Barbara Walters war in den 1970er-Jahren die erste Frau, die am amerikanischen Fernsehen Abendnachrichten moderierte. Später profilierte sie sich als Interviewerin prominenter Zeitgenossen. Jetzt ist die populäre Fernsehfrau im Alter von 93 Jahren gestorben.
«Ich hätte nie gedacht, dass ich ein solches Leben führen würde», sagte Barbara Walters 2004 in einem Interview mit der «Tribune» in Chicago: «Ich habe jeden in der Welt getroffen. Ich habe wahrscheinlich mehr Leute, mehr Staatsoberhäupter, wichtigere Leute als jeden (US-)Präsident getroffen, weil die nur acht Jahre lang regieren.»
Die Liste ihrer Interviewpartner ist in der Tat eindrücklich: Shah Reza Pahlavi, Fidel Castro, Bashar al-Assad, Muammar Gaddafi, Saddam Hussein, Anwar Sadat, Menachem Begin, Yassir Arafat, Margaret Thatcher, Boris Jelzin, Wladimir Putin und alle amerikanischen Präsidenten und First Ladies ihrer Zeit, von Richard M. Nixon bis zu Donald Trump. Jimmy Carter fragte sie 1976 nach der Präsidentenwahl, ob er und seine Frau Rosalyn in getrennten Betten schlafen würden. Carter verneinte.
Donald Trump befragte sie 1990, als er noch Immobilienunternehmer war, zum Stand seiner Finanzen, und widersprach seiner Einschätzung, äusserst erfolgreich zu sein. Er habe, gemäss allem, was sie wisse, drei Milliarden Dollar Schulden. Sie habe mit mehreren seinen Bankern gesprochen. Trump wechselte umgehend das Thema und sprach von der "unehrlichen" Presse und prophezeite eine ökonomische Apokalypse, die allerdings nie eintrat.
Putin befragt
Kaum jemand Prominenter oder Wichtiger wagte es, die Einladung zu einem Interview mit ihr auszuschlagen. Doch in ihren Memoiren, die 2008 unter dem Titel «Audition» erschienen sind, äussert Barbara Walters Bedauern, dass es ihr nicht gelang, Jacqueline Kennedy Onassis und Prinzessin Diana nach ihrer Trennung von Prinz Charles für ein Gespräch zu gewinnen. Kennedy Onassis wollte nicht vor die Kamera, Lady Di gab ihr erstes Interview der BBC.
Obwohl Walters gelegentlich dafür kritisiert wurde, ihren Interviewpartnern gegenüber zu nett zu sein oder zu seichte Fragen zu stellen, war ein Gespräch mit ihr nicht ohne Risiko. «Ich fragte Jelzin, ob er zu viel trinke, und ich fragte Putin, ob er jemanden getötet habe», erinnerte sie sich. Beide hätten mit «Nein» geantwortet. Muammar Gaddafi liess sie wissen, dass es leute gebe, die ihn für verrückt hielten.
Fragerin ohne Furcht
«Sie lassen keinen Dissens zu», sagte sie 1977 in einem Gespräch mit Fidel Castro, den sie zuvor zwei Jahre lang umworben hatte: «Ihre Zeitungen, Radio, Fernsehen, Filme sind unter der Kontrolle des Staates.» Castro antwortete: «Barbara, unsere Vorstellung von Pressefreiheit ist nicht die ihre.» Sie habe in Interviews keine Angst, verriet die Fernsehfrau 2008 der Nachrichtenagentur AP: «Furcht kenne ich keine.»
1998 interviewte Barbara Walters während des Amtsenthebungsverfahrens gegen Bill Clinton Monica Lewinsky, die als Praktikantin mit dem Präsidenten im Weissen Haus eine Affäre gehabt hatte. Es war Lewinskys erstes Interview und sie sagte, die Affäre sei das erste Mal, dass sie in ernsthafte Schwierigkeiten geraten sei: «Ich war im Grunde ein braves Kind, kriegte gute Noten, habe keine Drogen konsumiert, habe nie einen Ladendiebstahl begangen.» Barbara Walters Reaktion: «Monica, nächstes Mal stiehl was.»
