Wir wollten auch mal zeitgemäss logieren und reservierten uns in der andalusischen Kapitale Sevilla so ein Schmuckstück der Branche, das gleich gegenüber der Kathedrale liegt und im Katalog als „avantgardistisch“ und im neuesten Reiseführer „Polyglott on tour“ als „superschick, supercool und ziemlich teuer“ empfohlen wird.
Die Intentionen des Innenarchitekten
Es war dann immerhin ziemlich ernüchternd. Schon die Funktion des Zimmerbadge gab uns Rätsel auf. Warum er nach dem Betreten des Zimmers in den dafür vorgesehenen Schlitz gesteckt werden sollte, blieb uns verborgen, weil der Vorgang keine erkennbare Wirkung zeitigte. Jedenfalls mussten die Lichter einzeln bedient werden, und eine äusserst designte schwarze Tischleuchte war auch nachts nicht zu löschen, wohl aber – nach längeren Verrenkungen – mittels eines einfallsreich versteckten Drehknopfs zu dimmen.
Das moderne Hotel war in uraltem historischem Gemäuer neu entstanden, und dass der verwinkelte Grundriss den Architekten gewisse Einschränkungen auferlegt hatte, leuchtete uns ein. Trotzdem: WC und Dusche, in zwei separaten Räumen, waren geradezu spartanisch mickrig geraten – und keines der beiden Etablissements wies auch nur ein winziges Tablar oder sonst eine Abstellfläche auf. Als ob hier jede zusätzliche Dienstleistung unerwünscht wäre, weil sie die Intentionen des Innenarchitekten stören könnte.
Hindernisse beim Lesen
Also mussten wir unsere Toilettensachen auf dem Sideboard neben dem Lavabo, gleich im Eingangsbereich, deponieren, wofür indes das dort vorhandene umfassende hauseigene Angebot an Toilettenartikeln gar keinen Platz liess. Die herkömmliche Schale für das Deponieren der nassen Seife war hier noch nicht erfunden worden – ein Mangel, den der Umstand, dass die benutzte Seife jeden Tag durch eine verpackte neue ersetzt wurde, nicht wirklich entschärfte. Das – einzige – Lavabobecken hatte übrigens die hochgradig gestylte Gestalt einer Tonschüssel.
Wir versuchten uns also für ein paar Tage einzurichten – und erlebten weitere Überraschungen. Eine richtige Lichtquelle gab es im ganzen Zimmer nicht. Wollte man lesen, musste man sich aufs Bett legen und eine schwenkbare Nachttischlampe auf die Lektüre richten. Die zwei auffallend gestylten schwarzen Sessel liessen sich ohne tiefgreifende Ummöblierung nicht in die Nähe einer Lichtquelle rücken, was insofern nicht allzu tragisch war, als man in ihnen eh nicht aufrecht sitzen konnte.
Tadelloses Doppelbett – und was daneben steht
Statt eines Kleiderschranks gab es in einer schmalen Nische mit Kettenvorhang eine simple Garderobenstange. Die Hälfte des Platzes nahm ein Hängeregal aus weissem Stoff ein – für einmal immerhin praktisch. Der als Schuhkästchen gedachte Würfel indes hätte, mit einem einfachen Zwischentablar versehen, glatt nicht nur zwei, sondern vier Paar Schuhe gefasst. Immerhin stand er grossartig designt da.
Gleich neben dem tadellosen Doppelbett machte sich eine riesige freistehende Badewanne breit. Sie war sehr schön anzusehen, aber eher unpraktisch zu benutzen, denn leider liessen sich die Badetücher an der über der Badewanne montierten Metallschiene nicht aufhängen; diese bot kaum Platz genug für ein Handtuch. Auf einem wiederum hochgradig gestylten Holzwürfel neben der Wanne lockten in äusserst schmucken Fläschchen allerlei Shampoos und Lotions – jedenfalls so lange, bis wir am zweiten Tag bei stark gedimmtem Licht über das Möbelstück stolperten und zwei der Fläschchen auf den Sandsteinplatten zerschlugen. Immerhin sah auch das dann äussserst stylisch aus.
PS. Der Autor dankt dem Fünfsternehotel EME Catedral in Sevilla – www.emecatedralhotel.com – für den praktischen Anschauungsunterricht, der ihn zu diesem Text inspirierte.