Medien und Demokratie stehen in einer Wechselbeziehung von staatspolitischer Bedeutung; sie bilden eine Verantwortungsgemeinschaft. Ohne unabhängige, kritische Medien keine Demokratie – ohne Demokratie keine unabhängigen, kritische Medien.
Die Demokratie, verstanden als Staatsform der grösstmöglichen Partizipation der Bürgerinnen und Bürger, braucht kritische, unabhängige Medien - sie sind die Voraussetzung und gleichzeitig Bedingung einer lebendigen Demokratie. Die Medien ihrerseits sind für die Demokratie unverzichtbar als Plattform der öffentlichen Auseinandersetzung und Ferment des gesellschaftlichen Diskurses, als Informations-Agenturen und Treuhänder der Öffentlichkeit.
Das Problem, das ich im Folgenden etwas genauer unter die Lupe nehmen möchte, lässt sich so umschreiben: Welche Auswirkungen hat die aktuelle Medienentwicklung auf das demokratische System? Sind die Medien noch immer eine notwendige Voraussetzung und Bedingung für die Demokratie, oder nicht vielmehr eine Bedrohung für eine demokratisch verfasste Gesellschaft? Ist das Modell einer Verantwortungsgemeinschaft von Demokratie und Medien – als direkte Folge der Medienentwicklung – nur noch ein Mythos, ein Relikt vergangener Zeiten?
Im Brennpunkt der Diskussion steht die neue Medienwelt im Zeichen von Digitalisierung und Globalisierung.
Das Thema polarisiert extrem: Verklärung versus Dämonisierung, Euphorie versus Entsetzen; hier Faszination pur, dort ein diffuses Unbehagen, die Angst vor totaler Fremdbestimmung.
Wem wird die Entwicklung recht geben? Wir wissen es nicht. Sicher ist nur: Wir sitzen in einem Zug, der sich mit rasender Geschwindigkeit fortbewegt. Und niemand kann sagen, wohin die Reise geht.
Zwei Zäsuren der Medienentwicklung
Die erste Zäsur: der Beginn des Fernseh-Zeitalters in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts, der Wechsel in der Wahrnehmung der Welt vom Wort zum Bild.
Heute ist das Fernsehen das alles dominierende Leitmedium. Wir nehmen die Wirklichkeit fast nur noch wahr über die Bilder, die uns über das Fernsehen erreichen. Was nicht im Fernsehen gezeigt wird, ist nicht wirklich geschehen. Das Fernsehen prägt unser Weltverständnis, diktiert die politische und familiäre Agenda (und programmiert so ganz nebenbei auch noch unsere Langeweile). Und für viele vereinsamte Menschen ist das Fernsehen der einzige "Gesprächspartner", der ihnen geblieben ist. Das Medium Fernsehen ist ein politisches und gesellschaftliches Phänomen von gewaltiger, sehr ambivalenter Bedeutung.
Die zweite Zäsur: die digitale Revolution zu Beginn der achtziger Jahre. Das Internet ist das Online-Universum unserer Zeit, die Welt zusammengeschrumpft zum global village. Es gibt, zumindest theoretisch, keine "toten Winkel", keine Kommunikationsgrenzen mehr.
Was auf den ersten Blick auf uns wirkt wie die geniale Erschaffung einer neuen Welt, hat ein Janusgesicht: auf der einen, vordergründigen Seite neue Formen von Öffentlichkeit, eine grössere Transparenz des gesellschaftlichen Lebens, eine fast ins Unendliche gesteigerte Fülle an Informationen mit einer entsprechenden Inflation von Nutzern; auf der anderen die aggressive Dynamik einer immer chaotischeren Welt des Cyberspace, die von keiner politischen Macht zu kontrollieren, geschweige denn zu domestizieren ist.
Von diesen beiden Zäsuren ist die Demokratie in ihrem Wesenskern betroffen.
Die Demokratie ist angewiesen auf Bürger, die sich in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen und so beitragen zu einer breit abgestützten Meinungsbildung. Im Zeitalter des Fernsehens und der Digitalisierung der Welt haben die traditionellen Formen gesellschaftlicher Auseinandersetzung ihre frühere Bedeutung aber weitgehend eingebüsst.
Öffentliche Meinungsbildung ist zur raren Ausnahme vor kleinem Publikum geworden. Blogs im Internet ersetzen den Stammtisch, der politische Diskurs ist als Pseudo-Kommunikation an die Medien delegiert worden; statt Politik aktiv mitzugestalten, konsumieren wir sie als Spektakel vom Lehnstuhl aus. In einem schleichenden, unaufhaltsamen Prozess der Selbstentmündigung haben sich die Bürger von der res publica verabschiedet. Sie wachen nur noch auf aus dem Schlaf der Gerechten (oder Resignierten), wenn sie direkt betroffen sind oder die Medien ein Thema mit grossem Getöse emotional aufmischen.
"Overnewsed – underinformed"
Die Älteren unter uns erinnern sich noch an die Zeit, als das Hauptproblem der Erkenntnishungrigen darin bestand, sich die Informationen für die eigene Meinungsbildung überhaupt beschaffen zu können. Das hat sich radikal geändert. Heute sehen wir uns konfrontiert mit einem erdrückenden, unüberschaubaren, von niemandem mehr zu bewältigenden Überfluss an news, facts and figures.
