15 Monate lang recherchierten Reporter des britischen Guardian und der BBC, nachdem sie in den Millionen von Wikileaks verbreiteten Dokumenten seltsame Hinweise auf Befehle gefunden hatten, wonach amerikanische Soldaten Folter ignorieren sollten. Sie fanden heraus, dass Abu Ghraib kein Einzelfall, sondern eher die Regel war.
Man erinnere sich: 2004, ein Jahr nach der amerikanischen Invasion in Irak, nach der Auflösung der Baath-Partei, der Armee und Polizei des besiegten Diktators Saddam Hussein, drohte Irak in einem Sunni-Aufstand zu versinken. Wieder einmal sahen sich US-Truppen in einem Land, von dem sie wenig wussten, einem Guerillakrieg gegenüber, in dem sie jeden Monat fünfzig Mann verloren.
Immer wieder dieselben Namen
Um die Situation zu retten, schickte die US-Regierung einen ihrer Spezialisten für solche Fälle, Oberst James Steele. Es sind immer dieselben Namen, die seit dreissig, vierzig Jahren auftauchen: Generäle, Oberste oder Diplomaten wie Vernon Walters, Thomas O. Enders (nicht zu verwechseln mit dem deutschen Wirtschaftsmanager gleichen Namens), John Singlaub, Richard Secord, Oliver North und andere. In der Schattenwelt von Militärs, Söldnern, Waffen- und Drogenhändlern fand man sie zunächst in Vietnam, Laos und Kambodscha. Kaum ein halbes Dutzend Jahre später tauchten sie in El Salvador, Nicaragua und Panama auf. Dort gesellten sich neue Namen hinzu wie Elliott Abrams oder Otto Reich, die nach dem Ende der mittelamerikanischen Konflikte in den Irak- und Afghanistankriegen oder im Iran neue Tätigkeitsfelder fanden.
Das Ganze «wird nicht umsonst ‚schmutziger Krieg‘ genannt», meinte Todd Greentree, der sich nicht überrascht zeigte von Steeles Berufung nach Bagdad. Es seien immer wieder «dieselben Individuen, die mit dieser Art Krieg in Verbindung gebracht werden und immer wieder in verschiedenen Konflikten auftauchen.» Greentree war in den achtziger Jahren in El Salvador bekannt geworden, als er das «Massaker von El Mozote» untersuchen sollte, in dem die salvadorianische Armee 800 Bauern, Frauen und Kinder ermordet hatte. Zwar war Greentree zu jener Zeit noch ein junger, unerfahrener Diplomat. Er hatte aber schon gelernt, dass von ihm ein Bericht erwartet wurde, der auch von Leuten akzeptiert werden konnte, «deren Prioritäten definitiv nicht notwendigerweise darin lagen, zu erfahren, was genau geschehen war.»
Auch Oberst James Steele, der nun den Irak retten sollte, hatte sich schon bei früheren Einsätzen bewährt. Dreissig Jahre vor George Bushs Irak-Invasion hatte er eine Einheit der Special Forces angeführt, die in El Salvador Truppen ausbildete, beriet und gelegentlich auch bei ihren Einsätzen gegen die linke Guerilla begleitete.
In jenem zehn Jahre währenden Bürgerkrieg, der eine Million der damals fünf Millionen Einwohner des Landes zu Flüchtlingen machte, waren El Salvadors Streit- und Sicherheitskräfte berüchtigt für ihre willkürlichen, aussergerichtlichen Tötungen und ihre Unterstützung blutrünstiger Todesschwadronen. Über drei Viertel der 90’000 Menschen, die in jenem Krieg starben, waren nicht Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen, sondern Opfer der Todesschwadronen. In seiner Biographie behauptete Steele später, in El Salvador «die beste Anti-Guerillatruppe trainiert» zu haben.
Ein in höchsten Kreisen geschätzter Mann
1986 lernte Steele in El Salvador auch jenen Mann kennen, der einmal die US-Streitkräfte in Irak kommandieren sollte: David Petraeus. Während Major Petraeus Karriere machte, versorgte der Hubschrauberpilot Steele gemeinsam mit anderen Militärberatern die sogenannten Contras, die die regierenden Sandinisten in Nicaragua bekämpften, Ende der achtziger Jahre mit Waffen und Munition. Die Enthüllungen über diese illegale Operation, die als «Iran-Contra-Affäre» in die Geschichte einging, beendeten zwar Steeles weiteren Aufstieg in der Militärhierarchie, brachten ihm aber die Bewunderung eines Kongressabgeordneten, nämlich Dick Cheney, ein.
1989 war Cheney als Verteidigungsminister zuständig für die US-Invasion in Panama und holte Steele aus der Verbannung. Er beauftragte ihn, eine neue Polizei in Panama aufzubauen. Und nur kurze Zeit nach der US-Invasion in Irak im März 2003 war Oberst Steele wieder vor Ort und schickte «als einer der wichtigsten Berater des Weissen Hauses in Bagdad seine Berichte an (Verteidigungsminister Donald) Rumsfeld», wie der Guardian nun berichtet. «Rumsfeld schätzte seine Memos so sehr, dass er sie an (Präsident) George Bush und (Vizepräsident) Cheney weiterleitete.»
Zurückhaltender äusserte sich ein alter Bekannter Steeles aus mittelamerikanischen Tagen, Celerino Castillo von der US-Drug Enforcement Administration: «Als ich erstmals davon hörte, dass Oberst Steele nach Irak ginge (…), war ich erschüttert, weil ich aus El Salvador wusste, welche Gräuel sich nun in Irak zutragen würden.»
