Nach Jahrzehnten aus dem Ausland auf vielen Kontinenten zurück in der Schweiz, sah sich Ihr Korrespondent in einem kaum zu erkennenden Land wieder. Die Schweiz, so die Mainstream-Medien und vor allem die (a)sozialen Medien im permanenten News-Rauschen, sei voller Rassismus. Reduziert wird das ganze auf Weiss gegen Schwarz. Wenn es nur so einfach wäre.
Dunkel der Geschichte
Mit wohlfeilen Schlagzeilen jedoch lässt sich Aufmerksamkeit und politisches Kapital schlagen, zumal dann, wenn Fakten zwar nicht gefälscht, aber einseitig zurechtgebogen werden. Gewiss haben im Zeitalter des Kolonialismus und Imperialismus auch Schweizer am internationalen Sklavenhandel mitverdient. Aber müssen deswegen die Statuen Eschers in Zürich oder de Purys in Neuenburg vom Sockel geholt werden? Sie müssten als permanenter Geschichtsunterricht eher bleiben. Verwundert liest man in Zeitungen, Zeitschriften oder in Verlautbarungen – vor allem junger linker Politiker – dass jetzt endlich, endlich Licht in das wohl absichtlich verheimlichte Dunkel der Geschichte gebracht wird.
Sklavenhandel
Nun denn, als alter weisser Mann ist Ihr Korrespondent bereits in der ersten Hälfte der 1950er Jahr im Geschichtsunterricht ausführlich über den transatlantischen Sklavenhandel und dessen wirtschaftliche Hintergründe unterrichtet worden. Millionen von Sklaven, so war damals in der Schule zu erfahren, wurden unter unmenschlichen Bedingungen nach Nord- und Südamerika verschifft, um dort auf den Zuckerrohr- und Baumwoll-Plantagen der Weissen gnadenlos ausgebeutet zu werden. Das von den Plantage-Besitzern mit Sklavenarbeit erzielte Kapital war unter anderem Teil der materiellen Grundlage für die Industrielle Revolution. Der Sklavenhandel jedoch, auch das war damals Teil des Geschichtsunterrichts, hatte noch andere dunkle Seiten.
Schwarze verkaufen Schwarze
Die schwarzen Sklaven nämlich wurden nicht nur den Europäern, sondern auch den Arabern verkauft. Davon redet heute niemand mehr. Auch davon nicht, dass ein grosser Teil der Sklaven von sich bekämpfenden afrikanischen Stämmen den Europäern und Arabern verkauft worden ist. «Black Lives Matter» freilich hat in Afrika nichts ausgelöst. Auch der Völkermord in Ruanda von 1994, als Hutus 800’000 Tutsis abschlachteten, muss wohl im Zusammenhang mit den Anti-Rassismus-Demonstrationen kurz erwähnt werden. Was die jüngeren Generationen im Geschichtsunterricht lernen, ist Ihrem Korrespondenten nicht bekannt. Doch neu, wie jetzt behauptet, sind die Erkenntnisse über die Sklavenwirtschaft und die Schweizer Beteiligung keineswegs.
Columbus
Denkmäler schleifen wäre in Bekämpfung des Rassismus das denkbar ungeeignetste Mittel. Dass jetzt Columbus-Statuen fallen müssen, ist blanker Unsinn, auch wenn wir wissen, dass die Ureinwohner Nord- und Südamerikas, die Indianer, durch von Europäern eingeschleppte Krankheiten fast ausgerottete worden sind. Denkmäler als lebendiger Geschichtsunterricht, das wäre das Gebot der Stunde.
Rassismus allgegenwärtig
Rassismus – besser Benachteiligung, Herabsetzung, ethnische Ausgrenzung, Verachtung, Diskriminierung – ist weltweit allgegenwärtig. Nur Aufklärung, stetes, auch ganz persönliches Hinterfragen kann, wenn überhaupt, langsam und sehr limitiert Abhilfe schaffen. Bei allen, nicht nur aber auch bei der Polizei. Die ganze Frage ist auch nicht, wie jetzt gerade in der Schweiz üblich, auf Schwarz und Weiss zu reduzieren. Warum in den medialen Talk-Runden nicht auch Asiaten, Araber, Afrikaner oder Indianer eingeladen worden sind, ist schwer nachvollziehbar. Geradezu rassistisch war die Zusammensetzung einer Arena-Runde mit nur schwarzen Teilnehmern.
Kultureller Hintergrund
Es ist erst wenige Monate her, als Ihr Korrespondent mit einem chinesischen Bekannten – beide mit Masken – im Tram einer Schweizer Stadt stets weiträumig umgangen und gemieden wurde. Es war schlicht durch das neuartige Coronavirus verursachte Sinophobie. Auch US-Präsident Trump hieb in die gleiche Kerbe mit seinem dummen, verachtenden Spruch: «Kung Flu». Handkehrum: Wie in Europa und Amerika ist auch Rassismus in Asien zu beobachten, zumal in China. Am Reich der Mitte lässt sich gut zeigen, dass ethnische Ausgrenzung und Vorurteile vor allem auf dem kulturellen Hintergrund zu analysieren sind. Seit Jahrhunderten versteht sich China nicht als eine von mehreren Hochkulturen auf der Welt. Vielmehr wird die chinesische Kultur als die Kultur par excellence und allen andern als überlegen verstanden. Zwar ist das heute nicht mehr offizielle Staatsideologie, doch vieles hat sich gegenüber den «barbarischen» Kulturen bis heute erhalten.