Der Overkill an Informationen ist der ganz normale, tägliche Wahnsinn.
Dass unter diesen Umständen eine differenzierte Selektion nicht mehr möglich ist, von einer kritischen Durchdringung des Angebots gar nicht zu reden, liegt auf der Hand. Und es wäre ein fataler Irrtum, das gigantische Plus an Informationen mit einem Plus an Wissen zu verwechseln – das Gegenteil trifft zu:
Die Multiplizierung der Angebote hat nicht zu einem Erkenntnisgewinn geführt, sondern zu einem Verlust an Urteilskompetenz: "We are overnewsed but underinformed."
Wir alle sind hoffnungslos überfordert – die Medien-Nutzer genauso wie die Journalisten. Die Konsumenten fühlen sich bedroht von der medialen Lawine und werden in ihrer Angst und Desorientierung anfällig für einfache Antworten. Und die Journalisten sind ratlos, weil sie realisieren, dass es für sie praktisch unmöglich geworden ist, ihre Funktion als Übersetzer und Vermittler einer immer komplexeren Welt wahrzunehmen.
Diese Überlegungen führen uns direkt zur Frage: Was ist denn eigentlich die Aufgabe des Journalismus in einer demokratischen Gesellschaft? Was müsste der Journalismus leisten - und was zu leisten vermag er wirklich? Und schliesslich: Welchen Einfluss hat die Medienentwicklung auf das Können des Sollens im Journalismus?
Exkurs 1
"Menschen zu Verstehenden machen"
Die meines Erachtens treffendste Antwort auf diese Frage hat Hermann Boventer vor Jahren in seinem grundlegenden Werk " Medienethik" gegeben:
"Der Journalismus steht unter einer ethischen Idee. Sein Ethos ist die Kommunikation als ein Prozess, der die Verständigung zum Ziel hat. Die Menschen sollen über das vermittelnde Geschäft des Journalismus zu Verstehenden gemacht werden."
Damit ist gesagt: Journalismus steht im Dienste der Gesellschaft. Seine Aufgabe ist es, Wirklichkeit in ihrer Vielfalt und Komplexität zu analysieren und zu kommentieren. Ziel journalistischer Arbeit ist es, durch eine differenzierte Ausleuchtung der "Innenwelt der Aussenwelt", das Sichtbarmachen eines möglichst umfassenden Spektrums von Fakten und Prozessen, und nicht zuletzt durch Herstellung von Transparenz und Sinn-Zusammenhängen die Menschen in die Lage zu versetzen, sich ein eigenes, kompetentes Urteil zu bilden.
Der Journalismus hat darüber hinaus aber auch die Aufgabe, als kritischer Mahner die Bürger für die Einsicht zu sensibilisieren, dass keine Realität an sich schon gut ist, nur weil sie ist, sondern immer veränderbar und gleichzeitig veränderungsbedürftig.
Nur wenn sich der Journalismus auch als Unruhestifter im Interesse der Demokratie begreift, schafft er die Voraussetzung, dass wir unsere Mitverantwortung für die Gesellschaft überhaupt wahrnehmen können.
Das ist ein hoher Anspruch. Und wir dürfen dabei nie vergessen, dass das Bild, das wir uns von der Wirklichkeit machen, nur unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit spiegelt - die Wirklichkeit ist immer ein subjektives Konstrukt. Die Wirklichkeit an sich und die mediale Abbildung dieser Wirklichkeit sind nicht identisch; wir alle bleiben immer Gefangene unserer eigenen Wahrnehmung.
Das Gleiche gilt für die Wahrheit. Dass wir persönlich etwas für wahr halten, heisst noch lange nicht, dass dieses Etwas auch wirklich wahr ist. Die Wahrheit ist immer nur unsere Wahrheit - die Wahrheit an sich ist uns Menschen nicht zugänglich.
Dieser Gedanke hat seine Gültigkeit auch für die Wahrheit des Journalisten, die Objektivität: Es gibt sie nicht, es kann sie gar nicht geben. Eine objektive, von der subjektiven Wahrnehmung unabhängige Erkenntnis ist eine Utopie; objektiv ist immer nur das, was wir subjektiv für objektiv halten. Es ist deshalb unsinnig, vom Journalismus kategorisch Objektivität zu verlangen.
Allerdings muss gelten (und das halte ich für entscheidend): Auch wenn Wahrheit und Objektivität für uns Menschen immer unerreichbar bleiben, ist die Orientierung an diesen ethischen Normen oder, anders gesagt, die Wahrhaftigkeit als menschliche Haltung, die trotz der Unerreichbarkeit der Zielsetzung nicht resigniert und ihr verpflichtet bleibt, konstitutiv für den Journalismus. Nur dann darf er für sich in Anspruch nehmen, Anwalt der Öffentlichkeit und Diener des demokratischen Prozesses zu sein.
Die Wahrhaftigkeit ist die Basis der Glaubwürdigkeit, der kategorische Imperativ des Journalismus.
