Als Libyen sich vom Status eines Paria-Staates freikaufte und in Tripolis sofort ausländische Geschäftsleute Schlange standen, hatte der Ghadhafi-Clan ein Luxusproblem: Wohin mit den Multimilliarden aus dem Ölexport? Schliesslich kann man das beim besten Willen nicht alles verprassen. Also wurde 2006 unter anderem die "Libyan Investment Authority" (LIA) ins Leben gerufen und mit einem Grundkapital von 40 Milliarden Dollar ausgestattet. Im blauäugigen Vertrauen auf den eigenen Sachverstand und die geballte Sachkompetenz internationaler Grossbanken wie Goldman Sachs, Société Générale, JPMorgan Chase, Credit Suisse und BNP Paribas wurde investiert, spekuliert und gezockt. Daraus entwickelte sich aber kein Märchen aus 1001-Nacht, sondern ein Desaster.
Die britische NGO Global Witness will in den Besitz von Bilanzunterlagen des libyschen Staatsfonds LIA gekommen sein, die per Ende Juni 2010 einen finanzielle Alptraum abbilden, wenn sie echt sind. Alleine im Handel mit Derivaten, also von Basiswerten abgeleiteten Wettscheinen, wurde in kurzer Zeit ein Buchwert von 1,2 Milliarden Dollar auf einen Marktwert von 19,9 Millionen eingedampft, ein Verlust von märchenhaften 98,5 Prozent.
Negative Rendite
Auch LIA-Anlagen bei Grossbanken und in Investmentfonds schrumpften laut diesem Bericht von 5 auf 3,5 Milliarden Dollar. So hatte sich der Überlebenskünstler und Wüstenfuchs Ghadhafi den Wiedereinstieg in die schöne neue Welt des internationalen Finanzkapitals wohl nicht vorgestellt. Während ihm und letztlich dem libyschen Volk, dem dieses Geld eigentlich gehört, eine bedauerliche negative Rendite eingebrockt wurde, wie das im Bankertalk heisst, verdienten sich die Bangster selbst natürlich eine goldene Nase.
Bei Investments dieser Grössenordnung kann man, inklusive Fees, Kick-backs, Retrozessionen, Verwaltungsgebühren, Ausgabeaufschläge usw. von einer Profitspanne von konservativ geschätzten 2 Prozent ausgehen. Macht alleine hier, bei 6,2 Milliarden Volumen, satte 124 Millionen Profit, money for nothing. Denn all diese Kohle wird traditionell unabhängig vom Endresultat eingesackt, up front versteht sich, im Voraus.
Setzen wir die gleichen 2 Prozent für die Verwaltung des gesamten Vermögens des libyschen Staatsfonds an, das sich auf mindestens 55 Milliarden Dollar beläuft, kommen wir auf die hübsche Summe von 1,1 Milliarden. Pro Jahr, wohlgemerkt.
Es geht noch schlechter
Aber wir lebten ja nicht in der globalisierten Welt des modernen High-tech-Financial-Engineering, in dem mit mathematischer Präzision Finanztransaktionen ausgeführt werden, bei denen das Risiko herausgerechnet werden kann – wenn es nicht noch verlustreicher ginge. Wie das «Wall Street Journal» (WSJ) aufgrund von internen Unterlagen berichtet, hat der Staatsfonds LIA auch den Fehler gemacht, Geld in Goldman Sachs zu stecken. Genauer 1,3 Milliarden Dollar in GS-Portfolios aus Optionen und weitere 350 Millionen in zwei andere Goldman-Fonds, reserviert nur «für beste Kunden».
Das war im Juni 2008, und die Goldjungen von GS machten sich flugs ans Werk, um mal wieder zu zeigen, was ein hochkompetenter Investmentbanker so alles kann: nämlich nichts. Im Februar 2010 seien diese Anlagen laut WSJ noch ganze 25,1 Millionen wert gewesen. Also nicht mal der Gegenwert eines eher mickrigen Jahresbonus für einen GS-Banker.
Verloren im Wüstensand
Anlagen im Milliardenbereich verrösten und anschliessend einen zeternden Investor an die gut bestückte Rechtsabteilung der Bank verweisen, das ist ja Business as usual für Zockerbanker. Nun ist Ghadhafi nicht gerade dafür bekannt, dass er sich immer an zivilisierte Umgangsformen hält. Also schickte GS einige besonders mutige Banker mit Bodyguards in die Höhle des Wüstenfuchses nach Tripolis, um dort den tobenden Ghadhafi-Vertrauten des Staatsfonds ein lustiges Angebot zu unterbreiten. Um die Verluste zu kompensieren, könne der Staatsfonds LIA Vorzugsaktien von GS im Wert von 3,7 Milliarden Dollar erwerben, sich also nicht mehr an absaufenden GS-Fonds, sondern an der Geldvernichtungsmaschine selbst beteiligen. Bei genauerer Betrachtung stellte sich aber heraus, dass LIA damit nicht zum Mitaktionär von GS geworden wäre, sondern der Bank faktisch ein Darlehen gewährt hätte. So verloren sich die Verhandlungen dann im Juni 2010 im Wüstensand.
Eine gute Nachricht zum Schluss
Acht Monate später begannen weltweit Regierungen damit, die Gelder des libyschen Fonds LIA einzufrieren. Alleine in den USA und Grossbritannien soll es sich dabei um rund 55 Milliarden Dollar handeln. Das ist eine schlechte Nachricht für Ghadhafi, aber eine sehr gute Nachricht für die eigentlichen Besitzer, nämlich das libysche Volk. Denn so wird wenigstens verhindert, dass dieses Kapital durch das unermüdliche Wirken von bonusgierigen Bangstern weiter verzockt wird. Das Bedauern darüber, dass einige Investmentbanker dieses Jahr einen entschieden kleineren Bonus kassieren werden, hält sich dagegen weltweit in überschaubaren Grenzen.