Am Samstag kurz vor 13.00 Uhr setzte der neue Staatschef ein erstes Zeichen. An Bord eines grauen Fiat Panda fuhr der aus Palermo stammende Mattarella zum Parlament, wo eben die Würfel gefallen waren: keine schwarze Staatslimousine, kein Blaulicht, kein Sirenengeheul.
Kurz zuvor stand fest, dass der frühere Christdemokrat im Parlament die nötigen 505 Stimmen erreicht. Schliesslich stimmten 665 Senatoren, Abgeordnete und Regionalvertreter für den Kandidaten von Ministerpräsident Matteo Renzi.
Mattarella, einst Mitglied der „Democrazia Cristiana“ (DC), dann des „Partito Populare“ (PP) und schliesslich des nach links tendierenden Bündnisses „La Margherita“ geniesst von links bis rechts hohes Ansehen. Der abgetretene italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano bezeichnete Mattarella am Samstag als einen Mann „von absoluter Loyalität und Ehrlichkeit“.
Der Bruder - von der Mafia getötet
Sergio Mattarella ist der jüngere Bruder von Piersanti Mattarella, der sich als Präsident der Region Sizilien dem Kampf gegen die Mafia verschrieb und am 6. Januar 1980 von vier Mitgliedern der Cosa Nostra ermordet wurde. Der Vater der beiden, Bernardo, war ein antifaschistischer Kämpfer und mehrmals italienischer Minister. Bernardo Mattarella waren Verbindungen zur Mafia vorgeworfen worden, was die Gerichte aber stets dementierten. Erwiesen ist, dass er mit mindestens einem Mafioso persönliche Kontakte pflegte, mit welchem Zweck auch immer.
Die Wahl Sergio Mattarellas ist ein Sieg von Ministerpräsident Matteo Renzi. Er, der Sozialdemokrat, hatte Mattarella erst vor wenigen Tagen ins Spiel gebracht. Renzi ist es gelungen, die verschiedenen Strömungen seiner sozialdemokratischen Partei (Partito Democratico, PD) hinter Mattarella zu scharen. Auch Zentrumspolitiker konnte er überzeugen, für seinen Kandidaten zu stimmen.
Renzis Alleingang
Dass die Wahl überraschend problemlos abgewickelt wurde, bedeutet auch, dass sich Renzi von Berlusconi zumindest teilweise emanzipieren konnte. Vor einem Jahr hatten die beiden einen Pakt geschlossen. Renzi wurde vorgeworfen, „ein Pudel Berlusconis“ zu sein. Tatsächlich konnte der Ministerpräsident die bescheidenen Erfolge, die er in den letzten Wochen erzielte, nur dank der Unterstützung Berlusconis erreichen.
Jetzt allerdings, bei den Präsidentschaftswahlen, setzte sich Renzi von Berlusconi ab und wagte den Alleingang. Dass ausgerechnet ein Verfassungsrichter gewählt wurde, ist eine schwere Schmach für Berlusconi, denn der frühere Ministerpräsident hasst niemanden so sehr wie die Richter.
Standing Ovation
Berlusconi und seine Mitte-rechts-Bewegung Forza Italia legten denn auch am Samstag weisse Stimmzettel in die Urne oder nahmen an der Wahl gar nicht teil. Die Wahl Mattarellas wurde mit einer lang andauernden Standing Ovation quittiert. Auch einige Mitglieder von Forza Italia klatschten, was Berlusconi wohl sauer aufstiess. Das Wahlgremium bestand aus 1009 Mitgliedern. 105 Stimmzettel waren weiss, 13 ungültig.
Berlusconi zieht zwar im Hintergrund die Fäden, doch er darf kein politisches Amt ausüben, da er wegen Betrugs verurteilt ist. Noch immer leistet er einmal pro Woche in einem Pflegeheim Dienst. Der Einzige, der ihn begnadigen und damit die Rückkehr in die Politik ermöglichen kann, ist der Staatspräsident.
Wenig Hoffnung auf Begnadigung
Ob Sergio Mattarella, ein Mann der Prinzipien, ausgerechnet den in zahlreiche Justizaffären verwickelten Berlusconi reinwaschen wird, ist mehr als fraglich. Das wusste auch Berlusconi. Deshalb schlug er den eher linken Giuliano Amato vor und hoffte damit, Renzis Partei zu spalten. Amato, einst Mitglied der Sozialistischen Partei, ist zwar auch Verfassungsrichter, doch von ihm versprach sich Berlusconi mehr Entgegenkommen.
So ergab sich die seltsame Situation: Der Sozialdemokrat Renzi schlug einen früheren Christdemokraten vor und der rechts stehende Berlusconi einen früheren Sozialisten.
Berlusconi erinnert sich auch daran, dass Mattarella sich gegen ein Gesetz wehrte, das Berlusconi den Aufstieg zum absoluten italienischen Medienzar ermöglichte. Da das Gesetz angenommen worden war, trat Mattarella 1990 aus der Regierung des christlichdemokratischen Ministerpräsidenten Andreotti zurück.
Gutgemachte Schmach
Mit der problemlosen Wahl Mattarellas hat Renzi auch die Schmach gutgemacht, die seine Partei im April 2013 erlebte. Damals war Staatspräsident Napolitano ein erstes Mal zurückgetreten. Die Wahl um seine Nachfolge entpuppte sich als Desaster für die Linke. Dem damaligen linken Parteichef Pierluigi Bersani gelang es nicht, einen ersten (Franco Marini) und dann einen zweiten Kandidaten (Romano Prodi) durchzubringen. Wieder einmal war die Linke zerstritten. Im allgemeinen Wahlchaos entschied sich dann Napolitano, gegen seinen ursprünglichen Willen noch einmal anzutreten. Bersani trat im Streit zurück.
Um gewählt zu werden hätte ein Kandidat in den ersten drei Wahlgängen, die am Donnerstag und Freitag stattfanden, mindestens zwei Drittel aller Stimmen erhalten müssen. Da Berlusconis Forza Italia abseits stand, galten diese Durchgänge als Vorgeplänkel. Ab dem vierten Wahlgang am Samstag galt dann noch das absolute Mehr, also 505 Stimmen. Für die – nicht mehr notwendige - Zweidrittel-Mehrheit fehlten Mattarella nur sieben Stimmen.
Am zweitmeisten Stimmen erhielt der 78-jährige Ferdinando Imposimato, ein Anwalt, Magistrat und Ehrenpräsident des Kassationsgerichtshofes. Romano Prodi, der frühere Ministerpräsident, dem vor einigen Tagen noch Chancen eingeräumt wurden, erhielt zwei Stimmen.
Gestärkter Renzi
Um punkt 13.00 Uhr setzte Renzi einen Twitter ab: “Buon lavoro, Presidente Mattarella! Viva l'Italia”. Nachdem es Renzi in den letzten Wochen gelungen war, eine Arbeitsmarktreform und ein neues Wahlrecht durchzudrücken, hat er nun – problemlos – seinem Kandidaten für das Staatspräsidium zum Erfolg verholfen. Damit hat er sich nicht nur – erstmals - klar gegen Berlusconi durchgesetzt. Auch dass er seine eigenen, zu Eskapaden neigenden Parteipolitiker geschlossen hinter sich scharen konnte, wird seine Position festigen.