Das gilt in besonderem Masse für den Journalismus in einer demokratischen Gesellschaft. Ideologisierung, Lüge (auch die Lüge durch Verschweigen!) und Manipulation – das bewusste Ausblenden oder Verdrehen von Fakten und Argumenten im Dienst einer Interessen-gesteuerten journalistischen "Beweisführung" – sind Gift für die Demokratie.
Die Medien - ein gigantischer Markt
Ausgangspunkt meiner Überlegungen war die These, dass unabhängige, kritische Medien für eine Demokratie unverzichtbar sind. In dieser Sicht ist die Vermittlungs- leistung der Medien primär ein immaterielles Gut. Sie definiert sich als Dienst an der Gesellschaft, als Service public, und erst in zweiter Linie als ein Produkt, das sich in einem hart umkämpften Markt behaupten muss.
Das gilt in besonderem Masse für die Information; sie ist der Kern des journalistischen Auftrags. Die Information darf auf keinen Fall zur Ware degradiert werden.
Die Realität sieht allerdings anders aus. Die Medien sind heute eine gewaltige, nationale Grenzen sprengende Macht – politisch, vor allem aber ökonomisch.
Wer im Medien-Supermarkt überleben will, muss sich den Gesetzen des Marktes unterwerfen: "Vogel, friss oder stirb!"
In der Praxis bedeutet das: Gewinn-, nicht Gemeinwohl-Orientierung; Auslieferung an das Diktat des Mainstream (gut ist, was vielen gefällt; denn nur was vielen gefällt, lässt die Kasse klingeln); und als oberste Maxime die Mehrheitsfähigkeit um (fast) jeden Preis. Das Resultat: die totale Nivellierung im Interesse der totalen Vermarktung. Und wir? Wir zappeln wie Marionetten an den Fäden einer globalen kommerziellen Inszenierung.
Die Kommerzialisierung der Medien hat dazu geführt, dass die Unternehmer nicht mehr in erster Linie die Staatsbürger, sondern die Medien-Konsumenten ansprechen. Damit geht der Demokratie eine wichtige Basis verloren: die Vielfalt der Informationen als Voraussetzung einer differenzierten Meinungsbildung und des Gemeinwohl-orientierten Handelns. Der Zürcher Soziologe Kurt Imhof : "Das gefährlichste Risiko der Moderne ist die uninformierte Demokratie." (Die ZEIT, 6.5.10)
"Bad news is good news..."
Dem Resultat der darwinistischen Marktlogik begegnen wir heute eins zu eins in den Programmen vor allem des Fernsehens: Infotainment statt Information, Skandalisierung statt Sachlichkeit, Simplifizierung statt Analyse, wohlfeile Empörungs-Bewirtschaftung und voyeuristische Ausbeutung von Emotionen – die mediale Hyperventilation als Dauerzustand, die Welt als Absurdistan. Die alles bestimmende Devise: "Bad news is good news - good news is no news."
Nur das Schrille, Abseitige, die Lächerlichkeit des Belanglosen hat eine Chance, überhaupt noch zur Kenntnis genommen zu werden. Die sachliche Information tritt in den Hintergrund; es zählt nur, was im medialen Scheinwerferlicht als Spektakel vermarktet werden kann. Michael Hermann ist ohne Einschränkung zuzustimmen: "Es herrscht eine fast schon obsessive Faszination für düstere Meldungen von Rasern, renitenten Schülern, Parallelgesellschaften und einer angeblich schleichenden Islamisierung." (Der Bund, 9.11.10)
Sachgerechter, unaufgeregter Journalismus ist nur noch ein Nischenprodukt für eine als elitär belächelte Minorität. Die Normalität ist kein journalistisches Thema.
Die Deformierung der Realität durch die Art ihrer Vermittlung hat ein groteskes Ausmass angenommen. Je banaler die Wirklichkeit, desto hysterischer die Show: Politik als Zirkus, die Welt als Reality-TV (oder genauer: als Real-Satire). Entscheidend ist nicht das Informationsbedürfnis, sondern der Unterhaltungswert, der Nervenkitzel. Ohne Gladiatoren-Kulisse, ohne lärmige mediale Inszenierung ist Politik heute nicht mehr zu verkaufen.
Am krassesten spiegelt sich diese Entwicklung – und zwar nicht nur bei uns, sondern weltweit – in der Fernseh-Unterhaltung. Nichts ist zu stupid, geschmacklos oder pervers, um nicht zur Sensation aufgeblasen zu werden.
Zappen Sie sich einmal durch die Programme: Die Fernseh-Unterhaltung ist eine öde Wüste (und oft auch nur visualisierter Schwachsinn). Manchmal wird man den Eindruck nicht los, die Unterhaltungsindustrie führe via Fernsehen einen Krieg gegen den Geist – und es macht ganz den Anschein, als hätte sie diesen Krieg gewonnen.
Das Diktat der Werbung
Die Misere wird noch verschärft durch das Diktat der Werbung. Was bei der Lektüre von Zeitungen bei Nicht-Interesse problemlos ausgeblendet werden kann, erfüllt im Fernsehen den Tatbestand der Nötigung. Das Publikum wird in Sekunden-Tranchen – wie eine Manövriermasse – an die Werbewirtschaft verkuppelt. Und das Erstaunliche dabei: Wir lassen uns das widerstandslos gefallen.
