In der Diskussion um das Rahmenabkommen werden vom linken Spektrum der Schweiz mit dem gewerkschaftlichen Rammbock «Lohnschutz» Türen eingerannt, welche die EU selbst bereits geöffnet hat.
In einem Leitartikel der grössten Deutschschweizer Tageszeitung war kürzlich von «hyperventilierenden Befürwortern und Gegnern» des Rahmenabkommens (InstA) die Rede. Das ist ein bemerkenswert dummer Kommentar gegenüber beiden Seiten. Die Gegner argumentieren durchaus rational, weil sie entweder ihre spezifischen Interessen durch vermehrte EU-weite Finanz-Regelung in Gefahr sehen, also die Kasino-Kapitalisten, oder das Prinzip nicht verstanden haben, dass die Zusammenlegung von Einzelinteressen nicht nur deren Summe sondern einen Mehrwert ergeben kann. Dass ausgerechnet die Partei der selbsternannten schweizerischen Patrioten, also die SVP, nicht verstehen will, dass sich im europäischen Rahmen heute abspielt, was vor gut 150 Jahren am Beginn der heutigen Eidgenossenschaft geschah, ist eigenartig.
Linker Nationalismus
Noch eigenartiger ist allerdings die bisherige offizielle Position der schweizerischen SP gegenüber dem InstA. In einem Anfall von linkem Nationalismus werden Jahrzehnte europafreundlicher Tradition der Partei über Bord geworfen und schweizerischer Lohnschutz als einziger Damm gegenüber einer angeblich «neo-liberalen» EU gepriesen. Das ist schon von der Sache her zweifach falsch. Die einzelnen EU-Staaten haben durchaus Spielraum, wie sie im Rahmen der europäischen Vorgaben den Lohnschutz in konkrete Massnahmen umgiessen und diese dann auch durchsetzen. Zudem wird dieser Rahmen im Moment umgebaut in Richtung von mehr sozialer Verantwortung und weniger Ungleichheit.
Der Sozialpfeiler der EU
In Porto hat die gegenwärtige EU-Präsidentschaft Portugal – von einer sozialdemokratischen Partei regiert – ein Gipfeltreffen einberufen, wo nicht nur Politiker, sondern auch die Vertreter der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft eine Erklärung über «Arbeit und Beschäftigung», «Kompetenzen und Innovation» sowie «Wohlfahrtsstaat und Sozialstaat» verabschiedeten. Nun sind das zunächst einmal Worte, was zählt ist die Umsetzung
Europäisches Semester
Schon in Porto hat der italienische Premierminister Mario Draghi auf die Notwendigkeit hingewiesen, diese Erklärung in ein konkretes «Europäisches Semester» umzugiessen.
Das europäische Semester ist eine nicht ganz unkomplizierte Vorkehrung mit der «Brüssel» seit 2011 dafür sorgt, dass wohlklingende Ministererklärungen durch eine Überprüfung von nationalen Regierungserklärungen und nationalen Budgets auch in die einzelstaatliche Praxis umgesetzt werden. Das sollte nun noch vermehrten Erfolg haben. Die Pandemiekrise und die bedeutenden Aufwendungen der EU für ihre Überwindung (Wiederaufbaufonds), ebenso wie die breite Erkenntnis, dass diesmal soziale Unterschiede in und zwischen den Staaten zwingend abgebaut werden müssen, wird auch auf dieser praktischen Ebene zu Verbesserungen führen. Bei aller Verschiedenheit auf Grund unterschiedlicher Regierungen in den einzelnen EU-Mitgliedsländern bewegt sich die EU in der Richtung gewerkschaftlicher Forderungen. Die Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes, Liina Carr lässt sich so zitieren: «In den letzten Jahren haben wir Fortschritte gemacht.»
Vernunft, nicht Ventilation
Dass sich nun die Befürworter des InstA, auch und gerade innerhalb der SP lautstark zu Wort melden hat weiter damit zu tun, dass sie besorgt sind, wie schnell unser Land seine Europapolitik mit dessen Ablehnung an die Wand fahren wird. Die Personenfreizügigkeit, die Anbindung an europäische Forschung und Ausbildung sowie der Anschluss an den Binnenmarkt wären damit, teilweise schon kurzfristig (Medtech, Elektrizitätsmarkt, Erasmus/Horizon Europe), in Frage gestellt. Die Kosten einer Ablehnung wären enorm, wie das sogenannte, nun allgemein bekannte «Geheimpapier» der Bundesverwaltung zeigt.
Ein konkreter Plan B nach der Ablehnung besteht nicht. Das «Fitnessprogramm für die schweizerische Wirtschaft», das von neo-liberalen Kreisen nach Ablehnung vorgeschlagen wird, würde genau das Gegenteil dessen bewirken, was Gewerkschaftskreise mit ihrer beinharten Ablehnung des InstA für schweizerische Arbeitnehmer bewirken wollen.