«Klassische Aufstandsbekämpfung»
Im Juni 2004 übernahm General Petraeus das Kommando über die US-Truppen in Irak mit dem Auftrag, eine neue Polizei aufzubauen, wobei das Schwergewicht bei der Ausbildung zur Aufstandsbekämpfung zu legen sei. Den Auftrag erhielt Steele zusammen mit einem Oberst Coffman. Zu Beginn hatten die USA die Aufnahme von Mitgliedern der gewalttätigen Shia-Milizen (Badr-Brigade, Mahdi-Armee) in die neu gegründeten Special Police Commandos untersagt, doch schnell wurde dieses Verbot nicht nur aufgehoben. «Ein Vorschlag aus dem Pentagon war, irakische Schwadronen, am besten kurdische Peshmerga-Kämpfer und shiitische Milizionäre, gegen sunnitische Aufständische einzusetzen und deren Sympathisanten bis nach Syrien zu verfolgen», berichtete Newsweek.
Nun strömten die Shia-Kämpfer in Scharen aus dem ganzen Land nach Bagdad, um der Polizei beizutreten und Rache an den Sunnis für deren langjährige Unterstützung Saddam Husseins zu nehmen. «Petraeus und Steele liessen diese lokale Streitmacht sowohl gegen die Aufständischen als auch gegen die Sunni-Bevölkerung, und gegen jeden, der ihnen zufällig begegnete, von der Leine», schrieb der Guardian. «Es war klassische Aufstandsbekämpfung.»
Schon ein Jahr später berichtete die renommierte Journalistin Loretta Napoleoni vom Club de Madrid in ihrem Buch «Insurgent Iraq» von der «Salvadoran Option, die ihren Ursprung in der Operation Phoenix in Vietnam hat, wo Tausende der Kollaboration mit den Vietcong Beschuldigte und Verdächtige ermordet wurden.» Der religiös-sektiererische Konflikt eskalierte mit katastrophalen Folgen für den Irak. Auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs wurden monatlich 3000 Opfer in Irak gezählt – die meisten unschuldige Zivilisten.
«Das war wie bei der Gestapo»
Die Polizeikommandos richteten zahlreiche Haftzentren ein, in denen sie mit «brutalsten Methoden die Inhaftierten zum Reden brachten», wie der Guardian erfuhr. Und die US-Führung wusste Bescheid. «Wir assen zu Mittag, Oberst Steele, Oberst Coffman, und durch die geöffnete Tür sahen wir, wie Oberst Jabr einen Gefangenen folterte», erzählte Muntadher al Samari, ein ehemaliger General, der vor Saddam Hussein geflohen war und den Besatzungstruppen nun half, die Polizei neu aufzubauen. «Er (das Opfer) war an den Füssen aufgehängt, und Steele erhob sich einfach und schloss die Tür. Er sagte nichts, es war die normalste Sache der Welt für ihn.»
Die Special Police Commandos hätten 13 oder 14 Gefängnisse in Bagdad benutzt. «Sie waren geheim, aber die amerikanischen Top-Kommandeure und die irakische Führung wussten darüber Bescheid, was dort geschah: Die schlimmste Art der Folter, die ich je gesehen habe.» Inzwischen ist al Samari zum zweiten Mal in seinem Leben geflohen.
«Das war wie bei der Gestapo», zitieren Guardian und BBC einen amerikanischen Soldaten. «Sie (die Kommandos) folterten praktisch jeden, von dem sie dachten, er wisse etwas über die Gegenseite.»
Der General will von nichts wissen
«Wenn jemand verhaftet und dem Special Police Commando übergeben wurde, dann wurde er an den Eiern aufgehängt, mit Elektroschocks bearbeitet, oder sie verprügelten ihn oder vergewaltigten ihn, indem sie ihm eine Cola-Flasche in den Arsch schoben oder sonst etwas Ähnliches», berichtete ein anderer US-Soldat, der heute in Detroit arabische Flüchtlinge Englisch lehrt. «Ich nehme an, das ist meine Art, tut mir leid, zu sagen.»
Auf eine Anfrage bei General Petraeus erhielten die Guardian/BBC-Journalisten die zu erwartende Antwort. «General Petraeus‘ Anweisungen an seine Soldaten (…) spiegeln seine klar ablehnende Haltung zur Folter wider (…). Oberst Steele war einer von Tausenden von Beratern irakischer Einheiten. Oberst Steele und General Petraeus haben sich ein paar Mal zu Beginn des Aufbaus der Special Police getroffen.»
Dem widersprach der New York Times-Korrespondent Peter Maass: «Ich habe mit beiden gesprochen, und es war klar, dass sie sich sehr nahe standen. Jedermann wusste, er (Steele) war Petraeus’ Mann.» Maass und sein Photograph Gilles Peress interviewten Steele sogar einmal in einem Haftzentrum in Samara. Dort hatte Peress «Gefangene die ganze Nacht schreien» gehört.
Steele hatte die beiden sogar zu einem Interview mit einem «Saudi Jihadi» (der einen heiligen Krieg führt) gebracht. Sie wurden in einen Raum geführt. «Ich schau mich um, und da ist überall Blut», erzählte Peress. Während sie den Saudi im Beisein Steeles interviewten, «hörten wir diese schrecklichen Schreie, Schreie aus Schmerz und Horror.»