Für die journalistische Qualität sind die Konsequenzen des flächendeckenden Bombardements mit Werbung dramatisch. Die Rechnung ist einfach: Weil für die Werbung vor allem das grosse Publikum zählt, ist es nur logisch, dass die Programme dem Mehrheitsgeschmack angepasst werden; sie müssen der Werbung "ein geeignetes Umfeld" anbieten, wie es schönfärberisch heisst. Nur ein Träumer wird aber behaupten wollen, dass durch Programme, die sich am Massengeschmack orientieren, unsere Entscheidungskompetenz gestärkt wird.
Die Segmentierung der Öffentlichkeit
Die penetrante Präsenz der Werbung hat aber noch einen anderen, für die Demokratie bedenklichen Aspekt. Werbung ist ökonomisch vor allem dann interessant, wenn sie für ein grosses Publikum konzipiert werden kann oder sich auf eng definierte Zielpublika konzentriert. In diesem Fall wird die Gesellschaft ausdifferenziert in geschlossene, unter sich nicht vernetzte Teil-Öffentlichkeiten. Diese haben je ihren eigenen Informations-Background, ihre eigenen Themen, ihre eigene Sprache. Sie kommunizieren fast nur innerhalb ihrer eigenen Welt, die Dialogbrücken zur Aussenwelt beschränken sich auf das absolut Notwendige. Sie hören den Anderen zwar noch, verstehen ihn aber nicht mehr - und umgekehrt. Mit anderen Worten: Die moderne Informationsgesellschaft produziert Autisten.
Das Internet als Innovation und Bedrohung
Das Internet verbindet Menschen mit Menschen, die sich sonst nie begegnen würden. Es vernetzt Informationen und macht sie allgemein zugänglich. Staaten wie China, Iran, Kuba und – spätestens seit der Aufdeckung von Schandtaten im Irak-Krieg – sogar die USA fürchten wenig so sehr wie diese neue Form der Transparenz. Ein chinesischer Regimekritiker (Ai Weiwei): "Das Internet ist das grösste Geschenk für China; diese neue Technologie wird der Diktatur eines Tages ein Ende setzen." (sda, 8.11.10)
Das ist die eine, vorbehaltlos positive Seite. Aber es gibt auch die andere, die unter dem Demokratie-Aspekt zu problematisieren ist.
Faszinierend ist die neue digitale Welt vor allem für die Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist. Junge Menschen bewegen sich heute mit lässiger Selbstverständlichkeit in ganz unterschiedlichen, der realen Welt abgewandten, virtuellen Wirklichkeiten. Sie partizipieren an digitalen sozialen Kreisen und "kommunizieren" mit Menschen, die sie gar nicht kennen. Dass diese Beziehungen mit "digitalen Dritten" letztlich abstrakt und inhaltslos bleiben, scheint sie nicht zu beunruhigen.
Und es kommt etwas Entscheidendes hinzu: Als Folge der enorm ausgebauten Möglichkeiten der zwischenmenschlichen Beziehungen sind wir gar nicht mehr in der Lage, diese uns subjektiv anzueignen. So erweist sich der technische Fortschritt als Danaergeschenk, der scheinbare Gewinn als belastende Hypothek. Das Internet hat zwar die partizipativen Möglichkeiten der Kommunikation gewaltig ausgebaut; gleichzeitig hat es aber auch die Gemeinsamkeiten reduziert, über die überhaupt noch diskutiert werden kann.
Wenn das kommunikative Leben der jungen Generation aber mehr und mehr im Internet stattfindet, die Alltags-Wirklichkeit für diese nur noch ein Lebensfenster unter vielen ist (und nicht einmal das wichtigste): Hat dann die Demokratie, die auf Dialog, Kontroverse und Verständigung in der realen Welt basiert, überhaupt noch eine Chance?
Oder anders gefragt: Wie wollen wir in einer demokratischen Gesellschaft die existenziellen, für unsere Zukunft entscheidenden Probleme lösen, wenn wir keinen gemeinsamen Informationsstand und damit auch kein gemeinsames Problembewusstsein mehr haben? Wie kann die Demokratie überleben, wenn wir uns in immer stärker segmentierten Wissens- und Erfahrungswelten bewegen und deshalb logischerweise unterschiedliche, häufig inkompatible Prioritäten setzen – mit dem Resultat, dass es keinen gemeisamen Nenner mehr gibt für das Wichtige und Notwendige?
Demokratie oder Demokratur?
Die Omnipräsenz und Omnipotenz machen die Medien heute zu einem Machtfaktor von grosser suggestiver Kraft und mit weit reichenden Konsequenzen für die Demokratie.
Die Macht der Medien besteht in der totalen Durchdringung des politischen und gesellschaftlichen Lebens, in ihrer immensen Reichweite, verbunden mit der Möglichkeit, die Meinungsbildung der Öffentlichkeit entscheidend – und nicht selten manipulativ – zu beeinflussen.