Ein Rekord-Salär
Auf die Frage, was sie dereinst ihren Kindern über den Skandal erzählen werde, falls sie welche habe, antwortete Lewinsky: «Mommy hat einen schweren Fehler begangen.» Walters drehte sich zur Kamera und sagte: «Und das ist die Untertreibung des Jahres.» Solche Kommentare waren typisch für Walters’ trockenen und intimen Interviewstil. Nicht weniger als 70 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner sassen vor dem Fernseher, um auf ABC das Lewinsky-Interview zu schauen.
Nach Zwischenstopps bei CBS und NBC hatte Barbara Walters 1996 zu ABC gewechselt, damals noch die schwächste der drei grossen amerikanischen Fernsehgesellschaften. Doch ABC bot ihr mehr Aufstiegsmöglichkeiten und die nutzte sie. Sie wurde Co-Moderation der Abendnachrichten und das für ein damals noch nie dagewesenes Salär von einer Million Dollar.
Der Neid der Konkurrenz
Der Job bei ABC trug Walters den Übernahmen «million dollar baby» sowie den Neid männlicher Konkurrenten bei den anderen Sendern ein, die weniger verdienten, aber umgehend Lohnerhöhungen forderten und auch erhielten. Es war in Amerika der Zeitpunkt, an dem Fernsehmoderatoren nationaler Sender zu Berühmtheiten mutierten, was zwar ihren Bankkonten nützte, dem Ruf des seriösen Fernsehjournalismus aber schadete. Barbara Walters war der Katalysator, der diese Reaktion auslöste.
1977 Jahr war Walters eine von vier Medienschaffenden, die Präsident Anwar Sadat auf seinem historischen Flug nach Jerusalem begleiten durfte, wo der Ägypter Israels Ministerpräsidenten Menachem Begin traf. Während des Fluges scherzte Sadat über ihr hohes Salär und meinte, er würde lediglich 12’000 Dollar im Jahr verdienen. «Sie haben dafür allerlei Nebenleistungen, wie zum Beispiel Paläste», antwortete Walters.
Prominente Kritiker
Als erfolgreiche Fernsehjournalistin blieb Barbara Walters allerdings nicht nur ihres Salärs wegen in der Kritik. Ihr wurde mitunter vorgeworfen, sie würde als attraktive Frau Nachrichtenjournalismus und Show Business vermischen und versuchen, ihre Interviewpartner zu Tränen zu rühren. Was ihr 1991 zum Beispiel im Fall von Norman H. Schwarzkopf, dem Kommandanten der alliierten Kräfte im Golfkrieg, auch gelang, als sie den General auf seinen Vater ansprach.
Einer ihrer prominentesten Kritiker war Walter Cronkite, der legendäre Fernsehmoderator von CBS, den sie unter anderem verärgerte, weil es ihr gelungen war, vor ihm ein Interview mit Anwar Sadat und Menachem Begin zu ergattern. Der Kulturhistoriker Neil Gabler mäkelte 1986, Walters habe «die Mauer niedergerissen, die Nachrichten von Unterhaltung, das Seriöse vom Frivolen trennt».
Wegbereiterin für Frauen
Eine andere CBS-Legende, Moderator und Reporter Dan Rather, hat sich jedoch nach Barbara Walters Tod positiv über sie geäussert. Sie habe, sagte er, «ihre Konkurrentinnen und Konkurrenten schlicht mit mehr Arbeit, mehr Denkaufwand und mehr Einsatz abgehängt: «Die Welt des Journalismus hat einen Pfeiler der Professionalität, des Muts und der Integrität verloren.» Auch die landesweit beliebte Fernsehfrau Oprah Winfrey hat nur Lob für ihre Kollegin übrig: «Ohne Barbara Walters gäbe es mich nicht – oder irgendeine andere Frau, die am Morgen, am Abend und in den Tagesnachrichten am Bildschirm zu sehen ist. Sie war in der Tat eine Wegbereiterin.»
