Wunder über Wunder: Die Erkenntnis, dass Griechenland pleite ist und an einer Umschuldung kein Weg vorbeiführt, setzt sich bei Analysten, sogenannten Finanzexperten und sogar Wirtschaftsjournalisten immer mehr durch. Wir gestatten uns, da ein Jahr zurückzublenden. Wer im Mai 2010 sagte, dass Griechenland völlig bankrott ist und niemals in den Euro-Verbund hätte aufgenommen werden dürfen, wurde von fast der gesamten Finanzwissenschaft niedergebügelt oder einfach ignoriert.
Inzwischen gilt hier der schöne Satz von Lenin: «Was geht mich mein dummes Geschwätz von gestern an.» Nur die deutsche und, zwar etwas leiser, die französische Regierung behaupten noch tapfer, dass mit einer weiteren Hilfe von 30 Milliarden Euro das Problem zu lösen wäre.
Mit Vollgas in die Sackgasse
Die Wirklichkeit sieht natürlich ganz anders aus. 110 Milliarden Euro Kredite wurden bereits rübergeschoben, Griechenland reagierte darauf mit einer prognostizierten Gesamtverschuldung von 157 Prozent des BIP (Bruttoinlandprodukt) für dieses Jahr, die Neuverschuldung wird mindestens 9,5 Prozent des BIP betragen. Wenn ein Unternehmen oder ein Staat dermassen tief im Schlamassel steckt, käme normalerweise niemand auf die Idee, das Feuer im Dach mit Benzin, also mit neuen Krediten, zu löschen. Dass da nichts mehr geht und nur ein Haircut von 50, besser 70 Prozent, umso schneller, umso besser, hilft, liegt auf der Hand und muss ja nicht mehr ernsthaft durchargumentiert werden. Das führt aber zur interessanten Frage: Wieso wird das nicht endlich getan?
Mal wieder die Banken
Dafür gibt es zwei Gründe. Zum Ersten, Überraschung, wäre das für in erster Linie deutsche und französische Banken ungut. Alleine bei deutschen Banken schlummern mehr als 50 Milliarden Euro griechische Schulden in den Bilanzen. Jeder vernünftige Kleinanleger hat, genauso wie der Markt, einen Verlust auf griechischen Staatsschuldpapieren von mindestens 50 Prozent längst antizipiert und den Betrag abgeschrieben. Was bei einem auf BB- runtergestuften Papier, also knapp vor dem Ramsch-Status, auch vernünftig und logisch ist. Aber beide Eigenschaften sind ja den Bilanztricksern von Finanzinstituten nicht unbedingt eigen. Müsste dort der Wert von griechischen Schrottpapieren auf eine realistische Zahl heruntergestuft werden, wäre das dünne Eigenkapital mal wieder futsch, die Bank ist blank. Da gleichzeitig der deutsche und französische Steuerzahler ungefragt Teilhaber diverser Grossbanken sind, wären dann nicht nur seine bereits verlochten Steuergelder futsch, sondern ihm würde nochmals in die Tasche gegriffen, um nicht mehr Griechenland, sondern Banken zu retten.
Und die Ideologie
Der zweite Grund für das anhaltende Gewurstel ist ein ideologischer. «Scheitert der Euro, scheitert Europa», brachte das die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel auf den Punkt. Das ist natürlich nicht nur Unsinn, sondern das pure Gegenteil ist richtig: Scheitert der Euro nicht, scheitert Europa. Ein Blick in die Geschichte genügt: Noch nie hat eine Währungsunion funktioniert, wenn gleichzeitig die Fiskal-, Finanz- und Wirtschaftspolitik den beteiligten Staaten überlassen blieb. Und noch schlimmer: Wenn ein wirtschaftliches Schwergewicht wie Deutschland und ein im Vergleich dazu Drittweltland wie Griechenland die gleiche Währung benützen müssen, dann leiden beide darunter. Nach einem kurzen Strohfeuer, als sich Griechenland zu absurd günstigen Konditionen in Euro verschulden konnte und das Kapital natürlich, mangels Masse, nicht produktiv einsetzte, sondern schlichtweg in die Luft bliess, ist Griechenland nun abgebrannt.
Und die Alternative?
Die Notwendigkeit einer Umschuldung ist inzwischen allgemein, sagen wir ausserhalb von Brüssel, akzeptiert. Aber der zweite notwendige Schritt wird immer noch als Teufelszeugs denunziert. Denn Griechenland, genauso wie Portugal, Irland und sehr wahrscheinlich auch Spanien und Italien, kann nur wieder auf die Beine kommen, wenn es seine Nationalwährung wieder einführt. Umso schneller, umso besser. Das ist wirtschaftliches Einmaleins. Natürlich, das wird grauenhaft, ein Massaker, begleitet von sozialen Unruhen, Bankenpleiten und wahrscheinlich einer Fortsetzung der Finanzkrise. Aber wenn man nicht die Augen vor allen denkbaren Alternativen verschliesst und den klaren Blick bewahrt: Alles andere wäre noch viel schlimmer. Denn wenn die einzigen beiden Szenarien eine grosse oder eine gigantische Krise sind, dann sollte man sich vielleicht doch für die grosse entscheiden.
Es gibt allerdings noch eine schlimmere Variante. Wenn man eine grauenvoll gigantische Krise will, dann zögert man den Moment der Entscheidung durch neue Schulden, was nur ja ein anderes Wort für gekaufte Zeit ist, hinaus. Damit riskiert man zwar eine soziale und wirtschaftliche Explosion, gegen die die letzte Finanzkrise ein kleiner Feuerwerkskracher war, gewinnt aber vielleicht die nächsten Wahlen. Auch wenn das die vorläufig letzten werden könnten.