Dabei steht in aller Regel weniger das Kriterium der sachlichen Relevanz im Vordergrund als das potentielle Publikumsinteresse. Ein politisches Projekt, und sei es noch so sinnvoll, ist ohne die Unterstützung der Medien heute chancenlos; mit den Medien im Rücken kann man die öffentliche Meinung auch in die gewünschten Bahnen lenken.
Heute bestimmen in erster Linie die Medien und nicht die vom Volk gewählten Repräsentanten, was auf die politische Traktandenliste kommt; und letztlich sind sie es auch, die darüber entscheiden, welche Fakten, Ereignisse und Probleme mit welchem Aufwand und in welcher Form zum öffentlichen Thema gemacht werden. Das Agenda-Setting ist fest in der Hand der Medien. Die Medien beherrschen uns – nicht wir sie!
Die Politiker brauchen die Medien als Plattform der Selbstdarstellung und Instrument zur Durchsetzung ihrer Interessen. Die Medien wiederum sind angewiesen auf die Classe politique für die immer stärker personalisierte Aufbereitung der politischen Themen.
Problematisch sind die Auswirkungen der Personalisierung der Politik aber nicht nur für den demokratischen Prozess, sondern auch für die politischen Akteure. Alles, auch das Intimste, wird heute an das grelle Licht der Öffentlichkeit gezerrt, der Respekt für die Privatsphäre der Protagonisten tendiert gegen Null. Je prominenter das Opfer, desto schamloser die mediale Ausbeutung. Wittern Journalisten irgendwo einen Skandal, wird – oft ohne seriöse Abklärung des Sachverhalts – gnadenlos auf die Person gespielt; mit Respekt können die Betroffenen nicht rechnen. Kein Wunder, dass gute Leute es sich heute zweimal überlegen, ob sie sich für ein politisches Amt zur Verfügung stellen wollen; der Verlust der Privatsphäre ist für viele denn doch ein zu hoher Preis. Aber mehrheitsfähig ist diese Haltung nicht. Und warum?
Das Fernsehen ist das Medium der Eitelkeit. Die meisten Repräsentanten der Politik spielen deshalb das Spiel mit, wohlwissend, dass ihre Karriere weniger von ihrem Leistungsausweis abhängt als von ihrer Medienpräsenz. Unbestritten ist: Die sogenannte Arena-Tauglichkeit ist für eine politische Laufbahn heute mindestens ebenso wichtig wie Unabhängigkeit, Kompetenz und gesunder Menschenverstand.
So verschafft die Abhängigkeit der politischen Nomenklatura von der Gunst der Medien diesen eine Machtposition, die ihnen nicht zukommt. Und vollends bedenklich wird es in einer Demokratie, wenn finanzkräftige Parteien oder Exponenten sich die Bühne zur Propagierung ihrer Ziele gleich selber einrichten können. Die Interdependenz, die gegenseitige Abhängigkeit von Medien und Politik, ist zu einer ernsthaften Bedrohung des demokratischen Entscheidungsprozesses geworden.
Der "Filz", das System der subtilen Beziehungskorruption, spielt aber auch noch auf einer anderen Ebene: Im Bundeshaus gibt es, ausserhalb des Parlaments, sehr enge Beziehungen zwischen Politik, Wirtschaft und Medien – Seilschaften mit grossem Einfluss. Hier werden Weichen gestellt, da wird Politik in der Dunkelkammer gemacht, jenseits aller Vorstellungen von Gewaltenteilung.
Die Machtverlagerung von der Politik hin zu den Medien ist eine Tatsache. Unser politisches System basiert formal zwar noch immer auf demokratischen Prinzipien und Strukturen. Faktisch aber wird es heute unterlaufen von ausserparlamentarischen, von wirtschaftlichen Zielen bestimmten Allianzen stets wechselnder Minderheiten. Und die Medien spielen dabei als Promotoren partikularer Interessen eine entscheidende Rolle.
Politische Entscheide sind käuflich geworden, und das Fernsehen ist der Bazar: Demokratie von Fall zu Fall, Demokratur statt Demokratie.
Exkurs 2
Macht und Verantwortung
"Power tends to corrupt and absolute power tends to corrupt absolutely."
(Lord Acton)
Verantwortung ist das unverzichtbare Korrelat der Macht. Nur demokratisch kontrollierte Macht, nur Ausübung von Macht im Interesse der Gemeinschaft ist demokratisch legitimierte Macht. Als kritisches Gewissen kommt den Medien dabei eine entscheidende Rolle zu. Demokratie und Freiheit sind nicht lebensfähig ohne die Gemeinwohl-orientierte Verantwortung der Medienschaffenden.
Die Balance von Macht und Veranwortung ist heute erheblich gestört - durch Systemzwänge, aber auch durch menschliche Schwächen der Verantwortungsträger.
Die Medien sind Teil unseres Wirtschaftssystems. Dieses System ist nicht un-moralisch, es ist a-moralisch – das heisst: es hat gar keine Moral, es kann sich eine Moral, um den Preis des wirtschaftlichen Erfolges, gar nicht leisten.
