreich diese Manipulation sein kann, zeigt die Transformation Indiens von einer pluralistischen zu einer majoritären «Demokratie» innerhalb von weniger als zehn Jahren. Der Appell an die gemeinsame Zugehörigkeit der hinduistischen Bevölkerungsmehrheit wird über die Ächtung des «historischen Feinds», der Muslimgemeinschaft, transportiert. Sie hat dem Politiker Narendra Modi und seiner BJP eine Zweidrittel-Mehrheit im Parlament eingebracht. Mit deren Hilfe kann er nun die pluralistische Verfassung fast nach Belieben in seinem Sinn aushöhlen.
Ein ähnliches Erfolgsbeispiel eines populistischen Politikers in der Region Südasien war in den letzten 17 Jahren Mahinda Rajapakse in Sri Lanka. Die Trumpfkarte war auch bei ihm der Appell an die ethnische Mehrheit der buddhistischen Singhalesen. Das Feindbild des «Anderen», mit dem er sie hinter sich brachte, war in diesem Fall die hinduistische Minderheit der Tamilen.
Während 25 Jahren war die Macht des singhalesischen Staats durch eine tamilische Terror-Organisation – die «Tamil Tigers» LTTE – in Schach gehalten worden. Rajapakse wusste, dass ein entscheidender Sieg seine Popularität in der Bevölkerungsmehrheit sichern würde. Dies gelang ihm am Ende seiner ersten Regierungsperiode im Jahr 2009 mit einer militärischen Vernichtungskampagne unter Missachtung aller Grundsätze der Genfer Konventionen, namentlich dem Schutz der Zivilbevölkerung. Von den rund 60’000 Gefallenen waren, so vermutet die Uno, 40’000 Zivilisten. Die singhalesische Mehrheit dankte es ihm – einem früheren Menschenrechtsanwalt – mit einem überzeugenden Wahlsieg.
Chinas Investitionen
Er gab Rajapakse die nötige Parlamentsmehrheit, um mit nicht weniger als sechs Verfassungsänderungen den Präsidenten zum quasi absoluten Herrscher zu machen. Diese Macht schloss auch das Recht ein, Familienmitglieder in politische Schlüsselpositionen zu bringen. Zwei seiner Brüder – Gotabaya und Basil – hatte er bereits zuvor zu Ministern für Verteidigung und Finanzen gemacht, obwohl beide amerikanische Staatsbürger waren.
Die Kontrolle der Familie über das staatliche Finanzsystem öffnete die Schleusen für chinesische Infrastruktur-Investitionen. Doch trunken von den Geldflüssen, die ihre Taschen füllten, nahm es der Clan in Kauf, dass China nicht ein Geldgeber, sondern ein Geldverleiher war, der auf die Rückzahlung seiner Kredite pochte. Bereits bei der nächsten Wahl im Jahr 2015 hatte die Verschuldung Sri Lankas Ausmasse erreicht, die Rückzahlungen verunmöglichten. Die Rajapkases zögerten nicht, Land- und Nutzungsrechte als Zahlungsersatz anzubieten – neben Militärbasen auch Hafenanlagen, Autobahnen und Schürfrechte, sowie deren Betrieb durch chinesisches Personal.
Dieser «Ausverkauf» war selbst einem Teil seiner eigenen Partei zu viel. Sie wählte einen Abtrünnigen zu ihrem Präsidentschaftskandidaten, der Mahinda Rajapakse an den Urnen entthronte. Eine Koalitionsregierung unter dem Oppositionspolitiker Ranil Wickremesinghe bereitete mit der 19. Verfassungsänderung der Präsidialdemokratie ein Ende und stellte das Primat des Parlaments sowie die Autonomie der Regierung wieder her.