Klare Hierarchie
92 Prozent der Einwohner Chinas sind Han-Chinesen. Die meisten sind fest davon überzeugt, dass die chinesische Zivilisation und Kultur allem andern überlegen ist. Diese Einstellung mündet oft in Han-Chauvinismus. Deshalb wird man als Fremder in China nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Für die meisten Chinesinnen und Chinesen – das ist in Gesprächen immer wieder zu hören – gibt es eine klare Hierarchie. Zunächst die Chinesen, knapp darunter die Weissen, dann die Japaner und zuallerletzt, weit unten die Afrikaner. Eine traditionelle Verachtung der schwarzen Hautfarbe ist im kollektiven Unterbewusstsein fest verankert. Schon in den 1980er-Jahren demonstrierten chinesische Studenten, um darauf aufmerksam zu machen, dass die von China mit Stipendien ins Land geholten Afrikaner unter weit besseren Bedingungen studieren können. Ihr Korrespondent war verschiedentlich mit afrikanischen Journalisten-Kollegen unterwegs. Auf Hotelsuche hiess es oft, dass alle Zimmer besetzt seien, nicht selten mit dem Hinweis, dass für den (weissen) Schweizer durchaus eine Ausnahme gemacht werden könnte.
«Extreme Besorgnis»
Während der Corona-Epidemie wurden in der südlichen Millionen-Metropole Guangzhou, wo 16’000 Afrikaner leben, Schwarze massiv benachteiligt und bedrängt. Die Afrikanische Union hat ihre «extreme Besorgnis» ausgedrückt. In einer gemeinsamen Protestnote mehrerer afrikanischer Länder wurde die «unmenschliche Behandlung» der Afrikaner angeprangert. Die kenianische Zeitung «The Nation» titelte: «Kenianer in China: Rettet uns aus der Hölle». Die chinesische Regierung, die schon immer auf ein gutes Verhältnis zu Entwicklungsländern des afrikanischen Kontinents grossen Wert gelegt hat, liess durch das Aussenministerium ausrichten, dass es «begründete Sorgen und legitime Beschwerden auf afrikanischer Seite» gebe, und versprach einen besseren Umgang mit der entstandenen Situation. Neben Schwarzen kommen gelegentlich auch «lästige und bösartige» Muslime ins Fadenkreuz chinesischer Rassisten.
«Faul und gewalttätig»
Chinesinnen und Chinesen können auch nur schwer verstehen, warum Europa so viele Migranten aufnimmt. In China nämlich gibt es gerade einmal eine Million Ausländer bei einer Bevölkerung von rund 1,4 Milliarden. Diese Einstellung ist erstaunlich, sind doch Millionen von Chinesinnen und Chinesen selbst nach Südostasien ausgewandert. Weitere fünf Millionen sind nach Nordamerika, Australien und Europa emigriert. Die chinesischen Migranten freilich mit ihrer einzigartigen Kultur fühlen sich etwa den arabischen oder afrikanischen Migranten weit überlegen. In Amerika sind Chinesinnen und Chinesen an Universitäten die Überflieger, und deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Chinesen in den USA nicht selten die Schwarzen und Latinos als «faul und gewalttätig» abqualifizieren.
Neuer Umgang mit dem Fremden
Gefragt ist in der Hitze der einseitigen Schwarz-Weiss-Polemik ein neuer, hinterfragender Umgang mit dem Fremden. Ihr Korrespondent erinnert sich seiner ersten Begegnung mit dem Unbekannten. Es war auf dem Basler Marktplatz 1946. Mit einem Schulfreund hielten wir Ausschau nach GIs, amerikanischen Soldaten im Erholungsurlaub. Einem schwarzen GI sagten wir im besten, vom Vater eingetrichterten Frühenglisch: «Chewing gum, please! Camel cigarettes, please!!» Freundlich erhielten wir das Verlangte und wurden mit einem Lachen und Handschlag verabschiedet. Wir Knirpse verschwanden eilends um die nächste Strassenecke und sahen auf unsere Hände. Zu unserem Erstaunen waren sie nicht schwarz. Eine ähnliche Erfahrung Jahrzehnte später in China. Die strohblonde kleine Tochter Ihres Korrespondenten wurde überall am Haar betastet. Der Umgang mit dem Fremden muss also ertastet werden, man muss offenen Sinnes hinhören, hinsehen, überlegen. Und, dies vor allem, versuchen, die eigenen, kulturell bedingten Vorurteile zu entdecken.
«Aussen braun, innen weiss»
Die fruchtlose, dummdreiste Mohrenkopf-Debatte darf natürlich in einem Schwarz-Weiss-Text nicht unerwähnt bleiben. Verwunderlich jedenfalls, dass sich lange Jahre Rassisten in der Direktion und im Verwaltungsrat der Migros unentdeckt verstecken konnten. Wie sonst ist es zu erklären, dass bis Juni 2020 beim Grossverteiler unbeanstandet Zigeunerschnitzel, Blanc battu und eben Mohrenköpfe verkauft werden konnten. In der Romandie übrigens ist der Tête de nègre – der Ausdruck wird in Frankreich seit 1829 verwendet – längst durch Merveilleux, Tête au choco, Merveille au chocolat ersetzt worden. Auf die Frage nach einem Schoko-Kopf antwortete neulich ein Patissier in einer Schweizer Grossstadt: «Meinen Sie einen Mohrenkopf?». Politisch korrekt meidet Ihr Korrespondent den Ausdruck Mohrenkopf. Doch ein afrikanischer Bekannter aus Sierra Leone sagte neulich im besten Baseldytsch: «Mohrekepf: usse brun, inne wiss, beides heerlig und keschtlig».
Teil der schweizerischen Identität jedenfalls ist traditionell kulturelle Vielfalt. Daran sollten wir uns kritisch messen und halten und nicht an eine enge und einengende Schwarz-Weiss-Diskussion. Die Devise also lautet: «All Lives Matter».