Ethisch verantworteter Journalismus ist in dieser Sichtweise ein De luxe-Produkt in wirtschaftlich guten Zeiten; rote Zahlen sind der Tod der Ethik. Arnold Künzli, der vor zwei Jahren gestorbene Professor für Philosophie der Politik an der Universität Basel, hat in diesem Zusammenhang einmal von der "strukturellen Verantwortungslosigkeit" des kapitalistischen Systems gesprochen. "Well roared, lion." Wobei im Interesse der historischen Gerechtigkeit zu ergänzen wäre, dass der Sozialismus auch in diesem Punkt keine Alternative ist.
[Ende Exkurs 2]
Wer Macht hat, braucht einen starken Charakter, um nicht ihrer Faszination zu erliegen. Das gilt für Politiker genauso wie für Medienschaffende.
Macht fördert Allmachts-Fantasien und Zynismus; Selbstüberschätzung ist die journalistische Berufskrankheit unserer Zeit. Zu vielen Journalisten liegt nichts ferner als der Zweifel an der eigenen Bedeutsamkeit.
Nicht wenige Journalisten sind heute auch charakterlich überfordert - durch die Antinomie zwischen Auftrag und Markt, zwischen der ethischen Verpflichtung der Wahrheits-Orientierung und der Unmöglichkeit, ihr in der Praxis gerecht zu werden.
Angesichts dieser unauflösbaren Dilemmata erstaunt es nicht, dass viele Journalisten einen Ausweg nur noch in der Flucht in ein PR-Büro sehen – in einen Job, der keinen moralischen Rigorismus verlangt und erst noch besser bezahlt ist.
Das aber führt im Demokratie-Kontext zu einem zusätzlichen Problem. Die Bundesverwaltung beschäftigt zurzeit rund 800 Personen (verteilt auf 260 Vollzeit-Stellen), die sich mit Öffentlichkeitsarbeit befassen – das sind weit mehr als Journalisten, die sich kritisch mit der Politik im Bundeshaus auseinandersetzen.
Und der Trend verstärkt sich laufend: PR wird aufgestockt, Journalisten werden wegrationalisiert.
Wie steht es denn aber mit der inhaltlichen Substanz des amtlichen Verlautbarungs-Journalismus?
Die Informationstätigkeit einer Verwaltungsstelle ist - genauso wie die von Verbänden und Lobbyisten - eine Form von PR in eigener Sache; sie hat mit Journalismus nichts zu tun. Sie ist Interessen-fokussierte Öffentlichkeitsarbeit zur Durchsetzung politischer oder wirtschaftlicher Ziele – kein Beitrag zur Wahrheitsfindung, schon eher ein manipulativer Versuch zur Entmündigung des Bürgers.
Jede Aussage eines Beamten wird heute intern weichgespült und muss von oben abgesegnet werden. Kritische Aussagen sind unerwünscht, die Meinungsäusserungsfreiheit der Beamten unterliegt starken Restriktionen – kurz: Zensur in Friedenszeiten.
Suizid aus Angst vor dem Tod?
Die Zeiten für Printmedien, vor allem für Tageszeitungen, sind hart. Teure Investitionen in neue Technologien, die Inflation von Gratis-"Zeitungen", vor allem aber der massive Einbruch der Inserate-Einnahmen haben die wirtschaftlichen Perspektiven der Verleger massiv verschlechtert.
Keine Strategie vermag die Tatsache aus der Welt zu schaffen, dass vor allem junge Menschen immer weniger bereit sind, für Zeitungen Geld auszugeben; stattdessen wandern sie scharenweise ins Internet ab. Von dieser Seite ist aber kein Druck zugunsten von mehr journalistischer Qualität zu erwarten – im Gegenteil. Wenn du dem Publikum tagtäglich gibst, was es angeblich will, wird es schliesslich das wollen, was du ihm gibst.
Entsprechend gross ist der Spardruck, und entsprechend brutal der Konzentrations- und Verdrängungsprozess. Die wirtschaftliche Situation schlägt dabei voll durch auf die Redaktionen. Journalisten werden, noch dazu nicht selten in rüdem Stil, entlassen; der Grundpfeiler seriöser journalistischer Arbeit, die Zeit für Recherchen, wird unterspült, die Substanz wirtschaftlichen "Notwendigkeiten" geopfert.
Der Output-Stress ist enorm, seriöse Arbeit kaum noch zu leisten – Sisyphus muss von Beruf Journalist gewesen sein.
Bald jeder schreibt vom anderen ab – Mehrfach-Verwertung nennt man das euphemistisch. Ein Beispiel: Während des Klimagipfels in Kopenhagen publizierten nicht weniger als 56 Zeitungen in 44 Ländern einen identischen Leitartikel. Da erübrigt sich jeder Kommentar. Tatsache ist: In den Redaktionsstuben diktiert heute die Hitliste der Beiträge im Netz die Selektion und Gewichtung der Themen. Das Resultat: die ermüdende Wiederkehr des Ewiggleichen, im besten Fall in unterschiedlicher Verpackung. Die journalistische Gleichschaltung hat ein bedenkliches Ausmass angenommen. Meinungsvielfalt? Da bleibt nur ein müdes Lächeln.
Die Not der Verleger ist allerdings zu einem grossen Teil hausgemacht, das Resultat einer falschen Prioritätensetzung.
