In diesem Kommissions-Beschluss wurde Irland angewiesen, von zwei Apple-Tochtergesellschaften Steuern in Höhe von 13 Milliarden Euro nachzufordern.
Das Steuerdilemma der EU
Die fiskalpolitische Hoheit für direkte Steuern liegt in der EU bei den Mitgliedstaaten. Diese haben das Recht, aufgrund eigener Vorschriften „Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich“ zu behandeln. Um Mitgliedstaaten steuerlich auf Linie zu bringen, bleibt der EU nur der Ausweg über das Verbot staatlicher Beihilfen und Subventionen aller Art, welche den europäischen Binnenmarkt verfälschen.
Beim künftigen Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU wird dieser Punkt für die einen Balsam, für die anderen Sprengstoff sein.
Angriff der EU gegen Apple
Die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hatte auf dem Umweg über den irischen Staat Apple 2016 aufgefordert, die Milliardensumme nachzuzahlen, weil dem Konzern eine steuerliche Sonderbehandlung gewährt worden sei. Mit methodisch und nach irischem Recht unzulässigen Steuervorbescheiden in den Jahren 1991 und 2007 habe der irische Staat Apple staatliche Beihilfen gewährt, die mit dem Binnenmarkt unvereinbar sind.
Apple und Irland wehren sich
In einer koordinierten Aktion schossen der Apple-Konzern und Irland, beide interessanterweise an der Seitenlinie unterstützt vom Grossherzogtum Luxemburg, aus allen juristischen und faktischen Rohren gegen die angebliche Anmassung aus Brüssel. Die EU-Kommission wurde im Prozess unterstützt durch die polnische Republik, die wohl noch etwas gutzumachen hatte.
Eindeutiger Entscheid gegen die EU-Kommission
Die Argumente der EU-Kommission, Irland habe a) das „at arm’s length prinicple“ (auf Deutsch so schön bürokratisch „Fremdvergleichsgrundsatz“) verletzt, b) das eigene irische Steuerrecht falsch ausgelegt und c) dem Apple-Konzern unerlaubte Sondervorteile gewährt, hat das EU-Gericht in allen Punkten zerzaust und Irland recht gegeben.
Die EU-Kommission wird nicht klein beigeben. Es geht um eminent politische Fragen, welche die rechtlichen und pekuniären Aspekte überlagern. Irland hat in erster Instanz gewonnen, allerdings in Allianz mit dem Giganten Apple, dessen Marktkapitalisierung von mehr als 1’600 Milliarden US-Dollar das BIP von Irland mehr als dreimal übersteigt.
Sonderbares Steuergesetz in Irland
Nicht, dass keine Fragen blieben. Die beiden Mutter- und Grossmuttergesellschaften von Apple mit Sitz in Irland wurden direkt und 100-prozentig von A bis Z aus Cupertino gemanagt. Beide Sitze waren von irischen Steuern völlig befreit. Lediglich die irischen Zweigniederlassungen bezahlten ordentlich Steuern. Der effektive Gewinn-Steuersatz der beiden irischen Apple-Gesellschaften soll lediglich 0,005% betragen haben.
Wer erinnert sich bei diesen Steuervorteilen nicht an die bis vor kurzem erlaubten schweizerischen Sitz- und gemischten Gesellschaften, deren steuerliche Vorzugsstellung der Schweizer Souverän auf Druck der OECD abschaffen musste? Die EU-Kommission hat keine leichte Aufgabe. Sie darf nicht in die Steuerhoheit der einzelnen EU-Mitgliedstaaten direkt eingreifen und interveniert auf dem Umweg über das Subventionsverbot.
Die Haltung der OECD
Die Argumente, um die im Steuerprozess zwischen Apple und der EU-Kommission gefochten wurden und die aller Voraussicht nach in zweiter und letzter Instanz beim Europäischen Gerichtshof landen, erinnern an die Vernehmlassung der OECD im Jahr 2019, in dem es um die weltweite Einführung von Mindeststeuersätzen von Konzernen ging. Die OECD beabsichtigte, auf die schon genügend komplizierten internationalen Steuerregeln eine weitere Schicht von Vorschriften für digitale Konzerne aufzupfropfen.
Bei der nächsten Sitzung der G7 sollte gemäss OECD eine Lösung Deus ex Machina präsentiert werden. Corona-bedingt ist der nächste Termin noch nicht bekannt, zudem will der US-Präsident das Gremium erweitern. Die Intervention der EU-Kommission gegen Apple soll er nicht geschätzt haben. Weltweite einheitliche Steuerregeln sind in weiter Ferne. Es liegen auch keine vernünftigen Vorschläge der OECD auf dem Tisch.
Wo ist der Steuerwettbewerb geblieben?
Der Angriff der EU-Kommission auf Irland wegen Apple sollte der Schweiz zu denken geben. In Sachen staatlicher Beihilfen ist mit der EU nicht zu spassen. Das Verbot von unerlaubten Beihilfen ist ein wichtiger Teil des EU-Wettbewerbsrechts. Bislang standen unsere Kantonalbanken, das Freihandelsabkommen sowie das Luftverkehrsabkommen im Kreuzfeuer der Beihilfe-Diskussion. Der Apple-Prozess vor dem EU-Gericht zeigt, dass die EU alle Staaten, die Beihilfevorschriften im Steuerbereich verletzen, an die Kandare nehmen wird, wie dies u. a. schon mit Belgien, Frankreich, UK und Portugal geschehen ist.
Nach Abschluss des institutionellen Rahmenabkommens wird die Schweiz an der Reihe sein. Es ist damit zu rechnen, dass die EU einen Kanton nach dem anderen kritisch analysieren wird, ob da noch etwas zu holen ist. In der Schweiz werden die Vorteile eines vernünftigen Steuerwettbewerbs nicht gering geschätzt. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist es oft sinnvoll, Vorbescheide in Steuersachen einzuholen. Diese dienen dem Rechtsfrieden. Prozesse, in denen es um Steuern und geistiges Eigentum geht, sind die neuen Wirtschaftskriege, auf die sich die Schweiz gefasst machen muss.
Ein Ausweg: die Mikrosteuer
Es wäre schön, wenn die EU und die OECD erkennen und anerkennen würden, dass mit dem bisherigen Steuerwirrwarr aufgehört werden muss und eine umfassende, einfache und zielführende digitale Steuer wie die apolitische Mikrosteuer auf allen elektronischen Zahlungen Licht in das unübersichtliche Steuergeflecht bringt.
In der Schweiz wird diese Idee Fuss fassen. Die internationale Einführung würde nicht nur unserem Land, sondern auch der EU helfen, das Steuersystem angesichts von Digitalisierung und Finanzialisierung zu verbessern. Zudem würde ganz Europa von diesem Schritt der Steuerharmonisierung profitieren, zur Freude von EU-Kommission und OECD.
*Jacob Zgraggen ist Jurist und ehemaliges Geschäftsleitungsmitglied der Bank Bär. Zusammen mit seinem Kollegen, dem früheren Banker Felix Bolliger, ist er Mitglied des Initiativkomitees zur Volksinitiative für die Einführung einer Mikrosteuer auf dem bargeldlosen Zahlungsverkehr (Initiativtext und weitere Informationen auf www.mikrosteuer.ch). Die Unterschriftensammlung für die Initiative ist seit dem Februar dieses Jahres im Gange.