Ausdruck ihrer Popularität war auch der Umstand, dass sie in der samstäglichen Satiresendung «Saturday Night Life» (SNL) des Fernsehsenders NBC wiederholt als «Baba Wawa» parodiert wurde. Dies verdankte sie dem Umstand, Probleme zu haben, ihre Rs und Ls korrekt auszusprechen. Die Parodien ärgerten sie anfänglich, aber mit der Zeit lernte sie, mit ihnen zu leben. 2014 trat sie sogar selbst in der Sendung auf und erklärte, es sei für sie stets eine Ehre gewesen, «ihre bahnbrechende Karriere im Journalismus auf einen Cartoon-Charakter mit einer lächerlichen Stimme reduziert zu sehen».
Als Sekretärin begonnen
Auch Barbara Walters Privatleben und Karriere wären Stoff für spannende Interviews gewesen. Sie kam 1929 in Boston als Tochter eines mässig erfolgreichen Nachtklubbetreibers zur Welt, durchlief Privatschulen in New York und öffentliche Schulen in Miami, studierte Englisch am Sarah Lawrence College und begann bei einer PR-Firma als Sekretärin zu arbeiten. «Weil mein Vater im Show-Business war und weil es da Aufs und Abs gab, habe ich stets gewusst, dass ich arbeiten musste, um für mich sorgen zu können», sagte sie 1989 in einem Interview mit der Television Academy of Arts and Sciences.
Von der PR-Firma führte sie der Weg über CBS zu NBC, wo sie für die «Today»-Show journalistisch zu arbeiten begann und 1962 über Jacqueline Kennedys Reise nach Indien und Pakistan berichtete, bevor sie zwei Jahre später eine Vollzeitstelle erhielt und Co-Gastgeberin der Morgenshow wurde. 1976 wechselte sie zu ABC. Der Rest ist Fernsehgeschichte.
Ein bewegtes Privatleben
In ihren Memoiren erinnert sich Barbara Walters an ihre schwiege Kindheit, den Verlust der Jungfräulichkeit, drei gescheiterte Ehen, mehrere Affären mit prominenten Männern und den Kummer wegen Drogenproblemen ihrer Tochter. Unter anderen war sie mit prominenten Republikanern wie Henry Kissinger oder Roy Cohn, einem Mentor Donald Trumps, befreundet sowie zeitweise mit Ökonom Alan Greenspan und den Senatoren John Warner und Edward Brooke liiert. Wie andere Prominente versuchte sie stets, ihr Alter als gut gehütetes Geheimnis zu bewahren.
Am Ende ihrer Karriere musste Barbara Walters schmerzlich erfahren, dass ein Trend, den sie einst hatte lancieren helfen, sie selbst überholte: der Trend zu zwar Quoten generierenden, aber nicht immer relevanten Gesprächspartnern. Wenige Tage vor ihrem Abgang bei der «Sendung «20/20» offerierte das Weisse Haus ABC ein Interview mit Präsident George W. Bush. Doch der Sender lehnte dankend ab und zog es vor, ein Interview mit einer Lehrerin auszustrahlen, die mit einem ihrer minderjährigen Schüler Sex gehabt hatte. Bei ihrem Abschied vom Bildschirm 2014 bedauerte sie den Umstand, dass sich die meisten Amerikanerinnen und Amerikaner kaum für Aussenpolitik oder ausländische Staatsoberhäupter interessieren würden: "Wir sind so auf Berühmtheiten fixiert, und ich wollte solche Geschichten einfach nicht mehr machen.
Eine echte Legende
Barbara Walters war sich schliesslich auch bewusst, dass sie wiederholt zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen war. «In diesen Zeiten der Internet-News, der Mobiltelefone, die Videos machen und einer Flut von Blogs, wo jeder ein Reporter ist, bleibt nur noch eine kleine Chance für eine einzelne Person, eine Karriere zu haben, wie ich sie gemacht habe», schrieb sie in ihren Memoiren. Und was twitterte Robert A. Iger, CEO der Walt Disney Company, der ABC News gehört, nach ihrem Tod in New York: «Ms. Walters war eine echte Legende, eine Pionierin nicht nur für Frauen im Journalismus, sondern für den Journalismus selbst.»
Quellen: New York Times, Washington Post, Guardian, Vanity Fair, Rolling Stone, Agenturen