Man kann nicht, wie vor kurzem der Tamedia-Konzern, einen satten Gewinn ausweisen, und gleichzeitig die redaktionellen Ressourcen im Hauruck-Verfahren bis an die Schmerzgrenze herunterfahren (allein im vergangenenn Jahr sind in der Schweiz nicht weniger als 500 Vollzeit-Stellen abgebaut worden!). Und man kann nicht über den Einbruch der Inserate- Einnahmen klagen, und gleichzeitig mit Gratis-Zeitungen eine Strategie der Selbstkonkurrenzierung verfolgen.
Diese Rechnung kann nie und nimmer aufgehen, das kommt mir vor wie ein Suizid aus Angst vor dem Tod.
Eines steht fest: Wenn die Tageszeitungen überleben sollen, ist die Ausdünnung der journalistischen Substanz die fragwürdigste aller Antworten auf die Krise.
II
Die Schweiz braucht eine neue Medienordnung
Unser Land kennt für Radio und Fernsehen ein so genanntes duales System: die primär Gebühren-finanzierte SRG mit einem politisch definierten Leistungsauftrag auf der einen Seite, die privatwirtschaftlich organisierte Konkurrenz auf der anderen.
Dieser Dualismus ist in Wirklichkeit ein Etikettenschwindel, ein System mit sehr ungleichen Rahmenbedingungen für die verschiedenen Akteure: Die SRG ist extrem privilegiert, die Konkurrenz – vor allem die des Fernsehens – muss unten durch. Von einem fairen publizistischen Wettbewerb kann keine Rede sein.
Diese vor dreissig Jahren etablierte Ordnung ist politisch fragwürdig und mitverantwortlich für die Nivellierung des Angebots und die Erosion der journalistischen Qualität. Kommt hinzu, dass mit dem Cyberspace heute neue Player im Spiel sind, welche die alte Ordnung radikal in Frage stellen. Und schliesslich: Die Zukunft der Tageszeitungen mit einem hohen qualitativen Anspruch ist ernsthaft gefährdet, auch wenn die Verleger das Problem herunterspielen.
Alles in allem: Das duale Mediensystem ist ein Anachronismus. Die Frage einer neuen Medienordnung ist deshalb ernsthaft zu prüfen.
Drei Problembereiche
• Der Einbezug des Internet • Die Begrenzung der Macht der SRG • Die staatliche Unterstützung qualitativ anspruchsvoller Tageszeitungen.
1. Der Einbezug des Internet Dieser Vorschlag beinhaltet eine ordnungspolitische Selbstverständlichkeit. Es geht darum, der wachsenden Bedeutung des Internet in der neuen Konfiguration der Medienwelt angemessen Rechnung zu tragen. Die Welt der Medien umfasst heute nicht mehr nur Printmedien, Radio und Fernsehen. Das Internet ist zum Konkurrenten und zur existenzbedrohenden Alternative der traditionellen Medien geworden.
Insbesondere das Problem der Internet-Kriminalität harrt dringend einer Lösung (wenn es denn überhaupt im nationalen Rahmen lösbar ist). Das schweizerische Computer-Strafrecht (Art.143 bis StGB) stammt aus einer Zeit (1995), als der Schutz des Zentralcomputers in Unternehmen im Vordergrund stand. Das ist aber längst nicht mehr das Hauptproblem. Heute geht es vordringlich um den Schutz der Privatsphäre, um die strafrechtliche Erfassung des "digitalen Hausfriedensbruchs".
2. Die Begrenzung der Macht der SRG Dieser Vorschlag wäre zwar gleichbedeutend mit einem Paradigmawechsel, im Rahmen einer vernünftigen Lösung aber innenpolitisch durchaus mehrheitsfähig.
Die SRG produziert zwar noch immer TV- und vor allem Radio-Sendungen, die auch in einem qualitativen Wettbewerb bestehen können. Übers Ganze gesehen ist die Bilanz jedoch enttäuschend. Das Grundproblem: Die SRG hat es nicht geschafft, Auftrags-Orientierung und Markt-Akzeptanz in ein vernünftiges Gleichgewicht zu bringen. Was letztlich für sie zählt, ist der Erfolg auf dem Markt. Viele Programme sind von denen privater Anbieter denn auch kaum noch zu unterscheiden.
Sicher braucht es auch in Zukunft eine starke SRG, aber einen Anspruch auf das Monopol für den Service public hat sie nicht. Die SRG soll weiterhin die Verantwortung für die nationale Grundversorgung mit TV- und Radioprogrammen in allen vier Sprachregionen wahrnehmen und eine integrative Aufgabe im Dienste der Idée suisse erfüllen. Aber wer sagt denn, dass sie auf allen strategischen Spielwiesen der unanfechtbare, weil privilegierte Leader sein muss?
Die SRG verfügt zurzeit über rund 1,15 Milliarden Gebühren-Einnahmen; dazu kommen rund 300 Millionen Ertrag aus Werbung und Sponsoring. Das ist viel Geld. Im Zeitalter des Internet und eines sich immer stärker ausdifferenzierenden Marktes ist es aber nicht mehr zu rechtfertigen, dieses Geld praktisch ausschliesslich dem nationalen Medien-Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Die SRG müsste vielmehr gezwungen werden, mit weniger Mitteln auszukommen und sich gleichzeitig stärker auf die Gebühren-legitimierenden Leistungen zu konzentrieren.
