Die Finanzkrise 2008 wurde ergänzt durch eine Krise des Rechtsstaates, und zurzeit erleben wir, wie sich die Finanzkrise 2011 in eine Krise der Demokratie verwandelt. Nicht mit Krieg, aber mit finanziellen Waffen wurde der inzwischen zurückgetretene griechische Ministerpräsident dazu gezwungen, eine bereits von ihm und seinem Kabinett beschlossene Volksabstimmung wieder abzublasen. Statt dessen verlangten Angela Merkel und Nicolas Sarkozy von Giorgos Papandreou, das beabsichtigte Referendum über den Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone durchzuführen.
Ein ungeheuerlicher Vorgang, der in der europäischen Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg seinesgleichen sucht. Es wäre aber viel zu kurz gegriffen, die Ursache des Übels an Personen festzumachen. Ein Papandreou, ein Berlusconi, ein Sarkozy, ein Barroso, ein Juncker, eine Merkel, das ist ja nur das übliche Sammelsurium von mehr oder minder begabten Politikern. Galionsfiguren eines politischen Systems, das seit mindestens zehn Jahren dysfunktional geworden ist.
Gewinne heute, zahle nie
Indem die meisten Regierungen der industrialisierten Staaten der verbrecherischen Niedrigzinspolitik eines Alan Greenspan folgten, zog völlige Verantwortungslosigkeit ein. Stelle Geld im Milliardenmultipack her, mache Geld zu einer gratis erhältlichen Ware, lasse die Staatsschulden explodieren und gewinne die nächsten Wahlen.
Und hoffe darauf, dass der Kassensturz erst dann erfolgt, wenn du schon längst deine Memoiren geschrieben hast. Erkläre deine Politik für alternativlos und sorge mit jeglicher demokratischen Kontrolle entzogenen Dunkelkammern, ausserhalb jedes Einflussbereichs der Bevölkerung, des Nationalparlaments oder gar einer nationalen Regierung operierenden Fazilitäten, Mechanismen und anderen monströsen Erfindungen dafür, dass niemand mehr den Durchblick hat. Am allerwenigsten die Regierenden selbst, wie sich an der jämmerlichen Veranstaltung namens Gipfeltreffen G-20 mal wieder in aller Klarheit gezeigt hat.Erinnert sich ein paar Tage danach noch jemand an irgendeinen Beschluss? Richtig, muss man nicht.
Dunkle Wolken
Angela Merkel, die ungewollt gelegentlich die richtigen Sätze findet, sprach im deutschen Bundestag, als mal wieder ein endgültiges Rettungspaket durchgepeitscht wurde, das bereits vier Tage später in den Papierkorb geschmissen werden konnte, davon, dass es nicht selbstverständlich sei, dass in Europa weiterhin Frieden herrschen werde. Richtig, denn der Zahltag rückt näher.
Griechenland wird einem als Vorgeplänkel vorkommen, wenn Italien, Spanien, Frankreich und wer weiss, auch Deutschland, erleben müssen, dass die in Form von direkten Schulden und uneinlösbaren Sozialversprechen angehäuften Verpflichtungen den Staat als Ordnungsmacht zusammenbrechen lassen. Man kann sich mit immer neuen Schulden Zeit kaufen und auf ein Wunder hoffen. Das macht die Vorhersage des genauen Zeitpunkts der Katastrophe schwierig. Aber wer heute nicht in den letzten Zügen liegt, wird sie noch erleben.
Adieu, Legitimität
Das Verhältnis zwischen Herrschenden und Beherrschten ist immer spannungsgeladen. Umso mehr Betroffene zu Beteiligten gemacht werden, umso weniger Sprengstoff steckt darin. Umso mehr Legitimität haben die Herrschenden. In Finanzkreisen kursierte in den letzten Tag der zynische Scherz: Am besten wäre es für Griechenland, wenn sich wieder eine Militärjunta an die Macht putschte – denn eine Diktatur kann nicht Mitglied der EU sein.
Aber der Gedanke ist nicht zu Ende geführt: In Griechenland hat längst eine Junta namens «Troika» die Macht übernommen, und was wir erlebten, war der verzweifelte Versuch des Regierungschefs, dem politischen System wieder Legitimität zurückzugeben. Ob er das aus machtpolitischem Kalkül oder aus ehrlicher Sorge um das Funktionieren der griechischen Demokratie tat, spielt keine Rolle. Er ist damit gescheitert. Seine Nachfolger versprechen brav Gehorsam gegenüber dem Diktat der «Troika», die das Land weiter in den Abgrund führen wird.
Griff in die Kassen
Inzwischen denken die Euro-Politiker bereits darüber nach, in die Kassen ihrer ja noch immer existierenden Nationalbanken zu greifen. Denn die verfügen über Gold- und Devisenreserven und dazu auch noch über sogenannte Sonderziehungsrechte, eine Art Kunstgeld für den Notfall. Nachdem bereits die theoretisch unabhängige Europäische Zentralbank (EZB) auf politischen Druck hin selber Staatsschuldpapiere aufkaufte, ein Sündenfall, sollen nun auch noch die einzelnen Nationalbanken, ebenfalls theoretisch unabhängig, dazu gezwungen werden, das letzte Tafelsilber herauszurücken.
Normalerweise wird in einer funktionierenden Demokratie ein solcher Amoklauf von Entscheidungsträgern durch den Stimmbürger gestoppt. Aber nicht in der alle Mitbestimmungsrechte ausgehebelt habenden Eurokratie. Was Griechenland passiert ist, war ja nur ein Vorgeplänkel.
Italien, Spanien und dann?
Der nächste Kandidat für eine «Troika» ist Italien, das über einen abgehalfterten Regierungschef und das Problem verfügt, dass es für 10-jährige Staatsanleihen bereits über 6,5 Prozent Zinsen zahlen muss, ein klares Alarmsignal. Nächster in der Reihe ist Spanien, und von Portugal redet im Moment nur deswegen niemand, weil das Land zwar ähnlich pleite wie Griechenland ist, wirtschaftlich aber ebenso unbedeutend.
Dass bis heute kein Konzept vorgelegt wurde, wie der Finanz- und Schuldenkrise begegnet werden könnte, ist ja nur das eine. Noch dramatischer ist, dass Staat um Staat die Demokratie vor die Hunde geht. Denn die neu installierte «Troika» hat ja nicht die geringste demokratische Legitimation.
Die Troika
Der Name für das Trio infernale, das anstelle von gewählten Regierungen die Macht übernimmt, stammt aus dem Russischen und bedeutet Dreigespann. Soweit für je einen Vertreter von IWF, EU-Kommission und EZB nicht schlecht gewählt. Vielleicht haben die Eurokraten aber übersehen, dass das Wort Troika traurige Berühmtheit erlangte als Bezeichnung für aus drei Personen zusammengesetzte Sondergerichte der stalinistischen Geheimpolizei NKWD. Nomen est omen, kann man da nur sagen.