Die Zeitungen sind voll von Nachrufen. Alle tönen ähnlich; die Nachricht musste ja auch sofort ins Blatt. Ja, sie war eine der ganz grossen Pionierinnen der Pflege, einer Pflege, die sich konsequent am Menschen orientierte. Ja, ihr berühmtes Pflegelehrbuch, «Juchli-Bibel» genannt, wurde mehr als eine Million Mal verkauft. Ja, sie hat das Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland nebst zahlreichen andern Preisen gewonnen. Sie war aber noch viel mehr.
Die Meldungen sagen trocken, sie sei an den Folgen von Covid-19 gestorben. Sogar in Wikipedia heisst es das, und nur das. Ausgerechnet sie, die für ihre Menschlichkeit berühmte Pflegefachfrau sei allein gestorben, stellt man sich da vor. Dem war aber nicht so.
Auf der Webseite der Sr. Liliane Juchli-Bibliothek ist immerhin zu lesen: Es ist tröstlich, dass Sr. Liliane ohne Schmerzen, umsorgt von hochkompetenten Pflegenden und lieben Menschen, diese Welt verlassen durfte.
Nachdem sie wegen einer Infektion lange im Spital hospitalisiert war, wurde sie zur Rehabilitation gebracht. Überall wurde sie liebevoll gepflegt. Sie war bereits auf dem Wege der Besserung, als sich Covid-19-Symptome zu zeigen begannen. Es wurde klar, dass sie, geschwächt von der Infektion und starken Antibiotika, mit einem schwachen Herzen, wenig Chance hatte, die Krankheit zu überleben. Wo sie sich angesteckt hat, ist nicht ganz klar. Die sie begleitenden Freundinnen aus dem Pflegebereich setzten durch, dass sie ins «Haus für Pflege» in Bern verlegt wurde, wo sie wussten, dass sie bis zum Schluss bei ihr sein konnten.
Eine von ihnen kümmerte sich fast rund um die Uhr um sie. Sie erzählt: «Wir konnten sie waschen und schön machen, wie sie es wünschte, wir lachten gemeinsam. Wir konnten sogar ermöglichen, dass ihre Familie sie noch besuchen konnte. Sie hatte Atemnot, aber nicht so stark, dass sie kämpfen musste. Sie ist ganz friedlich gestorben. Wir haben uns gut geschützt, aber wir konnten sie in die Arme nehmen und uns so verabschieden, wie sie es mit andern ihr halbes Leben getan hat.»
Das geht also, auch mit Covid! Einmal mehr hat die Pflegepionierin gezeigt, dass Pflegen vor allem heisst, sich um die kranken und sterbenden Menschen liebevoll zu kümmern, sie als Menschen und nicht als Fall zu sehen. Mit ihrem eigenen Tod hat sie es gezeigt, sie war nicht Coronafall Nr. 150, wie wir die Todesfälle in den Zeitungen oft wahrnehmen. Ihre Freundinnen und Freunde, viele von ihnen Fachleute, ehemalige Schülerinnen und Mitarbeiterinnen bis zum Schluss, liessen sie nicht allein sterben.
Sr. Liliane war eine eigenständige Person und eine frühe Feministin der besonderen Art. Sie war stark christlich geprägt, aber sie missionierte nie. Sie war Klosterfrau bis zum Schluss, aber sie setzte auch im Kloster immer ihren Willen durch.
Wir wissen jetzt, dass es möglich ist, mit Covid-19 gut zu sterben. Wenn motivierte Pflegefachleute dabei sind. Nicht immer können es Freundinnen sein. Natürlich können nicht alle Menschen so intensiv betreut werden, das würde das System sprengen. Aber die Information, dass auch in Corona-Zeiten eine solche Betreuung möglich ist, ist zentral.
Das ist eine Botschaft, die den Kern der «Juchli-Bibel» enthält. Aber die Botschaft ist natürlich auch: Nur anständig bezahlte Pflegefachleute können motiviert sein. Ich glaube, auch diese Botschaft hat uns die Pflegepionierin indirekt hinterlassen.
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