Ägypten hat nun eine neue Regierung von 33 Ministern. Unter ihnen befinden sich mehrere der besten Wirtschaftsfachleute des Landes. Einer von ihnen ist Ministerpräsident Hazem al-Beblaoui. Doch die Regierung erhielt auch einen neuen «Ersten Stellvertretenden Ministerpräsidenten» in der Person des Generals as-Sisi, der auch, wie schon vorher, als Verteidigungsminister und als Oberkommandant der Armee fungiert. Ob Nobelpreisträger el-Baradei zu der neuen Regierung gehört oder nicht, ist unklar. In den Tagen zuvor war mehrmals berichtet worden, er sei als Stellvertretender Ministerpräsident für Aussenpolitik «vereidigt» worden. Doch sein Namen befindet sich nicht auf der Liste der neuen Regierung. Seine politische Gruppierung, die Nationale Heilsfront, hat die Übergangsverfassung kritisiert, die von Präsident Adel Mansour erlassen wurde, und Änderungen an ihr gefordert.
Ohne die Islamisten
Die neue Regierung enthält nicht einen Vertreter der islamistischen Strömungen, weil die Muslimbrüder sich weigerten, mitzuwirken. Sie erklärten, die neue Regierung sei «illegitim». Während die Salafisten der Nour-Partei ebenfalls ablehnten mit der offiziellen Begründung, dass das «Massaker» der Muslimbrüder vom 8. Juli sie zu einer Ablehnung zwinge.
Der wahre Grund dürfte sein, dass das Fussvolk von Nour die Teilnahme an einer «liberal» ausgerichteten Regierung, welche die Islamisten ausschliesst, nicht mitvollziehen könnten. Dies umso weniger, als sich weitere Zusammenstösse der Armee und der Ordnungskräfte der neuen Regierung mit den Brüdern und deren Verbündeten, den kleineren salafistischen Gruppen, am Horizont abzeichnen.
Wirtschaftsaufbau erst nach Befriedung
Die Teilnahme sehr qualifizierter Wirtschaftsfachleute an der Regierung wird keine Verbesserung der desolaten Wirtschaftslage Ägyptens herbeiführen, solange die Unruhen auf den Strassen andauern. Ministerpräsident al-Beblaoui selbst hat dies öffentlich erklärt, indem er in einem Interview aussagte, zuerst müsse Ruhe geschaffen werden, dann könnten die Wirtschaftsprobleme angepackt werden. Doch die Ruhe wird so rasch nicht zustande kommen. Die Muslimbrüder setzen ihre Demonstrationen fort und erklären, eher wollten sie sterben, als von ihrer Forderung zurückzuweichen, die da lautet, Morsi müsse wieder eingesetzt werden.
Die Demonstranten sind so viele, dass die Armee sie nicht alle totschiessen kann. Sie setzt offensichtlich auf Ermüdung der Demonstranten, indem sie sie demonstrieren lässt und nur einschreitet, wenn sie versuchen, Teile der Hauptstadt zu blockieren, die als lebenswichtig angesehen werden. Am Dienstag blockierten die Brüder die grosse Verkehrsbrücke vom 6. Oktober, die eine der Haupteinfahrten ins Innere Kairos trägt. Bis sie wieder eröffnet werden konnte, waren neun Tote zu beklagen. Auf Freitag wollen die Brüder vor dem Gebäude demonstrieren, in dem die neue Regierung tagt. Sie riefen dazu über Facebook auf. Die Armee und die Polizei gingen daraufhin am Donnerstag dazu über, das Gebäude weiträumig abzusperren.
Der neue Planungsminister hat erklärt, der gegenwärtige Zeitpunkt sei nicht der richtige, um die Gespräche mit dem IMF wieder aufzunehmen. Man hat dies als einen Hinweis darauf zu verstehen, dass die neue Regierung zunächst nicht gedenkt, die heissen wirtschaftlichen Eisen anzupacken, deren Inangriffnahme der Fonds fordert, Dinge wie Subventionsabbau im Energiesektor und in jenem der Grundnahrungsmittel, darunter Brot, sowie Bekämpfung des gefährlich wachsenden Budgetdefizits. Solche Schritte würden die Unzufriedenheit der notleidenden armen Hälfte der Bevölkerung unvermeidlich überborden lassen.
Offenbar gedenkt die Regierung sich zunächst mit den grossen Geldgeschenken und Anleihen zu behelfen, die Ägypten nach dem Sturz Morsis aus politischen Gründen von Saudiarabien, den Vereinigten Emiraten und Kuwait versprochen worden sind. Diese Gelder sollen alle zusammen etwa 12 Mia. ausmachen. Sie könnten genügen, um etwa sechs Monate lang den Status quo durchzuhalten, der gegenwärtig besteht. Was allerdings bedeuten würde, dass der dann (nach den heutigen Plänen) nachfolgenden gewählten Regierung, die ganze Bescherung in den Schoss gelegt wird, weiter erschwert durch die Zinsen für grosse Teile der nun zugesagten Gelder, die dann auch fällig würden. Ganz abgesehen davon, dass in diesen sechs Monaten die Zahl der vergeblich Arbeit suchenden jungen Leute weiter um einige Zehntausend anwachsen wird.
Unversöhnliche Brüder?
Es gibt vorläufig keinerlei Anzeichen dafür, dass die wütende Opposition der Brüder gegen das neue Regime sich legen könnte. Solange sie weiter dauert, kommt die Übergangsregierung nicht ohne Stützung durch den starken Arm der Militärs aus. Die Polizei alleine wäre den Brüdern schwerlich gewachsen. Die Figur des neuen Ersten Stellvertretenden Ministerpräsidenten, Verteidigungsministers und Oberkommandanten der Armee, des Generals as-Sisi, ist da, um deutlich zu machen, dass diese Unterstützung nicht fehlt. Auf den offiziellen Photos und Fernsehbildern, die das neue Ministerium zeigten, stand er in Uniform in der Mitte der 32 Zivilen. Die Muslimbrüder fragten sofort via Facebook: «Wie kann eine Regierung legitim sein, die weiss, dass sie jeden Augenblick von den Militärs fristlos entlassen werden kann?»