Im Strudel der Schuldenkrise
Doch vier Jahre später waren die Rajapakses wieder am Ruder. Dank der üppigen Kriegskasse des Clans gelang es diesmal Mahindas Bruder Gotabaya, sich eine komfortable Mehrheit zu sichern. Mit einer typischen populistischen Geste erfüllte er sein Wahlversprechen tieferer Steuern. Gegenüber dem internationalen Publikum versuchte er, seinen Ruf als «Tamilen-Killer» durch einen neuen Nachdruck auf ökologische Reformen zu reparieren. Innerhalb eines Jahres würde die Landwirtschaft chemiefrei produzieren, kündigte er an. Mit einer erneuten Verfassungsänderung – der zwanzigsten – wurde schliesslich die absolute Macht der Präsidentschaft wiederhergestellt. Seinen älteren Bruder und früheren Staatspräsidenten Mahinda ernannte er zum Premierminister.
Doch einmal mehr wurde der Clan von seiner eigenen Hybris geblendet. Der Steuerausfall blähte das Staatsdefizit weiter auf; der mit einem Federstrich verordnete Umbau der Landwirtschaft mündete in einer Missernte und den Ausfall wichtiger Exportartikel wie Tee, Kautschuk und Gewürzen. Zwei weitere Ereignisse, die Covid-Pandemie und ein schwerer Terroranschlag im April 2019, führte zum Einbruch des Tourismus, dem wichtigsten Devisenbringer.
Das Land geriet in den Strudel einer Schuldenkrise, aus dem es sich nicht mehr aus eigener Kraft retten konnte. Plötzlich war der Ruf des Kriegsgewinners Makulatur, und die komfortable Parlamentsmehrheit begann zu bröckeln. Zudem meldete sich eine politische Kraft zurück, die vom Populisten-Clan als blosse Manövriermasse eingesetzt worden war: das Volk.
Der neue Premierminister
Ein früherer Ausspruch holte zunächst den Premierminister ein. Mahinda Rajapakse war einmal von einem Al Jazeera-Interviewer gefragt worden, was er von den zahlreichen Familienmitgliedern in der Staatsführung halte. Er antwortete lachend: «Die Leute wählen sie. Was kann ich tun? Wenn sie sie einmal nicht mehr sehen wollen, werden sie eben rausgeschmissen.»
Am 9. Mai war es soweit. In seiner Residenz «Temple Trees» von Demonstranten belagert, sandte er bewaffnete Anhänger auf das «Maidan»-Gelände in der Nähe, wo sie die Zelte der Protestierenden einrissen und auf diese schossen. Acht Menschen kamen ums Leben. Die Reaktion erfolgte blitzartig. Im ganzen Land kam es zu Zusammenrottungen, Rajapakse-Häuser und Autos wurden angezündet. Präsident Gotabaya musste seinen Bruder und Premierminister entlassen und auf einer abgelegenen Marine-Basis in Sicherheit bringen. Darauf rief er den militärischen Ausnahmezustand aus.
Er berief den Oppositionspolitiker Ranil Wickremesinghe zum Premierminister. Dieser nahm die Einladung an, unter der Bedingung, dass seine erste Amtshandlung die Beschränkung der Macht des Staatspräsidenten sein würde. Ein neuer Verfassungszusatz, der einundzwanzigste, würde die Allmacht der Rajapakses wieder aufheben, die sie sich mit der 20. Verfassungsänderung eingeräumt hatten, um Wickfremesinghes neunzehnten zu begraben.
Narzisstische Viren
Wird das konstitutionelle Katz-und-Maus-Spiel damit ein Ende nehmen? Es sieht so aus, als suche Präsident Gotabaya zu überleben, indem er sich einen Strick um den Hals hängen lässt. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis auch er in der Versenkung verschwindet. Denn die schwerste Krise der srilankischen Volkswirtschaft in der 75-jährigen Geschichte als unabhängiger Staat wird während Jahren nachwirken und die Erinnerung an ihre Urheber wachhalten.
Die Ereignisse in Sri Lanka zeigen, dass auch autokratische Regime ein Verfallsdatum auf sich tragen. Allerdings sind auch Demokratien nicht gefeit gegen narzisstische Viren, die sich bei Potentaten gern einnisten. Bevor sich Gotabaya und sein Bruder Basil wieder um einen amerikanischen Pass bemühen, können sie mit einem Blick auf die Philippinen Hoffnung schöpfen. Dort wurde soeben der Sohn eines früheren Diktators mit grosser Mehrheit zum Präsidenten gewählt.