Es wäre mein Erachtens kein nationales Unglück, die SRG von ihrem hohen Sockel, auf dem sie sich so behaglich eingerichtet hat, herunterzuholen und medienpolitisch neu zu positionieren. Ein solcher Schritt wäre nicht nur gleichbedeutend mit der Eliminierung eines demokratischen Ärgernisses, sondern das Eingeständnis, dass auch andere Unternehmen mit anderen Angeboten einen substanziellen Beitrag für die Medienkultur unseres Landes leisten können. Ohne eine finanzielle Umverteilung der zur Verfügung stehenden Mittel haben diese aber keine Zukunft.
3. Die staatliche Unterstützung qualitativ anspruchsvoller Tageszeitungen Dieser Vorschlag ist insofern radikal, als er mit einer Tradition bricht. Seit es Tageszeitungen gibt, waren diese in der Schweiz immer in der Hand privater Verleger. Angesichts der aktuellen Krise, vor allem aber mit Blick auf die Zukunft scheint der Zeitpunkt jedoch gekommen zu sein, auch bis dato Undenkbares zu denken.
Natürlich stellt sich dabei für die Verleger das Problem der Unabhängigkeit. Aber vielleicht ist hier ein Blick auf die SRG hilfreich: Obwohl faktisch öffentlichrechtlich und damit in starkem Masse vom Staat abhängig, ist die Unabhängigkeit der SRG seit der Liberalisierung in den achtziger Jahren nie mehr grundsätzlich in Frage gestellt worden – im Gegenteil: In der konkreten Umsetzung des Programmauftrags ist die Autonomie der SRG praktisch uneingeschränkt. Die Angst der Verleger vor staatlicher Bevormundung ist deshalb unbegründet, der Hinweis auf die angebliche Systemwidrigkeit der Idee ein Abwehrreflex, kein Argument.
Und schliesslich: Warum soll eine direkte staatliche Unterstützung von Tageszeitungen des Teufels sein? Warum soll beim Kulturgut Tageszeitung unmöglich sein, was bei Musik und Theater selbstverständlich ist?
Umso unverständlicher, dass die Verleger sich in dieser Frage taub stellen: "Es gibt keine Krise, wir haben kein Problem" liess Präsident Lebrument am Jahreskongress vor ein paar Wochen verlauten. Die Krise sei vorbei, "weil wir die Kosten senken konnten". Ehrlicher wäre es gewesen, zu sagen: ... weil man sich auf Kosten der journalistischen Ressourcen bei den Tageszeitungen "saniert" hat.
Hinter dieser zynischen Haltung verbirgt sich ein grundsätzliches Problem: Es fehlt heute an Verleger-Persönlichkeiten, die sich ihrer Verantwortung für die demokratische Meinungsbildung bewusst sind und deshalb nicht einseitig in den Kategorien von Macht und Rendite denken. Ein Verleger aber, der sich mit verengter Optik auf die profitträchtigen Segmente seines Portfolios konzentriert, ist nichts anderes als ein ganz profaner Geschäftsmann. Den Schaden hat letztlich die Meinungsvielfalt und damit die Demokratie
Ohne finanzielle Umverteilung kein echter Pluralismus
Die Versorgung mit Tageszeitungen, Radio, Fernsehen und Internet gehört zur Infrastruktur einer offenen, demokratisch verfassten Gesellschaft. Kritischer, unabhängiger Journalismus ist der Sauerstoff, ohne den eine Demokratie nicht lebensfähig ist.
Ohne qualitativ anspruchsvolle Tageszeitungen ist eine demokratische Medienordnung nicht vorstellbar. Mittelfristig kann ihre Zukunft ohne direkte staatliche Unterstützung aber nicht gesichert werden. Mit kosmetischen Retuschen (Entlastung von der Mehrwertsteuer oder Erleichterungen bei der Distribution) ist das Problem nicht zu lösen. Tageszeitungen mit einem hohen qualitativen Anspruch sind deshalb in den Kreis der Gebühren-Empfänger aufzunehmen.
Guter Journalismus kostet. Um publizistische Leistungen im Sinne des Service public zu finanzieren, braucht es deshalb auch in Zukunft Gebühren. Am sinnvollsten wäre dabei wohl eine pauschale Infrastruktur-Steuer für die Nutzung der Medien-Angebote. Der materielle Geltungsbereich des Verteilschlüssels müsste aber weiter gefasst und die quantitative Zuteilung der Gebühren-Tranchen neu definiert werden.
Die Medienentwicklung bedroht die Demokratie in ihrem Kern. Wenn wir verhindern wollen, dass die Demokratie irreparabel Schaden nimmt, gehört die Frage einer neuen Medienordnung, die den veränderten Rahmenbedingungen und den Herausforderungen der Zukunft Rechnung trägt, mit hoher Dringlichkeit auf die politische Traktandenliste.
Andreas Blum Feldackerweg 10 3067 Boll